Montag, 21. Mai 2012

Zur Causa Galilei

Dass der heliozentrische Ansatz (der an sich ja nicht ganz richtig ist, da die Sonne nicht das Zentrum des Universums darstellt) skeptisch aufgenommen, dennoch an einigen Universitäten neben dem geozentrischen Ansatz gelehrt wurde, lag daran, dass er zunächst schlichtweg nicht zu beweisen war. Er widersprach den empirisch gewonnenen Ergebnissen, die auf der Beobachtung der Natur basierten, und Kopernikus selbst hat die Sonne eigentlich auch eher aus ästhetischen Gefühlen heraus in die Mitte gestellt denn aus rationaler Notwendigkeit. Der heliozentrische Ansatz hat sich wissenschaftsgeschichtlich erst in einem Prozess aus immer spezifischer werdenden Berechnungen (von der Kreisbahn zur Ellipse) durchsetzen können, weil er - im Gegensatz zur konkurrierenden Epizyklentheorie - genauere Vorhersagen von beobachtbaren Phänomenen erbringen konnte: ein ursprünglich religiöses Element, bei dem der Prophet durch Weissagung bezeugt, dass er die Wahrheit verkündet.

Damit ist nun nicht behauptet, die Ablehnung des kopernikanischen Ansatzes wäre "vom damaligen Menschenverstand" gekommen. Es heißt viel mehr, dass die Skepsis gegenüber diesem Ansatz darin begründet war, dass das heliozentrische Modell den beobachteten und beobachtbaren Phänomenen widersprach, oder vielleicht besser: zu widersprechen schien. Anders: Das heliozentrische Modell hat den gesunden Menschenverstand in Frage gestellt, der doch tagtäglich nachvollziehen konnte (und noch heute kann!), dass die Sonne über den Himmel wandert, sich also (scheinbar) logischerweise um die Erde drehen muss. Ähnliches hat auch Newton mit der Einführung des Trägheitsgedankens getan: Auf einmal (zugegeben: Heraklit hat fast 2000 Jahre zuvor bereits ähnliches behauptet) war die Bewegung der Grundzustand in dieser Welt, nicht der Stillstand. Und das, wo doch jeder Mensch ganz empirisch den Impetus nachvollziehen kann, wenn er z.B. einen Speer wirft. Ebenso hat Einstein den gesunden Menschenverstand widerlegt: Raum und Zeit sollen zusammenhängen, wo doch jeder Mensch tagtäglich den Raum als Schuhkarton und die Zeit als darin fließenden Bach erfahren kann.

Es war nun sicherlich eine Sensation, als Galilei seinerzeit die Jupitermonde vermittels seines Fernrohres entdeckte und damit den Gedanken aufwarf, dass auch Planeten - die wandernden Himmelskörper in der supralunaren Sphäre des Himmels - Trabanten besitzen können, womit die Frage aufgeworfen würde, ob nicht die Erde selbst ein Planet sei. Das Problem war nur, dass diese Entdeckung auf sehr wackligen Beinen stand, um zu diesem Zeitpunkt als aussagekräftig gelten zu können: Die Funktionsweise des Fernrohres war noch nicht ganz erklärt (selbst Galilei wusste/konnte das nicht so recht), die Möglichkeit einer optischen Täuschung konnte (noch) nicht effektiv ausgeschlossen werden. Alleine auf dieser Grundlage war es sehr heikel, das bisher funktionierende und bewährte Modell der Welterklärung umwerfen zu wollen; denn mit den Jupitermonden wäre nämlich der aristotelische Gedanke einer vollkommenen supralunaren Sphäre passé gewesen.

Aber es gab auch einen (wissenschafts-)theoretischen Mangel: Wie Galilei hatte sich auch Kepler in dieser Richtung bewegt und mit dem Untertitel seiner Astronomia nova das Grundproblem des neu belebten kopernikanischen Modells in Worte gefasst; diesem Grundproblem hing auch Galilei an. Anders als bei Kopernikus handelte es sich nicht mehr um (abstrakte) Mathematik, die in Tradition der antiken Griechen aus Alexandria allerlei vornehmlich geometrische Berechnungen anstellte. Kopernikus hatte in seinem Revolutionibus nur die relative Simplizität der Berechnungen auf seiner Seite, und auch die zog er nicht konsequent durch. Nun aber ging es nicht mehr nur um mathematische Modelle, sondern um eine Physik des Himmels (physica coelestis). "Physik" war zum damaligen Zeitpunkt aber traditionell eine Domäne der Naturphilosophen in der Tradition eines Aristoteles (neben Logik und Ethik). In der damaligen scientific community (sofern wir den Begriff hier mal anwenden wollen) war das als schwerer Kategorienfehler zu werten.

Galilei ging in diesem Kategorienfehler übrigens sehr weit: Er reklamierte für sich, ein "mathematischer Philosoph" zu sein und als solcher auch die Kompetenz zu besitzen, darüber zu entscheiden, was in der Bibel wörtlich und was nicht wörtlich auszulegen war; er verwies dabei gleichsam auf den Kirchenvater Augustinus und dessen Auseinandersetzung mit der Frage nach der runden oder flachen Erde.

So unglaublich das klingen mag: Im Prozess gegen Galileo stand die Kirche auf Seiten von Vernunft und Wissenschaftlichkeit.

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