Mir ist durchaus bewusst, dass die Übergänge gerade vom Agnostizismus zum Atheismus vielfach als fließend betrachtet werden. Aber ich muss sagen, dass ich persönlich da ganz scharf trenne: Ein Agnostiker, der etwas auf sich hält, mithin also konsequent an die Sache geht, trifft keine Aussage über die Existenz des Inhalts irgendeiner Gottesvorstellung, da diese Frage für ihn vollkommen irrelevant ist. Er hält sich schlicht an die Fakten - und die sprechen für sich betrachtet weder für die eine noch für die andere Seite. Denn: Alles was darüber hinaus geht, fällt in die Domäne des Glaubens. Deshalb ist ein Atheist für mich auch niemand, der "keinen Glauben" hat (das ist nämlich der Agnostiker, der sich letztlich vor dem Glauben scheut und sich an das Beweisbare klammert, um nicht glauben zu müssen), sondern gerade der Atheist ist jemand, der einem bestimmten Glauben folgt - als Gegenstück des Theisten.
Was verstehe ich also unter einem Theisten? Ein Theist hat eine bestimmte Gottesvorstellung. Ob die nun besagt, dass es einen personalen Gott gibt, oder dass sämtliche Materie göttlich ist, oder dass Gott irgendwann den ersten Stein angestoßen hat und sich seitdem der Dominoparcours selbst erledigt, während er als bloßer Zuschauer agiert und nicht weiter eingreift - ganz egal. Allen Theisten gemein ist die Vorstellung, dass das Universum einer gewissen Ordnung bzw. einem Sinn unterworfen ist, und dass ihre Gottesvorstellung diese Ordnung und diesen Sinn beschreibt: Theisten glauben an den Kosmos.
A-Theisten hingegen glauben nicht an eine derartige Ordnung im Universum, für sie ist die Unordnung das Grundprinzip jeglicher Existenz: Atheisten sind Gläubige des Chaos.
Das, was die Wissenschaft als Regelmäßigkeit postuliert und worauf sie ihre Naturgesetze stützt, ist für den Atheisten bloßer Zufall, der dem Menschen die Fiktion von Ordnung vorgaukelt.[1] Darauf aufbauend erkennen sie ganz folgerichtig, dass jegliche Existenz keinen Sinn hat, also auch nicht das Leben. Wo ein Theist hier ganz einfach den Menschen hernehmen und daran glauben täte, dass es am Menschen selbst läge, dem Leben einen Sinn zu geben, verwirft der Atheist diese Möglichkeit, da selbst die Sinngebung letztendlich absurd ist.
Der tatsächliche Atheist weist daher in seinem Leben sämtliche Regeln (die ja für eine Sinngebung elementar sind) als Absurdität zurück und handelt spontan und unberechenbar - eben chaotisch. Er befolgt nicht einmal die Regel, dass es keine Regeln gibt: Mal unterwirft er sich bestimmten Regeln, dann befolgt er andere, in einer dritten Situation gar keine.
Konsequenter Atheismus bedarf demnach also eines ganz gehörigen Maßes an Disziplin, um nicht doch irgendwelchen Regeln aufzusitzen, aus deren Fängen man nicht mehr herauskommt. Regeln bieten nämlich auch Halt (sprich: Ordnung), und gerade das lehnt der Atheist ab. Der Lohn einer solchen Einstellung ist absolute Freiheit, aber die allermeisten scheitern daran und verlieren sich in Verzweiflung, Zynismus oder Zerstörungswut. Einige erheben dann doch den Menschen zum Sinnstifter, andere werden Pantheisten und glauben dann an eine unpersönliche Gottheit, die sich in Naturgesetzen manifestiert.[2]
Ich habe persönlich erst eine tatsächliche Atheistin kennengelernt. Ironischerweise hat diese Person von allen meinen Bekannten die größte Angst vor dem Tod.
[1] Beispiel? Beispiel: Wer kennt nicht die Ausrede des Physiklehrers, wenn ein Versuch misslingt und dies auf "Messfehler" geschoben wird, damit auch ja alles den "vermeintlichen" Naturgesetzen angepasst wird?
[2] Dies ist meiner Erfahrung nach der weitaus größte Teil und mithin ein Grund, warum man Agnostiker und Atheisten oft in einen Topf wirft: weil man dem Trugschluss aufsitzt, eine nicht-personale Gottesvorstellung sei keine Gottesvorstellung.
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