Montag, 25. April 2005

Die Sehnsucht nach der ganzen Erde

Das in letzter Zeit viel gebrauchte Wort "Ökumene" kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt soviel wie "die ganze Erde".

Bis zum elften Jahrhundert n. Chr. waren die Christen in einer Kirche organisiert, die man heutzutage wohl als "ökumenisch" bezeichnen würde. Sie selbst bezeichnete sich aber als katholisch (allumfassend) und orthodox (rechtgläubig). Mit dem Schisma von 1054 spalteten sich die Orthodoxen, wie sie sich weiterhin selbst nennen, in den sog. "Ostkirchen" ab, weil sie u.a. den Primat des Bischofs von Rom als Nachfolger Petri nicht anerkennen wollten - der Bischof von Rom und der Patriarch von Konstantinopel exkommunizierten sich gegenseitig.

Ab dem Jahre 1517 war es dann ein Deutscher, namentlich Martin Luther, der der christlichen Ökumene einen weiteren Schlag verpasste: Mit seiner "Augsburger Konfession", die ebenfalls den Primat des Papstes ablehnte und die Leitung der Kirche lieber den weltlichen Fürsten anheim legte, schuf er in Deutschland den Grundstein für eine Diskussion, welche vor allem heute, mit dem Wechsel auf dem Stuhl Petri, erneut in das öffentliche Bewusstsein der Bevölkerung gerückt ist. Diese "Reformation" des einstigen Augustinermönchs verlief nahezu parallel zu anderen Abspaltungen, die ihre prominentesten Vertreter in Calvin und Zwingli haben.

Doch als wäre das nicht schon genug, spalteten sich im 16. Jahrhundert auch die Christen Englands unter ihrem König Heinrich VIII. ab, der daraufhin - aus Gründen des eigenen Nutzens - nicht nur die Scheidung einer Ehe möglich machte, sondern sich gleichzeitig zum Oberhaupt der sog. "anglikanischen" Kirche bestimmte. Und spätestens zu diesem Zeitpunkt war die heute so hoch gehandelte Ökumene der Christen für viele Jahrhunderte zerstört.

Erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts hat sich - überwiegend in den nichtkatholischen Bekenntniskirchen - der Hang zur Gemeinschaft der Christen, zur Ökumene, herauskristallisiert. Es war Nathan Söderblom, der schwedische Erzbischof, der sich dafür einsetzte, dass im Jahre 1925 eine "Weltkirchenkonferenz für praktisches Christentum" abgehalten wurde, zu der freilich auch die römisch-katholischen Vertreter eingeladen waren.

Dem entgegen stand aber das Selbstverständnis der Kirche zu dieser Zeit: Der im ersten vatikanischen Konzil nochmals bekräftigte Grundsatz, dass die katholische Kirche gemäß ihres Namens allumfassend sei, also sämtliche Christen in sich vereinige, machte die Bestrebungen zur Ökumene sinnlos, da diese demnach bereits verwirklicht war. Die wohl einzige Ausnahme war der konfessionsübergreifende Kampf der Christen gegen den nationalsozialistischen Führerstaat im Deutschland der 30er und 40er Jahre.

Das Pontifikat Johannes XXIII. und die damit einhergehende Einberufung des zweiten vatikanischen Konzils (1962-1965) hingegen bereitete den Weg, auf dem die Kirche von jenem aus heutiger säkularisierter Sicht wohl als anmaßend empfundenem Selbstverständnis abkam und sich den anderen Glaubensgemeinschaften, die Christus ebenfalls als Gott und Erlöser anerkennen, öffnete. Bereits im Jahre 1961, also sogar noch im Jahr vor dem zweiten Vaticanum, nahm die katholische Kirche in Form von Beobachtern die Verbindung zum 1948 erstmals abgehaltenen Weltrat der Kirchen auf. Das Konzil selbst legte diesbezüglich einer wichtigen Neuerung im Selbstverständnis der Kirche das Fundament: Sie sah sich nicht mehr als Repräsentantin aller Christen, sondern erkannte - unter dem Vorbehalt des eigenen Absolutheitsanspruchs, den jede Glaubensgemeinschaft hat - an, dass es auch außerhalb der katholischen Kirche Elemente gibt, die den Geist Jesu Christi (oder zumindest einen Teil von ihm) praktizieren. So besuchte dann auch Paul VI., im Volksmund wegen einer Enzyklika oft spöttisch als "Pillen-Paule" bezeichnet, im Jahre 1969 erstmals das ökumenische Zentrum in Genf, der Stadt, in der der ständige Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) seinen Sitz hat. Bis heute jedoch ist die katholische Kirche kein vollwertiges Mitglied im ÖRK, sondern arbeitet nur mit ihm zusammen. Die wichtigste Institution hierzu ist das "Sekretariat zur Förderung der Einheit" das schon 1960 gegründet wurde.

Was nun als vielversprechend für die Wiederherstellung der christlichen Einheit gesehen werden kann, muss sich andererseits aber glaubenstechnischen Fragen und damit einem scheinbar unüberwindbaren Graben stellen: So sehen Protestanten im Abendmahl oder in der Kommunion nicht - wie Katholiken - die Wandlung von Brot und Wein zu Christi Fleisch und Blut (also der, nach katholischem Verständnis, herausragenden Essenz der Eucharistie), sondern lediglich einen symbolischen Akt, der an den letzten Abend Jesu mit seinen Jüngern erinnern soll. Die Orthodoxen erkennen andererseits den Primat des Papstes als Nachfolger Petri, auf den Jesus gemäß dem Evangelium seine Kirche bauen wollte, nicht an. Auf der anderen Seite jedoch kennen Orthodoxe und Katholiken keine Scheidung, während diese einer der Grundpfeiler der Gründung der anglikanischen Kirche war. Die Verwirklichung der Ökumene in einem einheitlichen Christentum würde daher für viele, ja sogar für alle christlichen Glaubensgemeinschaften die Aufgabe ihrer eigenen Lehre bedeuten.

Dass solche Glaubensfragen aber nicht unüberwindbar sind, zeigt ein von den Forderern der Ökumene wohl übersehenes oder zumindest nicht beachtetes Ereignis, das im Jahre 1999 - während des Pontifikats von Johannes Paul II. - in Augsburg stattfand. Dort erklärten Katholiken und Protestanten einen fast 500 Jahre währenden Lehrstreit offiziell für beendet: den Lehrstreit über die Frage, wie man zur Erlösung gelangt. Der katholischen Überzeugung, dass dies auch durch Taten möglich sei, stand die protestantische Überzeugung, dass dies nur durch den Glauben möglich sei, entgegen. Geeinigt hat man sich auf einen Kompromiss: Sowohl der Glaube als auch die Taten eines Menschen sind wichtig, um erlöst zu werden. Und wenn dieser Streit um die Frage der Erlösung, also um das Kernstück des christlichen Glaubens, beigelegt ist - warum führt man dann einen Glaubenskrieg auf solchen Nebenschauplätzen wie "Frauenpriestertum" und "Zölibat"?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen