Ein Baum kann sich nicht selbst hervorbringen. Ein Mensch kann sich nicht selbst hervorbringen. Ein Windstoß kann sich nicht selbst hervorbringen. Sie alle brauchen einen Ursprung außerhalb ihrer selbst, da sie alle den Regeln der Natur, d.h. der Gesamtheit der sinnlich fassbaren und beobachtbaren Welt, unterworfen sind.
Nun stellt sich die Frage: Ist die Natur ihren eigenen Regeln unterworfen? Gelten die Regeln, die innerhalb der Gesamtheit der sinnlich fassbaren und beobachtbaren Welt nachvollzogen werden können, auch für die Gesamtheit der sinnlich fassbaren und beobachtbaren Welt selbst?
Wenn ja, dann kann die Natur sich nicht selbst hervorgebracht haben, da dies ihrer Regelhaftigkeit widerspräche. Wenn ja, dann muss also ein anderer Ansatz gewählt werden, um den Ursprung der Welt zu suchen oder zu finden.Wenn nein, dann wird die Natur an genau diesem Punkt unvernünftig, d.h. an diesem Punkt widerspricht sie der Vernunft, da sie sich der Nachvollziehbarkeit entzieht.
(Natur-)Wissenschaftliche Arbeit stößt also genau hier an ihre Grenzen. Alles, was über diese Grenze tritt, ist nicht mehr (natur-)wissenschaftlich, sondern entweder philosophisch oder theologisch (die Übergänge sind hier fließend) oder aber willkürlich gesetzte Privatmeinung.
Philosophie und Theologie können vernunftbasiert, folglich intersubjektiv nachvollziehbar, betrieben werden. Eine willkürlich gesetzte Privatmeinung ist notwendigerweise dogmatisch und damit unvernünftig.
Was wir hier sehen können: Die Welt - sofern sie wissenschaftlich erschlossen werden soll - braucht ein Absolutum, d.h. etwas von ihr Losgelöstes, etwas, das nicht ihren Regeln unterworfen ist, als Ursprung, um der Vernunft zugänglich zu sein. In der Theologie gibt es für das Absolute die Chiffre "Gott". In der Philosophie gibt es für das Absolute die Chiffre "Ens".
Hier liegt die Schnittstelle zum Naturalismus, der auch methodischer Atheismus genannt werden kann. Die Welt wird demnach so betrachtet, als gäbe es keinen Gott; sie wird also unabhängig von Gott erschlossen. Über Gott selbst, seine Existenz oder seine Beschaffenheit, wird keine Aussage getätigt. Die Vernunft gilt hier nicht nur innerhalb der Welt, sondern es besteht prinzipiell die Möglichkeit, dass die Vernunft über das Innerweltliche hinausgehen kann.
Die dogmatisch gesetzte Privatmeinung hat für das Absolute keine eigene Chiffre. Daher rührt das große Missverständnis, es handle sich dabei um "Atheismus". Tatsächlich aber wird jenes willkürlich und unvernünftig gesetzte Dogma verabsolutiert und damit als Absolutum gesehen und behandelt. Hier setzt der Materialismus an, der auch dogmatischer Atheismus genannt werden kann. Er betrachtet nicht nur die Welt, sondern auch ihren Ursprung so, als gäbe es keinen Gott; die Welt wird also im Widerspruch zu Gott betrachtet. Die Vernunft hat hier nur so weit Gültigkeit, als sie dem willkürlich gesetzten Dogma nicht widerspricht.
Wer dieses Absolutum allerdings prinzipiell leugnet, damit also "Atheist" im eigentlichen Wortsinne wird, kann nicht nur nicht wissenschaftlich arbeiten - für ihn kann die Vernunft notwendigerweise keine Geltung haben. Hier begegnen wir dem Adeismus, der auch eigentlicher Atheismus genannt werden kann. Sowohl die Welt als auch ihr Ursprung werden gänzlich ohne Gott, damit im eigentlichen Sinne a-theistisch (gott-los) betrachtet. Da das Absolute prinzipiell geleugnet wird, kann auch keine Privatmeinung dogmatisch als absolut gesetzt werden. Die Vernunft ist hier bedeutungslos.
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