Sonntag, 20. Februar 2011

Kapitalismus als politische Ideologie und ontologische Kategorie

Mit dem Kommunismus als politischem Ziel und konkretem gesellschaftlichem Endzustand wird es oft brisant: Wo soll man denn überhaupt ankommen? Wer bestimmt, wann man angekommen ist? Wer bestimmt, wo man ankommt bzw. ankommen soll? Und wenn man will, dass alles "dem Willen des Volkes entsprechen" soll - kann man dann überhaupt irgendwo ankommen? Hat das Volk denn überhaupt so eine Art gemeinsames Bewusstsein, als dass ein solches Ziel über Jahre oder Jahrhunderte hinweg definiert und verfolgt werden könnte?

Immanuel Kant spricht sich in seinem Aufsatz "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" zum Beispiel ganz klar dagegen aus, dass ein bestimmtes Volk irgendwann ein - wie er es nennt - "Symbol" (in der Bedeutung von lat. symbolum - Glaubensbekenntnis, was ja so ein im Kern ideologisches Ziel wie der Kommunismus zweifellos ist) festlegt, an das alle zukünftigen Generationen gebunden werden:

"Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zustand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muß, seine (vornehmlich so sehr angelegentliche) Erkenntnisse zu erweitern, von Irrtümern zu reinigen und überhaupt in der Aufklärung weiterzuschreiten. [...] Was aber nicht einmal ein Volk über sich beschließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, daß er den gesamten Volkswillen in dem seinigen vereinigt."

Hernach wäre es also vollkommen unabhängig von der Frage, ob ein Volk solch ein ideologisches Ziel praktisch definieren kann, wider die Aufklärung und wider die Freiheit, solch ein ideologisches Ziel im Sinne eines endgültigen Gesellschaftsmodells überhaupt definieren zu wollen, zu dem dann das Volk mittels demokratischer Wahlen und Abstimmungen gebracht werden soll.

Freilich verhält es sich nun so, dass Kants Argumentation auch auf einen "Kapitalismus" als politische Ideologie durchaus zuträfe. Begreift man die Marktwirtschaft aber - wie ich es vorschlagen würde - als ontologische Kategorie, die eine Art "Naturzustand" zwischenmenschlichen Handelns beschreibt, dann greift das Diktum nicht mehr. Die konsequent Liberalen sehen deshalb auch den Markt nicht als Instrument, um irgendein Ergebnis zu erreichen, sondern als einen Bereich zwischenmenschlicher Kommunikation, der gegen Angriffe geschützt werden muss. Ihr Standpunkt ist damit nicht utilitaristisch, wie dies bei einem "Symbol" im hier vorliegenden Kantschen Sinne der Fall wäre, sondern deontologisch, was Kants Standpunkt wiederum durchaus nahestünde.

Diese Doppeldeutigkeit des Kapitalismus- bzw. Marktwirtschaftsbegriffs, der beim Kommunismus-Sozialismus deswegen nicht auftritt, weil es hier ganz klar formulierte politische Programme gibt, scheint mir auch ein Grundproblem der gesamten Debatte zu sein. Aus ihr entspringt nämlich der Vorwurf: "Der Kapitalismus ist aber auch nicht besser!"

Mir erscheint es nun aber auch und gerade abseits des Kantschen Diktums sinnvoll, den Kapitalismus als politische Ideologie vom Kapitalismus als ontologischer Kategorie zu unterscheiden. Denn so kann man ganz leicht sehen, dass ontologischer Kapitalismus und ontologischer Sozialismus gar nicht einmal so weit auseinander liegen bzw. sich zumindest nicht widersprechen.

Dies hängt letzten Endes mit dem Menschenbild zusammen: Wer davon ausgeht, dass der Mensch ein gutes Wesen besitzt, der sieht Gewalt als die Negation dieses guten Wesens. Geht man hingegen davon aus, dass der Mensch in sich schlecht ist, dann wird der Naturzustand zwischenmenschlichen Handelns natürlich durch Gewalt bestimmt. Da Liberale und Sozialisten, die diesen Namen auch verdienen, eher frohe Gemüter sind, unterstellen sie dem Menschen eben ein gutes Wesen.

Was die konkrete institutionelle Einbettung des Marktes angeht, hängt natürlich viel davon ab, was unter "Institution" verstanden werden soll. Im soziologischen Sprachgebrauch kann der Markt freilich ganz prinzipiell nicht ohne Institutionen existieren, da keine menschliche Gesellschaft ohne Institutionen auskommt. Im politischen Sprachgebrauch kommt der Markt freilich ganz kategorisch ohne Institutionen aus, sind doch gerade staatliche Institutionen - als Monopole - Marktversagen par excellence.

Ich würde zuletzt auch darauf achten, nicht von "Marktwirtschaft als grundlegendes Merkmal allen menschlichen Seins" zu sprechen, sondern "freier Austausch zwischen verantwortlichen Individuen als natürliche Form zwischenmenschlicher Beziehung" sagen. Ersteres drückt ja mehr oder minder deutlich den Kapitalismus als politische Ideologie aus, während letzteres die ontologische Kategorie erläutert. 

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