Samstag, 3. Dezember 2011

Atheismus und Moral

Es ist zwar spannend Nietzsche gegen Darwin hinsichtlich des Einflusses abzuwägen, aber es bleibt nach wie vor die Frage stehen: Einfluss auf wen oder was? Ich würde heutzutage keinen Gegensatz zwischen beiden sehen, sondern sie Hand in Hand gehend beschreibend, der eine jeweils den anderen stützend. Wo der eine letztlich nur noch das Ego übrig lässt, das sich in einer absurden Welt selbst erschafft und damit zum Übermenschen wird, wird der andere hergenommen, dieses Ego bombenfest (da über Jahrmillionen entwickelt und nur noch auf die Vollendung wartend) abzusichern. Absurdität wird billigend in Kauf genommen.

Da sind wir dann beim Leichtgewicht (und dieser Ausdruck ist zutreffend) Richard Dawkins. Auch er nimmt die Absurdität billigend in Kauf, wenn er den Altruismus nicht mehr aus Liebe und freier Entscheidung gelten läßt, sondern schlicht aus Instinkt und Eigennutz: Die Entscheidung, einem anderen Menschen zu helfen oder sich, wie Dawkins es in abschätzigem Ton verwendet, "moralisch" zu verhalten, ist nun bei ihm keine Vernunftentscheidung mehr, der Mensch ist nicht mehr "gut", weil er sich für das Gute entscheidet, sondern es geschieht aus bloßem Kalkül heraus, simpler Eigennutz steckt dahinter. Anders: Der Mensch ist Gefangener seiner biologischen Hülle, nur noch ausführendes Organ eines genetischen Determinismus, ja, ein Sklave seiner Gene, die ihn dazu zwingen, dies oder jenes zu tun. Verantwortlich für seine Taten kann er folglich nicht mehr sein; ohnehin steht ja überhaupt seine Individualität zur Disposition, insofern sie das Genetische übersteigt. Michael Schmidt-Salomon, Vorsitzender der deutschen Giordano-Bruno-Stiftung, hat dieser Argumentation Rechnung getragen, in dem er sich in seinem Buch "Jenseits von Gut und Böse" gar gänzlich gegen eine Moral ausgesprochen hat.

Den Verweis auf Hitler, um ein letztes anzufügen, mag allerdings keiner der Herren so recht: Dawkins beschreibt in seinem "Gotteswahn" zwar Hitlers religiösen und spirituellen Hintergrund ganz ähnlich wie er das einige Kapitel zuvor mit Albert Einstein tut, scheut sich aber dann, auch dem deutschen Diktator den Stempel der "Einstein-Religion" aufzudrücken, sondern will ihn auf Biegen und Brechen als "guten" (wenngleich nicht gläubigen) Katholiken präsentieren, der "niemals die Kirche verlassen hat", obwohl er sich tatsächlich - was Dawkins geschickt unterschlägt - mehrmals der Tatstrafe der Exkommunikation schuldig gemacht hat. Ein Geschichtsstudent, der solch eine Seminararbeit abgeben würde wie das Kapitel über Hitler und Stalin in Dawkins' "Gotteswahn", würde die Arbeit postwendend um die Ohren geknallt bekommen. Und genau das macht Dawkins zu einem Leichtgewicht, da sich das durch seine gesamte Argumentation zieht.

Moral ist zunächst einmal die Grundlage, von der aus man menschliches Verhalten in "gut" und "böse", damit folglich in "richtig" und "falsch" unterscheiden kann. Wer mit dem Etikett "Moral" eine Tat oder gar ein Verbrechen rechtfertigen will, der muss notwendigerweise zwei Voraussetzungen als gültig anerkennen: Einmal, ganz klar, den Primat der Moral. Nur was moralisch gut ist, kann als richtige Handlung bezeichnet werden. Zum anderen den Primat der Vernunft. Nur was als richtige, da moralisch gute Handlung begründet werden kann, kann auch eine solche genannt werden. Es mag sein, dass man - wodurch auch immer - einen Mord als moralisch gute, damit richtige Handlung darstellen kann. Die andere Seite der Medaille besteht allerdings darin, jene Moral als falsche, da unvernünftige Moral zu enttarnen.

Wer als Konsequenz einer solchen Darstellung jedoch die Moral gänzlich abschaffen will, der löst sich auch von der Vernunft. Menschliches Verhalten kann infolge nicht mehr als richtig oder falsch erkannt bzw. begründet oder gar gedacht werden, folglich bedarf es auch keiner Rechtfertigung mehr, und der Handelnde ist seine Skrupel (die es nur dort gibt, wo ein Rechtfertigungsdruck herrscht) los. Ich sage daher: Nicht die "Etikettierung des Moralischen und Unmoralischen" führt zu skrupellosem Morden, sondern deren Abschaffung. Wo es Moral gibt, da können Skrupel höchstens überwunden oder eingedämmt werden.

Wer, darüber hinaus, aber die Abschaffung der Moral fordert, der ist in meinen Augen entweder naiv oder berechnend. Naiv deshalb, da ihm die Konsequenzen nicht bewusst zu sein scheinen: Wo die Moral fällt, da fällt notwendigerweise auch das auf der Moral aufbauende Gesetz, das die Unterteilung in richtige und falsche Handlungen auf einer rechtlichen Ebene ins zwischenmenschliche Gemeinwesen überführt. Berechnend deshalb, da die wenigsten, die sich für eine Abschaffung der Moral aussprechen, auch gleichsam das Gesetz abschaffen wollen. Im Gegenteil: Moral ist "das, was andere für richtig und falsch erachten", während ausschließlich und alleine das zum Gesetz werden soll, was dem eigenen Willen entspricht. Die Moral soll also nicht abgeschafft, sondern nur ausgetauscht werden. Dies verschleiert man eben durch eine entsprechende Begrifflichkeit.

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