Montag, 20. Juni 2005

"Wege zum Glück"?

Fernsehformate kommen und gehen wie Besucher an der Würstchenbude. Was vor vielen Jahren einmal die Talkshow war, wurde dann zur Soap, zur Quizshow, zur Gerichtsshow und zur Castingshow. Momentan ist wohl gerade das Format "Telenovela" hoch im Kurs.

Soweit mich meine etymologischen Fähigkeiten nicht täuschen, setzt sich dieser Begriff aus Television, also Fernsehen, und Novela, also Novelle, zusammen, was dann bedeutet, dass eine Telenovela ein Fernsehroman ist. Da der Roman aber für einen simplen Film im Abendprogramm zu lang oder inhaltlich zu lau ist, wird er in Form einer Serie, ähnlich wie bei einer Daily oder Real-Life Soap, abgewickelt. Ein signifikanter Unterschied zu den beiden Vorgängerformaten ist aber die in sich geschlossene Handlung. Bei der Telenovela muss man für eine Fortsetzung/zweite Staffel schon einen neuen Roman schreiben, während man die Soap an einem beliebigen Punkt abbrechen oder wiederaufnehmen kann.

Nun sind mir im deutschen Fernsehen bislang zwei Fernsehromane bekannt, von denen mich der eine von Zeit zu Zeit immer mal wieder tangiert. Vorzüglich dann, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme und es vorziehe, im Kreise der Familie, die sich zu dieser Zeit vor dem mittlerweile grauen Kasten platziert hat, zu dinieren.

Sein Name: "Bianca". Sein Inhalt (in a nutshell, wie es einst mein Englischlehrer bei "Moon Palace" so betont hat): Blonde Frau trifft Millionär, mit dem sie eine Liebesbeziehung eingeht, die leider immer wieder von schweren Schlägen überschattet wird. Das ganz normale Programm, denkt man sich. Doch, und das wollte ich erst selbst nicht glauben, in Wahrheit geht die Geschichte tiefer. Dieser Fernsehroman beschreibt den Schnappschuss aus dem Leben der Familie Bankmillionär, die im Gesamten unter dem Heffernan-Spooner-Syndrom leidet. Dafür sind drei Menschen notwendig, von denen aber nur zwei auf Kosten des dritten glücklich sein können. So sind dies bei den Namensgebern beispielsweise Arthur und Carrie, während Doug in die Röhre guckt. Und auch in der Literatur, die man allzu gerne in der Schule bespricht, kommt dieses Motiv zur Genüge vor: zum Beispiel in Kleists "Amphitryon", wo entweder nur Zeus oder nur Amphitryon mit Alkmene glücklich sein können. Oder in Büchners "Woyzeck", wo nur der Tambourmajor und Marie auf Kosten von Woyzeck glücklich werden können. Jedenfalls, die Dreierbeziehung ist wichtig. Bei "Bianca" gibt es die sogar in Hülle und Fülle. Was die Nussschale vorhin nämlich aus Gründen der Länge und Überschaubarkeit verheimlicht hat, ist der Sachverhalt, dass der strahlende Ritter, der Millionär, eigentlich verlobt ist und im Grunde genommen seine Verlobte betrügt. Anhand der regen Diskussion zwischen Mutter und Tochter im Anschluss an die Sendungen konnte ich ziemlich gut verfolgen, dass eines (zumindest für mich) schon frühzeitig klar war: Die Verlobte (bzw. später dann Ehefrau) des strahlenden Ritters muss sterben, damit Oliver (der bisweilen schaut wie eine Schildkröte) und Bianca (die Putzfrau, die eigentlich studiert und schon im Gefängnis war) glücklich werden können. Denn eines ist auch klar: Durch diese heimliche Affäre delegitimieren sich beide (vor allem aber der bereits gebundene Oliver) als strahlende Protagonisten. Und wohin diese Delegitimation führt, zeigt eine andere Dreiecksbeziehung überdeutlich: Auf der Eltern-Ebene verfährt nämlich Olivers Vater ebenso wie der Sohn. Mit dem Unterschied, dass er sich die Base der blonden Protagonistin anlacht und damit seine Ehefrau betrügt. Natürlich dämonisiert das den teuflischen Bankchef für die werten Zuschauer ungemein, obwohl dieser eigentlich nichts anderes tut als sein Sohn. Da Oliver aber auch nicht einfach die Verlobung aufbrechen kann, ohne daraufhin seine "weiße Weste" zu verlieren (schließlich würde sich dann offenbaren, dass er seine Verlobte/Ehefrau betrogen hat), muss die Beziehung auf anderem, auf "natürlicherem" Wege gelöst werden. Und da bleibt nur der Tod des Störfaktors übrig. Denn somit bringt es der junge Millionär unter einen Hut, gleichzeitig mit seiner neuen Flamme vereint zu sein, während er andererseits sein Ehegelübde nicht bricht.

Da es aber höchst unwahrscheinlich ist, dass eine junge Frau einfach so eines natürlichen Todes erliegt (und ein Mord von Seiten Oliver/Bianca ausgeschlossen ist), muss ein anderes Motiv herhalten: die Antagonisten. Diese werden dargestellt durch ebenjene Base, die schon in die Dreiecksbeziehung auf Eltern-Ebene verwickelt war, und durch den Halbbruder Olivers, den der Vater aus erster Ehe mitgebracht hat (und der aussieht wie Michael Müller aus switch) - ein diabolisches Paar, welches den Widerpart zu Oliver und Bianca darstellt und nur dadurch vereint wird, dass beide aus irgendeinem Grund die Familie abgrundtief hassen.

Nun war es also am heutigen Tage dann soweit: Die Ehefrau ist nach schier endlosen Wochen (durch das Zutun des diabolus ex machina) endlich gestorben. Wenn die Zeit der Trauer nun also beendet sein wird, so sollte man meinen, stünde dem Paar nichts mehr im Weg. Doch weit gefehlt. In der Zwischenzeit hat sich nämlich fernab des hauptsächlichen Handlungsstranges eine neue Dreiecksbeziehung gebildet, die allem Anschein nach ebenfalls nur mit dem Tod des Störfaktors beendet werden kann. Denn plötzlich ist Bianca in festen Händen und würde nun ihrerseits ihre Legitimität als Protagonistin mit weißer Weste verlieren, würde sie von heute auf morgen die Beziehung beenden. Zumal deshalb, weil sie trotz ihrer heimlichen Beziehung zu Oliver eine andere, eine offizielle Beziehung eingegangen ist.

Was man an diesem Fernsehroman also zweifellos nicht kritisieren kann, ist eine oberflächliche Handlung, die sich stets in romantisch verklärten Tagträumereien manifestiert und jeglicher Komplexität entbehrt. Was man auch nicht kritisieren kann, ist der Umgang mit dem Stoff innerhalb der Serie. Eigens zu diesem Zweck hat man sich nämlich beste Freunde für Oliver und seine nun verstorbene Verlobte/Ehefrau ausgedacht, die sowohl ein Lokal besitzen, das zum einen auf dem Gut der Familie steht und in das zum anderen nur Mitglieder der Familie gehen, die dabei praktischerweise wichtige Ereignisse aus einer distanzierteren Sicht zusammenfassen, aufarbeiten und gelegentlich kommentieren. Dazu gibt es noch gedankliche Monologe von Bianca (aus der Sicht der Protagonistin) und Zwiegespräche zwischen dem diabolischen Duo (aus der Sicht der Antagonisten), so dass dem Zuschauer keine Nuance der einzelnen Handlungsstränge entgehen dürfte.

Was man aber zweifelsfrei kritisieren kann, ist dieser inflationäre Umgang mit den Dreiecksbeziehungen. Neben den hier aufgezählten gibt es nämlich, wenn ich richtig aufgepasst habe, noch mindestens eine oder zwei weitere, die zwar mit dem Hauptstrang der Handlung nichts zu tun haben, die Serie (und damit den Roman) aber bei Bedarf beliebig verlängern können. Irgendwann wird der Einsatz des immer selben Musters nämlich langweilig. Selbst Fontane hatte bei seinem Referenzwerk "Effi Briest" mehr Einfälle, um ein wenig Abwechslung in dieses Muster zu bringen.[*]

Was man ebenfalls kritisieren kann, wenn nicht sogar muss, ist der riesige Logikfehler, ohne den dieser TV-Roman aber keinen Sinn hätte: Denn warum ist Bianca bestrebt, dem Millionärssohn nahe zu sein, wenn sie doch genau weiß, dass dieser nicht treu sein kann? Schließlich hat er doch seine langjährige Kindheits- und Jugendliebe zu Gunsten einer einfachen Zufallsbekanntschaft in den Wind geschossen


[*] Beispielsweise durch den inflationären Gebrauch von Metaphern für "Sex" und "Zukunft" oder das Duell, welches die Dreiecksbeziehung entwirrt, und zwar ohne dass der Protagonist dadurch einen moralischen Schaden erleidet; schließlich ist er innerhalb gesellschaftlicher Gepflogenheiten gefangen und zudem noch innerlich zerrissen. 

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