14. April 2005 - Überraschend legen Deutsche und Amerikaner ihr Veto gegen Ratzinger ein - und brechen damit eine Regel, die Papst Pius X. (1903-1914) im Jahre 1904 aufgestellt hat.
16. April 2005 - Das Konklave ist offenbar in zwei Fraktionen gespalten. Die ganze Welt bangt, ob dennoch ein Papst gefunden werden kann.
Doch heute ist es endlich soweit: Wir haben keine Kosten und Mühen gescheut, um Ihnen zu Hause die Papstwahl live und in Farbe präsentieren zu können.
Guten Abend und herzlich willkommen zu unserer langen Super-Konklave-Papst-Wahlnacht 2005. Mein Name ist Margot Drewe und neben mir steht mein Kollege Hans-Eugen Küngemann, der mit mir heute Abend den Wahlverlauf analysieren wird. Guten Abend, Hans-Eugen!
Guten Abend, Margot!
Sag mir, Hans-Eugen, wie sieht es aus? Gibt es schon einen Favoriten, der sich herauskristallisiert hat?
Oh, das kann man so noch nicht sagen. Natürlich gibt es da einige Favoriten, man denke nur an Josef Ratzinger, der eine unheimlich starke Basis hat, oder auch an den Kardinal Tettamanzi, aber insgesamt kann man das noch nicht so genau sagen. Was man allerdings genauer sagen kann, ist, dass das Konklave in diesem Jahr in zwei Fraktionen geteilt, man mag fast schon sagen gespalten ist. Da sind zum einen die Konservativen, die alles so belassen wollen, wie es ist, zum anderen die Progressiven, die Fortschrittlichen, die Reformer, die sich der Welt öffnen wollen, damit die Bilanzen der Katholischen Kirche endlich mal wieder steigen.
Ja, nach knapp 500 Jahren seit der Reformation wäre das mal wieder nötig, dass die Bilanzen steigen.
In der Tat, das ist es.
Aber jetzt mal zu etwas Allgemeinem: Wie läuft die Wahl denn ab? Gibt es da irgendwelche Besonderheiten oder Unterschiede zu herkömmlichen Wahlen?
Ja, also zuerst einmal natürlich der große Unterschied, dass die Papstwahl eigentlich keine Wahl in unserem Sinne ist. Denn schließlich kann ja nicht jeder Italiener oder Deutsche oder Franzose...
... oder Amerikaner ...
... oder Amerikaner zur Wahl gehen. Das können nur die Kurienkardinäle, deren Zahl in diesem Jahr 115 beträgt. Und dann ist ja natürlich noch die Abgeschottenheit, in der diese Wahl dann stattfindet. Es darf nämlich kein Sterbenswörtchen nach Außen dringen. Als gute Journalisten haben wir aber natürlich unsere Quellen und Informationskanäle im Vatikan.
Natürlich.
Und dann wäre da natürlich noch die Aufsplittung des Konklaves in die Vertreter der verschiedenen Erdteile.
Wie darf man sich das vorstellen?
Naja, in etwa wie das us-amerikanische Wahlmännersystem. Nur dass die Wahlmänner, wenn man es so will, von Papst Johannes Paul II. persönlich eingesetzt wurden.
Soviel zum Thema "Demokratie und Kirche", wie?
Ja, in etwa.
Und wie ist das Konklave also zusammengesetzt?
Da gibt es keine spezielle Regelung, die Ernennung der Kardinäle obliegt alleine dem Papst. Er ist da an keine Regeln gebunden. Aber das diesjährige Konklave hat, wie bereits erwähnt, 115 stimmberechtigte Kardinäle. Davon kommen 20 aus Italien und 38 aus dem Rest von Europa, 11 aus Afrika, 18 aus Nordamerika, 4 aus Mittelamerika, 12 aus Südamerika, 10 aus Asien und 2 aus Ozeanien.
Alleine 20 aus Italien? Das macht dann für Europa also insgesamt 58 Kardinäle. Ist das nicht eine zu große Übermacht?
Das kann man so sehen. Aber es wird immer damit argumentiert, dass der Papst ja in erster Linie Bischof von Rom sei.
Und kann man schon sagen wer wie wählen wird?
Nunja, man geht davon aus, dass die 20 Italiener sich auf einen ihrer Kandidaten, allen voran Carlo Martini, festlegen. Nordamerika und Ozeanien dürften dies ebenso tun, während Mittel- und Südamerika sowie Asien generell eher zu einem aus ihren Reihen tendieren. Wichtig sind vor allem die sog. "swing-states" Afrika und Rest-Europa. An ihnen steht und fällt der neue Papst. Denn alleine Gesamteuropa, Nordamerika und Ozeanien hätten schon die notwendige Mehrheit, um das neue Oberhaupt der Kirche zu küren.
Da bliebe aber dann ja ein Großteil der katholischen Bevölkerung unberücksichtigt. Schließlich leben ja die meisten Katholiken in Südamerika.
Das ist richtig. Aber es ist eben eine Besonderheit des katholischen Wahlsystems, dass der neue Papst nicht unbedingt die Mehrheit in der Bevölkerung braucht. Wichtig ist die Mehrheit im Konklave.
Oh, ich höre hier gerade über den Kopfhörer, dass die ersten Hochrechnungen schon eingetroffen sind.
Kann einer der beiden denn noch gewinnen?
Theoretisch ja, wenn er beide "swing-states" gewinnen kann. Es ist nämlich eine weitere Besonderheit des katholischen Wahlsystems, dass der neue Papst eine Mehrheit von zwei Dritteln des Konklaves benötigt, was momentan mindestens 77 Sitze sind.
Und wenn keiner der Kandidaten eine Mehrheit auf sich vereinigen kann?
Tja, dann haben wir einen Patt und es steigt schwarzer Rauch aus dem Kamin an der Sixtinischen Kapelle auf. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn Ratzinger die Stimmen aus Afrika, Martini aber die Stimmen aus Rest-Europa gewinnen könnte. Da würden selbst die beiden Sitze von Ozeanien nichts mehr richten können.
Und wie oft darf das Konklave wählen?
Wie wird man fortfahren in den Reihen der Konservativen, wenn denn nun Josef Ratzinger nicht zum Papst gewählt wird?
Naja, zu allererst wird man natürlich versuchen, sich mit dem neuen Papst zu arrangieren, die Franzosen nennen diesen Zustand "cohabitation".
Aber wird das denn die Konservativen nicht in eine Krise stürzen?
Das wäre eine Möglichkeit, allerdings nur, wenn Martini in diesem Wahlgang nicht die notwendige Mehrheit erreichen kann und die progressive, die fortschrittliche Fraktion dann einen Kandidaten nominiert, der noch viel radikalere Reformen einzugehen bereit ist - beispielsweise die Abschaffung des Zölibats...
... was natürlich große Teile der Bevölkerung begrüßen würden.
In der Tat. Überhaupt ist die konservative Fraktion vor allem wegen ihrer Haltung in Bezug auf Zölibat und Abtreibung in harsche Kritik geraten.
Und besteht nach einer Niederlage bei der diesjährigen Papstwahl die Möglichkeit, dass die konservative Fraktion ihre Haltung überdenkt?
Das kommt stark darauf an, wie lange der nächste Papst im Amt sein wird, welche Reformen er dann genau angehen wird und vor allem welche Kardinäle er ernennen wird, die ihrerseits dann wieder einen Nachfolger wählen. Da bestünde dann nämlich theoretisch die Möglichkeit, dass es beim nächsten Konklave überhaupt keine konservative Fraktion mehr gäbe.
Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies so kommt?
Wie werden sich die Fraktionen im neuen Wahlgang verhalten? Werden sie die Kandidaten tauschen? Oder werden die selben erneut antreten?
Das ist nicht vorhersehbar. Aber die Erfahrung zeigt, dass man in den ersten vier, vielleicht auch fünf oder sechs Wahlgängen die Kandidaten nicht wechselt, um deren Mehrheitsfähigkeit genau ausloten zu können. Erst dann, also nach dem zweiten oder dritten Tag, wird rochiert, es werden nötigenfalls Koalitionen der einzelnen Kontinente gebildet. Und natürlich werden die "swing-states" noch erbitterter umkämpft.
Meine Damen und Herren, damit auch Sie zu Hause nicht zu kurz kommen, haben wir schon im Verlauf der letzten Woche eine TED-Umfrage gestartet, der Titel lautete "Konklave im Wohnzimmer". Durch diese Umfrage konnten Sie selbst entscheiden, wen Sie gerne als neuen Papst hätten. Hans-Eugen Küngemann und ich werden nun die Ergebnisse vorstellen und analysieren.
Ja, in der Tat, an dieser Umfrage hat man sehr schön sehen können, dass sich unsere Zuschauer am liebsten einen reformfreudigen Papst wünschen, der auch von alten und überkommenen Zöpfen wie dem Zölibat oder der Ablehnung der Schwangerschaftsunterbrechung ablassen kann. Mit einer überwältigenden Mehrheit von 98% lehnten Sie einen Kandidat aus dem konservativen Lager ab und am liebsten hätten 58% unserer Zuschauer einen Papst aus der Dritten Welt. Weiterhin sprachen sich 89% unserer Zuschauer dafür aus, das Kondom als Verhütungsmittel zuzulassen, nicht zuletzt als Schutz vor dem gefährlichen HI-Virus, der vor allem in der Dritten Welt grassiert und seit Jahren das Stigma der hemmungslosen Promiskuität darstellt.
Nun legte unsere Umfrage aber auch offen, dass lediglich 11% der Zuschauer katholisch sind. Hat das etwas zu bedeuten?
In der Tat. Es zeigt sehr schön, dass die katholische Kirche ihrem Namen gerecht wird. Schließlich bedeutet "katholisch" auf deutsch "allumfassend" und wie man sieht, trifft das auf das Interesse an der katholischen Kirche zu. Obwohl nur knapp ein Zehntel der Zuschauer katholisch ist, sind dennoch alle anderen Nicht-Katholiken - zu denen neben den Protestanten im Übrigen auch Muslime, Juden oder Hindus zählen - sehr interessiert daran, wie es in der katholischen Kirche weitergeht und wer ihre Geschicke lenken wird.
Na dann hoffen wir mal, dass alle Zuschauer auf ihre Kosten kommen. Gibt es bereits Neuigkeiten über die Hochrechnungen für Rest-Europa?
Einen Moment ... ja ... gerade wird mir etwas darüber mitgeteilt. Es gibt scheinbar herbe Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung. Manche Stimmzettel sollen unzureichend ausgefüllt sein ... oder ... sie sollen nicht eindeutig einen Kandidaten benennen ... einen Moment ...
Also ist etwas dran an den Manipulationsvorwürfen gegen das konservative Lager? Dort sollen im Vorfeld einige Dinge ans Tageslicht gekommen sein.
Naja, das Problem liegt ja daran, dass die Kardinäle mit diesem Konklave eine neue Art des Wählens eingeführt haben. Es gibt jetzt nicht nur die klassischen Stimmzettel, auf die man per Hand den Namen der Person, die man wählt, schreibt, sondern es gibt auch vorgedruckte Exemplare, die man lediglich bei dem gewünschten Kandidaten markieren muss. Und mit diesen scheint etwas nicht zu stimmen.
Also ...?
Es scheint, als erhärteten sich die Vorwürfe gegen das konservative Lager. Ich höre hier gerade, dass ein Viertel der resteuropäischen Stimmen ungültig sei, weil die vorgefertigten Wahlzettel unzureichend markiert seien.
Wird das das Vorankommen des Konklaves erschweren oder gar verhindern?
Das kann man so genau nicht sagen, da so etwas in der zweitausendjährigen Kirchengeschichte noch nie vorgekommen ist. Logisch eigentlich, denn in diesem Konklave wird das erste Mal eine solche Art des Wählens praktiziert.
Hat man also diese Wahlscheine zuvor nicht ausreichend geprüft?
Nein, wie es aussieht nicht. Sie wurden direkt von der italienischen Firma, die diese hergestellt hat, in die Sixtinische Kapelle transportiert. Einen Moment ... ich bekomme gerade ins Ohr geflüstert, dass der Wahlleiter die gültigen Stimmen ausgezählt hat. Es scheint, als habe bisher keiner der beiden Kontrahenten eine wirkliche Mehrheit. Sowohl Ratzinger als auch ... Moment ... der Wahlleiter gibt gerade bekannt, dass Martini die Mehrheit in Rest-Europa erringen konnte. Martini hat die Mehrheit. Damit hat er nun auch noch die 38 Sitze von Rest-Europa gewonnen, womit er nun insgesamt 83 Sitze errungen hat. Das ist mehr als die benötigte Anzahl. Damit kann ich Ihnen wohl verkünden: "Habemus ..." - einen Moment ...
Hans-Eugen, ich höre gerade, dass die Auszählung der Stimmen wiederholt werden soll. Es scheint wirklich knapp gewesen zu sein.
Ja, das ist richtig, Margot, die Auszählung wird wiederholt. Das heißt, die wiederholte Auszählung ist schon im Gange. Unfassbar. Ich höre gerade ... wir haben einen neuen Papst ... Martini hat Europa jetzt doch gewonnen. Somit hat er die Mehrheit. Martini ist der neue Papst.
Dann werfen wir doch mal einen Blick auf den Petersplatz, schauen wir uns den Kamin der Sixtinischen Kapelle an, aus dem in diesem Moment der weiße Rauch aufsteigen müsste...
Es ist eine Sensation, meine Damen und Herren, bereits im ersten Wahlgang wurde ein neuer Papst ermittelt...
Es müsste in jedem Moment weißer Rauch aufsteigen ... es steigt auch Rauch auf ... aber der ist ... schwarz. Hans-Eugen?
Oh, ich höre gerade ... ja ... die Auszählung wurde abgebrochen, es wurde ein neuer Wahlgang angesetzt. Wir haben doch keinen Papst, es wurde ein neuer Wahlgang angesetzt. Alle Vorfreude auf einen Reformpapst war umsonst, Ratzinger ist wieder im Rennen. Ist es denn zu fassen, meine Damen und Herren?
Ja, und mit diesen Bildern verabschieden wir uns hier einmal von Ihnen, liebe Zuschauer, und geben direkt nach Berlin in unsere Sendeanstalt, wo jetzt die Nachrichten aus aller Welt gesendet werden.
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