Circa festum sancti Andree treffen sich, wie Wilhelm von Nangis und der österreichische Reimeschmied Ottokar zu berichten wissen, vor der stat ze Tol ûf einer heiden der rex Francie Philipp IV., der noch zu Lebzeiten den Beinamen "der Schöne" erhielt, und der im Jahr zuvor zum König im alten ostfränkischen Reichsgebiet erhobene Habsburger Albrecht I. Aller Wahrscheinlichkeit nach beginnt dieses Königstreffen, das auf eine reiche Tradition aus vergangenen Jahrhunderten blicken kann, am suntag (Ottokar), den 6. Dezember 1299 und dauert drei Tage, ehe es am 8. Dezember mit einem festlichen Turnier, bei dem sich die Gefolgschaften beider Könige im Wettkampf messen, beendet wird. Auf diesen Tag sind auch die Urkunden datiert, welche von den Abmachungen des Treffens zeugen.
Unabhängig vom genauen Tag der Zusammenkunft liegt das Treffen in ebenjener Jahreszeit, die bereits seit den Tagen Philipp II. Augusti für solche Anlässe gewählt wurde. Der Zeitpunkt Ende November respektive Anfang Dezember birgt nämlich zwei wichtige Momente in sich: Zum einen liegt er außerhalb der Saison für Feldzüge; ein kriegerisches Treffen muss also von beiden Seiten nicht befürchtet werden. Dem inhaltlichen Abschluss einer amicitia steht daher auch eine äußere Friedfertigkeit zur Seite. Zum anderen liegt der Zeitpunkt noch vor Weihnachten, einem kirchlichen Hochfest. Dies ist insofern wichtig, als es beispielsweise zur Zeit Ottos I. durchaus üblich war, Herrschertreffen an Hochfesten abzuhalten. Hierdurch hatte gerade der Kaiser die Möglichkeit gehabt, seine volle Pracht zu entfalten und damit seinen überlegenen Status eindeutig zu demonstrieren. Die veränderten politischen Gegebenheiten verbieten im 13. Jahrhundert allerdings eine solche Repräsentation. Albrecht trägt zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kaisertitel, hat aber durch seine Erhebung zum König einen Anspruch auf selbigen. Er fiel allerdings in päpstliche Ungnade, da er vor seiner Thronbesteigung gegen den zuvor rechtmäßigen König Adolf von Nassau zu Felde gezogen war und dieser im Kampf fiel. Philipp hingegen kann zwar auf eine erheblich stärkere Machtposition verweisen als dies noch bei seinen Vorgängern der Fall war, besitzt aber keinen Anspruch auf höhere Ehren als die seiner Krone. Die Vermeidung einer Demonstration des jeweiligen Prunkes liegt so im Interesse beider Herrscher: Keiner will dem anderen nachstehen.
Die Wahl des Ortes lässt vorerst eine Anknüpfung an staufische Zeiten vermuten, schließlich trafen sich in dieser Region bereits im Jahre 1171 Kaiser Friedrich I. und König Ludwig VII. Dies lässt sich zum einen auf die damalige Rolle des Bischofs von Toul im Reichsverband der Staufer zurückführen, andererseits aber auch durch die größere geographische Nähe zu den staufischen Machtzentren erklären. Der Raum um Toul herum lag repräsentativer als die nordwestlicher gelegene Chiers-Maas-Gegend, auf der zuvor Treffen veranstaltet wurden. Diese These wird allerdings - ungeachtet des ungleich schwächeren Standes Albrechts - durch eine andere Tradition überlagert: nämlich die Abhaltung von Herrschertreffen als Zusammenkünfte an der Grenze beider Reiche. Bereits im Jahr 921 traf sich der westfränkische Herrscher Karl, genannt der Einfältige, mit seinem ostfränkischen Nachbarn Heinrich in der Mitte des Rheins, der damaligen Grenze beider Herrschaftsräume. Diese Praxis sollte gerade nach Dynastiewechseln im Ostreich eine feste Einrichtung werden: Seitdem trafen sich nach der Thronbesteigung einer neuen Familie die beiden Herrscher stets an der Grenze ihrer Reiche. Dies war wichtig, da ein solches Treffen die gegenseitigen Beziehungen neu definierte und vor allem gegenseitige Anerkennung bezeugte. Selbiges gilt auch für das Treffen im Jahr 1299: Mit Albrechts Regierungsantritt vollzog sich im imperium ein Wechsel des Herrschergeschlechtes. Wichtiger noch: Der Wechsel fand auf blutige Weise statt und Albrecht benötigt nun diese Anerkennung von außen - auch und gerade vom westfränkisch-französischen König, der als Herrscher der "ältesten Tochter der Kirche" dem Papst näher steht als der Habsburger. Als drittes Motiv, das Treffen in dieser Gegend abzuhalten, kann man aber auch die aktuelle politische Lage hinzuzählen: Die Grafschaft Bar stellt in jener Region den größten der mittleren und kleineren Herrschaftsräume dar. Sie liegt zudem in der Nähe der Grafschaft Champagne, die durch eine Heiratsverbindung an Philipp gefallen war und damit seit 1285 unmittelbar der französischen Krone untersteht. Im zwei Jahre zuvor beendeten Flandernkrieg stand sie auf der Seite Flanderns und bedeutet damit eine mögliche Bedrohung französischer Interessen. Zudem ist es aufgrund der Konkurrenz der Herrschaften dieser Region - auch und vor allem wegen der Stellung Bars - unter den jeweiligen Konfliktparteien Praxis, den französischen König um Schlichtung zu bitten. Es liegt also nahe, die Vermutung aufzustellen, dass Philipp die Wahl dieses Ortes durchaus genehm ist, um beim Treffen gleichsam die Lage in der Region zu klären.
Die Zusammenkunft selbst läuft nach den üblichen Gepflogenheiten ab: Die eigentlichen Verhandlungen fanden bereits ab dem Sommer des Jahres 1298 statt, wichtig ist nun vor allem der repräsentative Rahmen. Politik ist immer auch Symbolik - ein wesentliches Merkmal, das knappe siebenhundert Jahre später im medial ausgeleuchteten Theaterstaat gipfelt.
Zu diesem Zwecke treffen die beiden Gruppen cum magna pompa militum auf einer Lichtung, deren Name heute Quatrevaux lautet, aufeinander. Im Vorfeld befahlen beide Könige ihrem Gefolge, nur mit den prächtigsten Gewändern bekleidet zu erscheinen; Albrecht soll sogar so weit gegangen sein, Zuwiderhandlungen mit der Erhebung von Strafzahlungen respektive dem Ausbleiben des Fahrtgeldes zu ahnden. Wie Ottokar - der bisweilen seine antifranzösische Haltung offen zur Schau stellt - zu berichten weiß, übertreffen die ostfränkisch-deutschen Edelmänner ihre westfränkisch-französischen Partner um Längen.
Es folgt das Protokoll: Beide Gruppen nähern sich einander. Philipp steigt zuerst von seinem Pferd, anschließend Albrecht. Die Gefolgsleute bilden einen Ring um beide Könige. Die wiederum gehen aufeinander zu, ehe Philipp zuerst seinen Hut abnimmt, worauf Albrecht dasselbe tut. Solcherlei Gesten sind sehr wichtig, können sie doch von beiden Seiten zu ihrem Vorteil interpretiert werden: Aus Albrechts Sicht kann die Tatsache, dass Philipp zuerst handelt, ganz klar als Beleg für den Rangunterschied der beiden gedeutet werden - er, der römisch-deutsche Kaiseraspirant steht höher; der Rangniedrigere grüßt zuerst (eine Gepflogenheit, die sich vor allem beim Militär bis ins dritte Jahrtausend hält). Aus Philipps Perspektive jedoch kann das Agieren des Franzosen (im Gegensatz zum Re-Agieren des Habsburgers) ganz klar als Ergreifen der Initiative gesehen werden: Er, der rex Francie ist derjenige, der die Dinge anstößt; er veranlasst den ostfränkisch-deutschen König zum Handeln. Welche Interpretation man auch immer für die schlüssigere hält - falsch sind beide nicht, denn beide bringen die politischen Hintergründe direkt auf den Punkt: Das symbolpolitische imperium trifft sich hier, auf einer Lichtung, mit dem realpolitischen regnum.
Die zwei Würdenträger begrüßen sich nun minniclich unde guot, wie Ottokar den Leser informiert. Was dies genau bedeutet, ist heute nur zu erahnen. Plausibel wäre vom einfachen Handschlag über eine Umarmung bis hin zu einem freundschaftlichen Kuss jede Variante. Dem Beispiel der Herrscher folgen die anderen - qualis rex talis grex: wie der Herr, so das G'schärr.
Über den weiteren Verlauf des Treffens informiert, neben dem befangenen Reimeschmied aus der marcha orientalis, der wohl nicht weniger befangene Bericht einer Enquête des französischen Königshauses aus dem Jahre 1390, der sich um die Bereinigung strittiger Grenzfragen bemüht. Eine ortsansässige alte Dame kommt zu Wort, die erzählt, was sie wiederum von ihrem Vater, der das Treffen miterlebt hat, weiß:
Beide Könige beraten sich, sowohl über eine mögliche Heiratsverbindung zwischen einem Sohn Albrechts und einer Tochter Philipps, als auch über den Abschluss einer amicitia, also eines Freundschaftsvertrages. Solch ein Bündnis, auch societas oder foedus genannt, kann auf eine Tradition bis in antik-römische Zeiten verweisen. Im Ursprung ein Vertrag des caput mundi mit einem Bundesgenossen, also zwischen einem starken und einem schwachen Vertragspartner, erfuhr die amicitia im Laufe der Jahrhunderte eine Umdeutung in die Nähe zur fränkischen fraternitas, die ein Bündnis zwischen den jeweiligen Linien des fränkischen Königshauses beschrieb, das zwei Partner auf Augenhöhe eingingen. Dem Begriffswechsel liegt die verwandtschaftliche Entfremdung im Zuge der Reichsteilungen zu Grunde. Kurzum: Ein altbekannter Inhalt wurde mit neuem Etikett versehen, regnum und imperium versprachen sich gegenseitig Hilfe und Treue. Dem Bündnis folgt dann, gemäß der Enquête, jene berühmte Grenzsteinsetzung, die Albrecht in der älteren Forschung den Vorwurf der Abtretung deutscher Gebiete einbrachte. Vor allem der Historiker Fritz Kern ist hier hervorzuheben, der sich mit diesem Themenkomplex intensiv auseinandergesetzt hat und dessen Abhandlung "Die Anfänge der französischen Ausdehnungspolitik bis zum Jahr 1308" aus dem Jahre 1910 noch immer als Standardwerk gilt. Philipp und Albrecht grenzen, der Enquête zufolge, beide Reiche mit teilweise sehr teuren Grenzmalen (mitunter aus Edelmetall) voneinander ab. Zum Zeitpunkt der Untersuchung sind diese Steine allerdings nicht mehr auffindbar. Die alte Dame berichtet jedoch davon, dass beide Könige - um dieses Ereignis im Gedächtnis der ansässigen Menschen zu verankern - Münzen unter das Volk werfen. Ihr Vater selbst habe die eine oder andere Münze besessen. Diese Geldgeschenke können jedoch auch einfach nur als Ausdruck der königlichen liberalitas interpretiert werden, einer Freigiebigkeit, die auf die besondere Gnade verweist, welcher der Herrscher teilhaftig ist. Die Frage der Authentizität der Grenzsteinsetzung ist also noch nicht endgültig beantwortet. Hernach begeben sich beide Könige in die nahe Martinskirche, wo sie der Heiligen Messe beiwohnen. Hiervon zeugt ein Bildnis König Philipps, das zeitnah an einer Wand der Kirche angebracht wird und der Enquête als Beleg für die Richtigkeit der Aussagen der alten Dame gilt.
Wie bereits erwähnt bilden Turnierspiele den Abschluss des Treffens, deren Ende die beiden Könige allerdings nicht abwarten. Sie reisen früher ab, ebenso wie einige Fürsten aus dem ostfränkisch-deutschen Lager; der prominenteste davon ist der Mainzer Erzbischof. Letzteres bezeugt, dass das Lager Albrechts anscheinend in sich uneinig ist, vermutlich auch wegen der Grenzfrage. Gerade die rheinischen Fürsten, die Albrecht zumindest mit Skepsis gegenüberstehen, können oder wollen eine Ausweitung des französischen Machtbereichs nach Osten nicht tatenlos hinnehmen. Da Anwesenheit jedoch auch Zustimmung bedeutet, bleibt nur die verfrühte Abreise.
Dies jedoch lässt Albrecht in einer sehr unangenehmen Situation, hat er doch offenbar nicht (mehr) sein gesamtes Reich hinter sich - eine Bedrohung seiner Verhandlungsposition sondergleichen, zumal die Großen des Reiches den geschlossenen Abmachungen auch zustimmen müssen, um ihnen Gültigkeit zu geben. Philipp zeigt sich jedoch konziliant: Er stimmt zu, dass die abwesenden Fürsten die Verträge auch noch im Nachhinein billigen können. Oder besser: müssen. Er hat damit ein Druckmittel gegen den Habsburger in der Hand, das seine eigene Position ungemein stärkt.
Auch hier treten die jeweiligen Gegebenheiten beider Reiche greifbar hervor: Das imperium als Personenverband mit Wahlmonarchie ist in Fragen der knallharten Politik dem regnum als flächenstaatlicher Erbmonarchie nicht vollständig ebenbürtig.
Der moderne Staat erringt einen frühen Sieg.
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