Samstag, 30. Mai 2015

Der "ungläubige" Thomas: Johannes 20

Der Jünger Thomas hat nicht nach Beweisen per se gefragt, sondern er wollte mehr als nur das Zeugnis seiner Apostelkollegen; kurzum: die kirchliche Verkündigung war ihm zu wenig. Darum wollte er den Auferstandenen mit eigenen Händen berühren. Wenn das - den Auferstandenen eigenhändig berühren wollen - als rationales Denken gilt, okay. Man darf natürlich nicht unterschlagen, dass Thomas am Ende sagt "Mein Herr und mein Gott". Gilt dies noch immer als rationales Denken?

Das Entscheidende ist zunächst nicht der Zweifel, den Thomas äußert, sondern es geht in der gesamten Episode um seinen Glauben, und damit auch beispielhaft um den Glauben schlechthin. Das "mein Herr und mein Gott" ist nicht irgendwie "angeklebt", sondern es ist das, was Thomas von Anfang an sagen will (Joh 20,25), so wie es seine Apostelkollegen tun. Da er jedoch nicht bei ihnen war, als der Auferstandene sie besucht hat, glaubt er ihnen nicht - sie vermitteln ihm nämlich etwas (für ihn) Unsichtbares. Welche Antwort erhält er nun aber gemäß biblischer Überlieferung?

Dienstag, 19. Mai 2015

"Völkermord in der Bibel": Numeri 31

Num 31,17-18:
Nun bringt alle männlichen Kinder um und ebenso alle Frauen, die schon einen Mann erkannt und mit einem Mann geschlafen haben. Aber alle weiblichen Kinder und die Frauen, die noch nicht mit einem Mann geschlafen haben, laßt für euch am Leben!



Viele Kirchen-, Glaubens- und Religionskritiker meinen, dass neben ihrer eigenen koranistischen Interpretation dieser Passage keine andere Interpretation einen Platz habe, weil ihre eigene Interpretation den Text dadurch erschöpfend auslege, dass sie ganz naiv "Beweistexte" zitiert (sog. prooftexting). So eine naive Auslegung setzt jedoch voraus, diese Stelle a) für sich und ohne den unmittelbaren sowie dann auch ohne den größeren Zusammenhang zu lesen (so spricht in Num 31,17-18 nicht Gott in wörtlicher Rede, sondern Mose), sowie b) diese Stelle wörtlich in dem Sinne zu nehmen, als ob sie einen journalistischen Tatsachenbericht darstelle. Denn anders ergeben Aussagen wie jene, dass diese Passage "so widerlich und menschenverachtend [sei], wie sie da nun einmal steht und für was sie historisch leider steht", keinen Sinn. Ich gehe an dieser Stelle nicht darauf ein, wofür es "historisch leider steht", dass das Volk der Juden ein anderes Volk bekämpfe und ausbeute, sondern schlicht auf das Attribut "historisch": Darin liegt nämlich der springende Punkt. Den Text wörtlich zu lesen, heißt, ihn historisch zu lesen - denn der Literalsinn vermittelt die historia, die im Text liegt. Und das meint eben nicht irgendeine Tatsachenaufzählung (im weitesten Sinne gibt es dafür die Bezeichnung res gestae), sondern in erster Linie eine Ereigniserzählung - das ist ein subtil wirkender, aber sehr bedeutender Unterschied, der seit dem 18. Jahrhundert (seit der "Sattelzeit", wie man begriffs- und ideengeschichtlich gerne sagt) kaum mehr sprachlich wahrgenommen wird und so für Verwirrung sorgt. Kurzum: Diese naive Interpretation der Bibel ist eine moderne Interpretation, die den Text eben gerade nicht historisch, d.h. auch: nicht wörtlich (ad litteram) liest, sondern die wörtliche Sinnebene a-historisch zu etwas erhebt, das sie nicht ist.

Donnerstag, 14. Mai 2015