Sonntag, 14. September 2014

Kreuz, Auferstehung und Historiographie

Gegen die Theorie, Jesus sei gar nicht gestorben, sondern nur betäubt gewesen, spricht die römische Kreuzigungspraxis: Ein Soldat, der es zulässt, dass ein verurteilter Rebell, ein Staatsfeind, der Hinrichtung entgeht, macht sich des Hochverrats schuldig. Man kann nach allem, was man so historisch herausgefunden hat, davon ausgehen, dass ein Hingerichteter auch wirklich tot war, wenn die Römer ihn hingerichtet haben. Gerade auch dann, wenn es sich um die brutalste Hinrichtungsmethode im Arsenal handelte. Wer das im Falle Jesu bezweifelt, muss mindestens erklären, welches Motiv die beteiligte römische Soldateska gehabt haben soll, gerade diesen Staatsfeind am Leben zu lassen.

Normalerweise kommt darauf der logische Einwand, dass er dann halt nicht gekreuzigt wurde: Keine Kreuzigung, kein Hochverrat der Soldateska. Das zieht allerdings wiederum die Frage nach sich, warum er dann nicht von den Juden als Messias anerkannt wurde (und wird): Schließlich war es das Ausschlusskriterium für einen Messiasprätendenten, wenn er von den Feinden Israels besiegt und/oder getötet wurde. Bar Kochba beispielsweise wurde von den eigenen Leuten umgebracht, als klar war, dass die Römer siegen würden. Ohne Kreuzigung kein Sieg der Feinde Israels, und das heißt, dass dieser Jesus wohl der Messias sein kann. Warum anerkennen bzw. anerkannten das die Juden der Zeitenwende nicht? Warum haben sie lieber behauptet, dass die Jünger dieses Prätendenten den Leichnam geklaut und versteckt hätten? Und warum haben die Zeitgenossen des Paulus es nicht ausgeschlachtet, dass der niemals gekreuzigte Jesus so gar nicht zu dem Christus passt, den er verkündet ? Da stehen wir jetzt vor der Entscheidung: Wollen wir vernünftig darüber reden, also handfeste Argumente betrachten? Oder wollen wir lediglich Vermutungen anstellen?

Die Beweggründe der Soldaten, die den hingerichteten Jesus bewachen sollten, sind insofern wichtig, als wir es hier - gesetzt den Fall sie haben ihn verfrüht vom Kreuz genommen und damit einem verurteilten Staatsfeind zur Flucht verholfen - mit Hochverrätern zu tun haben, die ihrerseits mit der Todesstrafe rechnen mussten. Warum sollte jemand das tun? Haben sich diese Soldaten plötzlich zu Jesus bekehrt? Oder wurden sie gar selbst hingerichtet? Oder zählt nun gerade bei ihnen nicht das Rationalitätspostulat?

Dass man dem Gekreuzigten noch etwas zu trinken gab, scheint nicht ungewöhnlich zu sein: Es war gängige Praxis, die Gekreuzigten nicht verdursten zu lassen - denn das würde Sinn und Zweck einer Kreuzigung verfehlen, der Verurteilte soll schließlich am Kreuz sterben und nicht an Flüssigkeitsmangel. Es handelte sich deshalb auch nicht um einen Betäubungstrank, sondern um Essigwasser (posca), ein seinerzeit weit verbreitetes, da günstig herzustellendes Getränk, vor allem auch unter römischen Soldaten, das zur Erfrischung diente - also gerade das Gegenteil einer Betäubung.

Und, ja, Jesus soll noch am Tag seiner Kreuzigung vom Kreuz genommen worden sein. Von jüdischer Seite her lässt sich das dadurch erklären, dass ein "Gehenkter" - laut Dtn 21,23: "ein von Gott Verfluchter" - nicht über Nacht hängen bleiben darf, um das Land nicht zu verunreinigen. Insofern hatten da gerade die jüdischen Gegner Jesu ein Interesse daran, den Leichnam so schnell wie möglich abzunehmen. Voraussetzung war freilich, dass der Gekreuzigte tot war. Da sind wir wieder beim Ausgangspunkt: Wenn die Soldaten ihn freigeben, dann darf er wirklich nicht mehr leben. Eine Möglichkeit, den Tod etwas zu beschleunigen, bestand im Zertrümmern der Knie, so dass das Körpergewicht des Gekreuzigten nur noch an den Armen lastete - der Tod kam dabei zwar schneller, aber auch schmerzhafter. Für die Mitgekreuzigten Jesu ist das überliefert, bei ihm selbst nicht. Das lässt den Schluss zu, dass er bereits gestorben war. Zu guter letzt wurde der Tod auch nochmal durch einen Stich mit der Lanze überprüft (was für Jesus überliefert ist). Also: Ja, Jesus hing kürzer als üblich am Kreuz; der Evangelist Markus überliefert sogar, dass Pilatus überrascht gewesen sein soll, dass Jesus schon tot sei (Mk15,44). Andererseits darf man auch nicht vergessen, dass im Falle Jesu auch eine Geißelung überliefert ist - die hat den Verurteilten nicht nur nochmal erniedrigt, sondern sein Sterben (zum Preis größerer Schmerzen) durchaus beschleunigt. Jedenfalls wird man davon ausgehen müssen, dass Jesus - so er denn gekreuzigt wurde - wirklich tot war, ehe man ihn vom Kreuz nahm.

Das ist nun die Spannung, in der sich der Historiker befindet, wenn er sich dem Sachverhalt wissenschaftlich nähert: Einerseits soll der Historiker den Fakten Rechnung tragen, andererseits soll er ein kohärentes Narrativ erzeugen. Wenn er die Geschichte als Kontinuum behandeln will, dann darf er - historia non facit saltus - keine Auferstehung annehmen, und er muss eine externe (außergeschichtliche) Ursache für geschichtliche Ereignisse wohl oder übel ignorieren. Wenn er folglich annimmt, Jesus sei gestorben und nicht auferstanden, dann muss er mindestens das soziale Handeln der frühen Christen erklären. Bewusster Betrug und psychische Störung böten dafür natürlich erstklassige Anknüpfungspunkte, haben aber - vom rein quantitativen Aspekt abgesehen (die Betrugsvariante müsste mit Kategorien einer groß angelegten Verschwörungstheorie hantieren, die Variante der geistigen Störung von einer psychotischen Pandemie sprechen) - einen eklatanten Schwachpunkt: Sie stellen bestimmte Werturteile höher als die Wissenschaftlichkeit. Wenn die zu erforschenden Personen von vorn herein als Betrüger oder psychisch Kranke gelten, dann kommt am Ende jedes Ergebnis heraus, das der Forscher haben möchte. Das ist letztlich ein klassischer Zirkelschluss, der voraussetzt, was er begründen möchte. Wer das durchziehen will, muss mindestens darlegen, warum die Zweckrationalität ausgerechnet bei dieser Gruppe nicht als heuristisches Mittel angewandt werden darf.

Wer daraufhin auf die Annahme setzt, dass Jesus dann eben schlichtweg nicht gestorben sei, der muss mindestens erklären, wie man so eine Kreuzigung überleben kann. Und das führt, wie gesehen, mindestens zu der Frage, warum die beteiligten Soldaten einem verurteilten Staatsfeind zur Flucht verholfen haben sollten. Auch hier steht die Anwendung der Zweckrationalität als heuristisches Mittel im Raum; schließlich bestanden Kreuzigungskommandos auch nicht aus irgendwelchen blutjungen und unerfahrenen Wehrpflichtigen o.ä., sondern aus Leuten, die wissen, was sie tun.

Die eleganteste Lösung für den Historiker besteht meines Erachtens darin, die Kreuzigung als Höhe- und Endpunkt dieser Geschichte (auch und gerade im narrativen Sinne) sowie die Verkündigung des Auferstandenen als neuen Anfang zu behandeln. Was dazwischen liegt, bleibt notwendigerweise undefiniert, da sich kein wissenschaftlich kohärentes Narrativ konstruieren lässt. Eine Art historischer Quantensprung also. Wie das in den jeweiligen weltanschaulichen Rahmen passt, betrifft eine andere Diskussion.

Addendum.

Zu den Auferstehungserzählungen in den Evangelienberichten: Älter als die Evangelienberichte, und damit auch weitaus früher in den Gemeinden in Umlauf, ist freilich der paulinische Briefkorpus. Der spricht nahezu ausschließlich vom Auferstandenen. Da überrascht es nicht, dass die Evangelienberichte - die sich um Leben, Lehre und Leiden Jesu drehen - in der Hinsicht etwas sparsamer sind. Wenn hierbei nun nach dem Unterschied zu "anderen Sagen und Märchen" gefragt wird, dann ignoriere ich mal diese kunstvolle petitio principii - "andere" setzt ja voraus, das das, worüber wir reden, unter "Sagen und Märchen" fällt -, und verweise beispielhaft darauf, dass eben die Urheber dieser "Sage und Märchen" sich dafür haben umbringen lassen. Wie erklärt sich das? Waren sie so bescheuert, dass sie irgendwann für ihre eigene Lüge in den Tod gegangen sind? Haben sie sich selbst so fanatisiert? Oder sind sie gar nicht umgebracht worden, also keine Blutzeugen (Märtyrer) für ihre Geschichte? Andersherum kann man natürlich auch fragen: Für welche "anderen Sagen und Märchen" haben sich auch Leute umbringen lassen?

Zur Diskussion des "spärlichen" Quellenbestandes: Gewürdigt wird Jesus in den Aufzeichnungen eines gewissen "Matthäus", eines gewissen "Markus", eines gewissen "Lukas" und eines gewissen "Johannes". Hinzu kommt noch ein jüdischer Römer namens "Saul", der später als "Paulus" bezeichnet wird und in vielen Briefen von diesem Jesus schreibt. Andererseits: Die Quellen über Karl den Großen sind außerhalb des engeren historischen Kontinuums, in dem er steht, ebenfalls mau - wir haben ja überwiegend mitteleuropäisch-fränkische Quellen, also Überlieferungen seiner Anhänger und angeblichen Untertanen. Und ich verweise auch gerne auf Sokrates: Der wird für uns letztlich ebenfalls nur durch seine Evangelisten greifbar, ohne dass die gesamte (nach-)sokratische Philosophie sich dadurch diskreditieren würde. Aber vielleicht haben diese beiden Leute auf ihre Zeitgenossen auch keinen großen Eindruck gemacht, wer weiß. Ein implizierter Gegensatz zwischen Historiographie und historischen Hilfswissenschaften ist indes schlicht unzutreffend, denn prinzipiell sind die numismatischen Quellen ebenso Quellen wie die schriftlichen Quellen. Sie beweisen prinzipiell weder mehr noch weniger als andere Quellen, und der Historiker ist in der Regel gut beraten, seine Quellenbasis so breit wie möglich anzulegen (Ausnahmen sind akademisch). Ich finde es jedoch äußerst erheiternd, dass aus der Ecke, die sonst die Exaktheit oder gar Wissenschaftlichkeit der Historiographie bestreitet (es fällt ganz gerne gar die Bezeichnung "Laberwissenschaften"), gerade in dieser Sache ein so vehementes Pochen auf historische Erkenntnis kommt. Honi soit qui mal y pense. Um einen letzten, aber nicht minder wichtigen Punkt aufzugreifen: Es verlangt niemand, bzgl. Karl dem Großen dürfe oder solle ausschließlich die Einhardsvita als Quelle herhalten. Im Gegenteil: Wohl wird, um in der Analogie zur Quellendiskussion um Jesus zu bleiben, von bestimmter Seite festgesetzt, die Einhardsvita dürfe keinesfalls als Quelle verwendet werden; schließlich entstamme sie seiner höfischen Umgebung und disqualifiziere sich damit selbst. Wenn nun die Quellenlage, die wir bei einem Frankenkönig und römischen Kaiser vorfinden, als Maßstab hergenommen wird, anhand derer andere historische Personen gemessen werden sollen, muss der Historiker natürlich bei anderen Personen scheitern. Aber das liegt in der Natur des losing by default. Andererseits: Darf man annehmen, dass folglich jegliche Darstellung bzgl. des Sokrates aufgrund der Quellenlage bezweifelt bzw. abgelehnt werden soll? Oder gilt diese Skepsis nur bei Jesus?

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