Mittwoch, 23. Januar 2008

[Rezension] Matthias Matussek, Wir Deutschen

Matussek, Matthias: Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können, Frankfurt a.M. 2006.

"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" - dieses Zitat des deutschen Schriftstellers Bertold Brecht begegnet dem Leser recht häufig in Matthias Matusseks Traktat über ein neues deutsches Nationalgefühl. Er verwendet es jedoch nicht im Sinne des Urhebers oder gar dessen Nachfolger, die es als mahnende Warnung immer dann präsentieren, wenn irgendwo aus deutschem Munde das Wort "Nation" erschallt. Im Gegenteil: Er setzt es mit einem Unterton der Häme, der beißenden Ironie, des stechenden Zynismus ein. Er, der einst selbst in jenen Gefilden, die in seinem Buch unter der Bezeichnung "68er" firmieren, lebte, nachdem er der "Hölle" seines bürgerlichen Elternhauses entkommen war. Freilich, er benutzt diesen Ausdruck sarkastisch, im Kontext des Lobliedes auf seine Familie und gerade den Vater, der genau das verkörperte, was Matussek unter einem Bildungsbürger präsentiert. Überhaupt ist sein Werk von einem recht lockeren, einem informellen Umgangston geprägt, der pointiert seine Gegner aufs Korn nimmt. Seine Gegner, das sind: die "68er" (die ihm heute Post mit jenem Brecht-Zitat zusenden) sowie - die Briten.

 

Und hier liegt die größte Schwachstelle. Es mag in den ersten Kapiteln noch erheiternd wirken, wenn Matussek - man möchte fast sagen: mit deutscher Gründlichkeit - durch einen gewissen Humor Eigenarten der Briten, gerade in Hinblick auf ihre Sicht der Deutschen, herausstellt und karikiert. Doch die anfängliche Lässigkeit gewinnt mit zunehmender Seitenzahl deutlich an Biss und Schärfe, so dass es dem Leser stellenweise vorkommt, als wolle der Autor ein neues deutsches Nationalgefühl nicht durch die Hoch-Achtung vor der deutschen Kultur beleben, sondern durch die Ver-Achtung der britischen.

 

Hier liegt sogleich der zweite wunde Punkt des Traktats: Zwar schildert Matussek die deutsche Kultur als eine strahlende Hochburg des Schönen, und man merkt, dass es gerade Heinrich Heine ist, der ihn zutiefst in seinen Bann zieht. Aber als eine Kulturnation sieht er die deutsche dennoch nicht. Gerade mit Blick auf die Seitenhiebe gegen Großbritannien wird man den Gedanken nicht los, es gehe ihm lediglich um eine Staatsnation, zu der die Bundesrepublik Deutschland endlich werden solle. Dafür spricht ebenfalls, dass Österreich als elementarer Teil deutscher Kultur (zumindest bis 1866) komplett ausgeklammert wird – mit der Ausnahme Mozarts, den er natürlich als, nach eigener Aussage, "Deutschen" präsentiert, obwohl es gerade im Alten Reich keine Unterscheidung zwischen "österreichisch" und "deutsch" gab, sondern das eine als ein Teil des anderen gesehen wurde. Matussek bewegt sich, historisch und politisch gesehen, hauptsächlich in der Nähe Preußens. Er steht, viel mehr noch, in der Tradition der kleindeutschen Revolutionäre, die im 19. Jahrhundert die Einigung der deutschen Fürstentümer anstrebten.

 

Gewiss, man muss es ihm hoch anrechnen, dass er dennoch in der ersten Hälfte seines Werkes einige Leistungen deutscher Kultur nennt und damit mit dem populären Paradigma bricht, alles vor Hitler wäre nur die Straße zur Machtergreifung gewesen - gerade mit Blick auf seine eigene, marxistische Vergangenheit, die mit solcherlei teleologischem Geschichtsverständnis nur allzu vertraut ist. Er spricht damit jenen "Neu-Konservativen" aus dem Munde, die sich gerade gegen Ende der Ägide Rot-Grün erhoben, und lässt sogar selbst einen, seinen idealen Konservativen eine Rede an das deutsche Volk halten, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Er rechnet mit dem seinerzeit beliebtesten Politiker, Außenminister a.D. Joschka Fischer, ab, der Auschwitz als den "Grundstein" Deutschlands bezeichnete und konstatierte, die deutsche Seele sei "zerstört" und wir alle "tief traumatisiert". Stellenweise schimmert, gerade in der Rede des idealen Konservativen, sogar so etwas wie die Hoffnung auf mehr Freiheit durch. Doch ein Liberaler ist Matussek nicht. Dazu fehlt beispielsweise der Verweis auf die teutsche libertet, die im Alten Reich (hauptsächlich von den Fürsten) zu den Vorzügen der hiesigen Kultur gezählt wurde und die man allzu gerne gegen die spanische servitud, also Bestrebungen zur Zentralisierung respektive Einheit unter der Kaiserkrone, abgrenzte.

 

Das führt schließlich zur dritten Schwachstelle des Traktates: dem Sinn und Zweck der Darstellung. Der Klappentext nennt das Werk eine "Ehrenrettung", gar eine "Liebeserklärung an Deutschland". Und als solche fungiert es auch, in der ersten Hälfte, einwandfrei. Der Blick wird erweitert, weg von Hitler, dem vermeintlichen Zentrum deutscher Geschichte, hin zur vermeintlichen Peripherie, die in der öffentlichen Aufmerksamkeit ein Dasein am Rande des Darbens zu fristen scheint. Matussek beschreibt dem Leser ein Deutschland fernab von Nationalsozialismus und Weltkrieg und ist damit gerade für diejenigen interessant, die am aktuellen Schulkanon die Schwerpunktlegung auf ebenjene zwölf Jahre kritisieren. Tatsächlich aber geht das Buch darüber hinaus. Indem er erklärt, "was Patriotismus mit der Wirtschaftskraft eines Landes zu tun hat" (so die Überschrift eines Kapitels), zeigt er das Ziel, das er verfolgt: Von einer simplen Beschreibung dessen, was man an Deutschland lieben kann, wandelt sich das Werk in eine politisch motivierte Schrift, welche die marxistische Klasse als Heimstätte des Menschen gegen die Nation tauscht. Freilich, es ist kein plumper Nationalismus, der vermeintliche Klassengegensätze durch nationale Kollektivierung zu beseitigen sucht. Doch sein zwischen den Zeilen zu erkennender Aufruf an die nationale Verantwortlichkeit der Unternehmer und die Prämisse "Wir müssen sehen, dass es dem Land gut geht, damit es uns selber gut geht" verraten seinen beschworenen Patriotismus als subtiles Mittel zur politischen Mehrheitsbeschaffung, das zudem noch den Staat als Verkörperung des Deutschen und der (klein-)deutschen Kultur sieht. Alles in allem ist die "unverklemmte Identifikation mit der eigenen Nation", die er fordert, daher ein Aufruf zu neuer Staatsgläubigkeit - nur unter anderen Vorzeichen.

 

Peter Sloterdijk, mit dem er, neben anderen, in seinem Buch spricht, meint: "Man sollte vielleicht begreifen, dass das deutsche Parteiensystem seit bald 25 Jahren den Wählern die Auswahl zwischen vier Spielarten von Sozialdemokratie anbietet". Matussek positioniert sich mit diesem Buch ziemlich genau dort, wo sich die neuen "Konservativen" um Bundeskanzler Angela Merkel scharen: Es ist eine patriotische Sozialdemokratie.