Montag, 10. Dezember 2007

Kleine Begriffskunde der Freiheit

Es passiert nicht oft (zumindest nicht mehr), dass ich mir beim Lesen eines Pseudonyms denke: "Warum hast du das nicht für dich gewählt?" Aber dann fiel mir wieder ein, dass dies nur eine historische Verklitterung meines Lebens bedeuten würde. Es würde heutige Paradigmen in die Vergangenheit projizieren. Anders: den Gedanken weitergesponnen, würfe ich mir vor, damals nicht wie heute gewesen zu sein. Damals hatte ich noch keinen Freiheitsbegriff an sich. Überhaupt hat das Nachdenken über den Begriff "Freiheit" wohl erst im letzten Jahr, soll heißen 2006, tatsächlich begonnen. Respektive der Gedanke, dass die Freiheit im Trio mit der Gleichheit und der Brüderlichkeit - die Triangel schlechthin, wie man sie in der Schule als das Nonplusultra der französischen Revolution (also dem, was vor Napoleons Plebiszitärkaisertum kam) gelehrt bekommt - als einziger Begriff hervorsticht. Freiheit kann man nämlich nicht staatlich erzwingen. Überhaupt: "Freiheit" und "erzwingen" in einem logischen Zusammenhang kann nur auf das Stilmittel der Antithese hinauslaufen. In der Schule lernt man das nicht. Dass aber keine Missverständnisse auftauchen: den Irak meine ich damit nicht. Um Freiheit ging es dabei nämlich nur sekundär - wenn überhaupt. Demokratie ist das Stichwort.

Ich saß selbst lange Zeit dem Trugschluss auf, Demokratie und Freiheit seien identisch. Letzten Endes sollte sich aber herausstellen, dass das, was in meiner Gedankenwelt unter "Demokratie" firmierte, gar keine Demokratie war, sondern - wer ahnt es? - tatsächlich "Freiheit". Ich ging wohl, shame on me, der Öffentlichkeitsarbeit sämtlicher westlicher Regierungen auf den Leim, die nach Beendigung des Kalten Krieges plötzlich democracy zum Kampfbegriff (im wahrsten Sinne des Wortes) wählten und sich damit genau jenen Ausdruck auf die Fahnen schrieben, den während des Kalten Krieges der Ostblock als Schlagwort gegen den westlichen republicanism ins Feld führte. Es fiel mir explizit bei der Recherche an meiner (grauenhaften!) letzten Hausarbeit auf, als ich Protokolle und sonstige Quellen gerade für die Frühzeit des Ost-West-Konfliktes sichtete. Wo sich westliche Republiken gründeten, standen ihnen östliche Demokratien gegenüber. Wo der Westen noch die Freiheit des Individuums zu verteidigen vorgab, sprach der Osten vom Volkswillen, dem sich alles zu beugen habe. Heute hingegen - heute scheint es mir so, als habe gar nicht der republikanische Westen diese Auseinandersetzung gewonnen. Aber ich schweife ab.

Erste tiefere Auseinandersetzungen mit dem Wort "Freiheit" hatte ich wohl durch die Recherche zu einer anderen Hausarbeit. Über russische Sozialrevolutionäre. Anarchisten. Syndikalisten. Wie man sie auch nennen will. In diesem Zusammenhang stieß ich wohl überhaupt das erste Mal auf verschiedene Freiheitsbegriffe im eigentlichen Sinn. Zum einen svoboda als die klassische Freiheit innerhalb eines Staates, verkörpert in der ersten Generation der Menschenrechte (wenn man so will). Mir ist nur noch nicht klar, ob der Begriff ein Verständnis vermitteln will für Abwehrrechte gegen den Staat (staatszentrierte Sichtweise, nach der der Bürger vom Staat etwas bekommt) oder aber ob er für Eingriffsrechte des Staates steht (anthropozentrische Sichtweise, nach der der Staat vom Bürger etwas bekommt, nämlich die Kompetenz zum Handeln). Dem gegenüber steht der Begriff volja, der nicht nur "Freiheit", sondern auch "Wille" bedeutet. Volja ist so etwas wie die absolute Freiheit. Unbegrenzt, völlig losgelöst von gesellschaftlichen Gruppierungen: die "Freiheit des Banditen". Ich bin sogar geneigt, ihn mit "Willkür" zu übertragen, um gerade den hedonistischen Aspekt dieses Wortes zu betonen. Die revolutionäre Organisation narodnaja volja stand mit ihrem Namen also entweder für die Volksfreiheit (wobei die Frage besteht, ob Freiheit kollektiv wahrgenommen werden kann) oder aber für den Volkswillen. Oder beides. Der "Volkswille" als Begriff ist in Deutschland allerdings seit dem Ursprung der jüngeren deutschen Geschichte, der den Volkswillen nach eigener Aussage ausdrückte, ein wenig vorbelastet. Als Faktum wird er jedoch immer wieder gepriesen, wenn es um Wahlen geht. Ich glaube, die heutige Übersetzung von "Volkswillen" ins Deutsche lautet "Wählerauftrag". Wiedemauchsei, ich schweife wieder ab.

Diese beiden Begriffe waren es, die mich wohl dazu gebracht haben, näher über die Freiheit nachzudenken. Ebenso wie die Lektüre über das Alte Reich, das Heilige Römische Deutscher Nation nämlich, in der nur zu gerne beschrieben wurde, wie die Reichsfürsten ihre teutsche libertet gegen die spanische servitud der Kaiserpartei zu verteidigen trachteten und damit dem Begriff svoboda wohl näher standen als der Alternative (wobei ich zugeben muss, dass eine explizite Analyse noch aussteht).

Oprócz tego gibt es auch im Englischen zwei Begriffe von Freiheit. Zum einen liberty, das vom lateinischen libertas kommt. Und dann freedom, das wohl germanische Wurzeln besitzt. Auch hier gibt es leichte Bedeutungsunterschiede, wenngleich sie wohl anders geartet sind als im Russischen. Das Wort freedom steht in sehr engem Zusammenhang mit dem Wort independence, da es - meinem Verstädnis nach (Disclaimer!) - viel eher im Sinne eines freedom from sth. als dem eines freedom of sth. verstanden wird, wenngleich die grundlegenden Bürgerrechte allesamt als freedom of sth. bezeichnet werden. Da allerdings liegt das Verständnis - anders als beim russischen svoboda - eindeutig auf der staatszentrierten Ansicht, wonach dem Bürger durch die unendliche Gnade des Staates gewisse Rechte eingeräumt werden. Diese Lesart steht meines Erachtens nach nämlich viel näher am hedonistischen Freiheitsbegriff des freedom from sth., der letztendlich nur die Abwesenheit einer Sache bezeichnet (vorzugsweise Armut oder Hunger). Bezeichnenderweise ist es nämlich gerade dieser Freiheitsbegriff, das freedom from sth., der dem Staat einen Freifahrtschein für Eingriffe (in Form von Umverteilung) ausstellt und damit eine staatszentrierte Sichtweise vermuten lässt. Der Begriff freedom verbindet also - wie bereits gesagt: in meinem Verständnis (als ob ich überhaupt etwas anderes schreiben könnte als meine Meinung) - den staatsfixierten Anteil des russischen svoboda mit dem hedonistischen volja. Dem Gegenüber steht das Wort liberty, das meines Erachtens nach für den anthropozentrischen Ansatz zum Wort svoboda steht. Korrespondierend mit einem Sinnspruch, der dem österreichischen Dramatiker Johannes Nestroy zugeschrieben wird: "Freiheit existiert nur im Singular. In der Mehrzahl handelt es sich lediglich um Spielräume." Es ist bezeichnend, dass es freedom of speech und nicht liberty of speech heißt. Der Begriff scheint nur im Singular zu existieren. Und er scheint auch nicht im hedonistischen Sinne gebraucht zu werden. Liberty ist die Freiheit, die der Mensch hat, und aus der heraus er dem Staat Spielräume und Kompetenzen gibt - nicht umgekehrt. Aber hier steht, wie schon weiter oben, noch eine genauere Analyse aus.

Wo wir aber schon bei Begrifflichkeiten sind: Im Deutschen gibt es gerade in der adjektivischen Auseinandersetzung mit der Freiheit bemerkenswerte Beobachtungen zu tätigen. Es gibt im Ganzen drei Adjektive, die man verwenden kann: freiheitlich, liberal} und libertär}. Das erste, freiheitlich, als eigentliches Adjektiv zum deutschen Wort "Freiheit", wird - erstaunlicherweise - mit einem negativen Beigeschmack vorzugsweise in Verbindung mit nationalistischen Parteien und Gruppierungen verwendet (zurückgehend wohl auf Selbstbezeichnungen solcher Gruppierungen) und ist damit das Gegenstück zum autonom der sozialistischen Abteilung. Libertär leitet sich, wie die alte libertet und die englische liberty vom lateinischen libertas ab und steht im allgemeinen Verständnis wohl für radikale Marktbefürworter, sprich: so genannte Anarchokapitalisten. Ferner auch, wie man mir dereinst zu erklären versuchte, für einen durchaus existenten hedonistischen Teil der Linken. Aber ich finde, diese Sparte firmiert unter anderen Bezeichnungen, die nicht unbedingt etymologisch auf der Freiheit fußen. Und last but not least gibt es noch das gute alte liberal, das vom lateinischen liberalitas abgeleitet ist, was etwa "edle Gesinnung" oder "Freigiebigkeit" bedeutet. Gerade dieser Begriff ist aber in meinen Augen sehr interessant. Zum einen natürlich, weil er im Englischen als liberal für das deutsche sozialdemokratisch steht, zum anderen, weil er im Deutschen seinen Inhalt zugunsten eines Daseins als bloßes Füllwort, als simple Worthülle, zu verlieren droht, wenn nicht sogar schon verloren hat. Es gibt Marktliberale, Sozialliberale, Linksliberale, Rechtsliberale, Nationalliberale, Ordoliberale, Manchesterliberale, Neoliberale (als besonders gefährliche Spezies der Gattung, weil da das "Neo" von "Neonazi" mit drinsteckt), Jungliberale und noch viele weitere Liberale, die allesamt irgendeine Zusatzbezeichnung benötigen, da liberal im Sinne von "die Freiheit betreffend" wohl nicht ausreicht. Das geht sogar soweit, dass eine FDP-Landesvorsitzende auf einem JuLi-Landeskongress herausarbeitet, was denn an der Freien Demokratischen Partei speziell jungliberal sei. Oder aber, dass das Grundsatzprogramm eben nicht "mehr Freiheit" (oder Liberalismus) vertritt, sondern eben "Im Grundsatz JuLi" ist. Man kommt nicht auf die Idee, dass man vielleicht "Mehr Freiheit wagen" könnte, sondern lockt die Menschen damit, dass sie "Den JuLi wählen" sollen. Und manch einer soll sogar schon die Worte liberal und demokratisch verwechselt oder zumindest synonym gebraucht haben. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass ein jungliberaler Landesvorsitzender Derivate der Demokratie sehr viel öfter in seinen Reden verwendet denn Ableitungen des Liberalismus oder - um es auch denen verständlich zu machen, die keine Fremdworte verstehen - der Freiheit.

Um dem werten Leser aber nicht noch mehr Zeit zu stehlen, beende ich die Wortklauberei und Rabulistik an dieser Stelle. In diesem Sinne: Dobranoc!

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