Donnerstag, 28. Juni 2012

Zum zoroastrischen Dualismus

Die These vom menschlichen Ursprung der Begriffe "gut" und "böse" widerspricht nicht unbedingt dem biblischen Bericht: Man könnte das Abfallen von Gott durch den Verzehr der Frucht vom Baum der Erkenntnis über Gut und Böse auch als Erfinden eben dieser Kategorien deuten, das der Mensch eben tut, um wie Gott zu sein.

Dass sich innerhalb dieser Kategorien nun jeder automatisch zu den Guten zählt, liegt wiederum in der Natur beider Begriffe. Dabei sollte man aber, historisch betrachtet, zwischen verschiedenen Konzeptionen dieser Begriffe unterscheiden. Auch wenn ein materialistischer Zugang zur Geschichte in sich schlüssige Ergebnisse liefern kann, halte ich es für verfehlt, diesen Zugang mit Ausschließlichkeit zu versehen und damit einem methodischen Pluralismus eine Absage zu erteilen. Dass der zoroastrische Dualismus einen Einfluss auf das Judentum und dessen Entwicklung nahm, will ich dabei gar nicht bestreiten.

Der große Unterschied liegt jedoch (und da kann der materialistische Zugang keine Ergebnisse liefern) in der Inkorporation (wenn man das so nennen will) der zoroastrischen Ideen: Beim einen existieren die Konzepte des Guten und des Bösen ursprünglich unabhängig voneinander - das eine kann nicht auf das andere zurückgeführt werden. So passiert es, dass "Gott" (Ahura Mazda) und "Teufel" (Ahriman) gleichwertige Gegenspieler sind. Rational betrachtet kann keinem der beiden ein Vorzug gegeben werden: der Mensch benötigt eine Offenbarung des Gottes, der explizit sagt "Ich bin der Gute". Das ist ein Problem, das dem zoroastrischen Denken selbst bewusst war, weswegen in späteren Zeiten versucht wurde, diesen Dualismus aufzulösen, indem beide Gegenspieler beispielsweise durch die Zeit in eine höhere Einheit überführt wurden.

Dem gegenüber steht die jüdische Gedankenwelt, die das Konzept des Gegenspielers (Satan) zwar "übernimmt", allerdings in einem ganz anderen Sinn: Im jüdischen Monotheismus kommt auch dieser Gegenspieler von Gott und ist damit - als Geschöpf - von diesem abhängig. Die Spannung zwischen beiden braucht folglich nicht in einer höheren Einheit aufgelöst zu werden, da sie im Grunde nicht existiert. Damit kann - rational betrachtet - einem der beiden durchaus ein Vorzug aus sich heraus gegeben werden, während die zugrunde liegende Offenbarung lediglich besagt "Ich bin Gott".

Gott hat dabei durchaus (einen) Gegenspieler - allerdings ist dieser/sind diese nicht gleichwertig, sondern nach wie vor von ihm abhängig. Anders: Sie sind/er ist ohne den Gedanken an Gott nicht denkbar. Dem gegenüber sind die beiden Pole in einem dualistischen Gedankengebäude ohne den jeweils anderen denkbar. Der große Unterschied zwischen dem (jüdischen, später christlichen) Monotheismus und dem prinzipiellen Polytheismus (also Dualismus zoroastrischer oder, später, auch manichäischer Prägung) läßt sich vielleicht in zwei Aussagen plastisch darstellen: Der Monotheismus sagt Das Gute ist gut, weil es von Gott kommt; der prinzipielle Polytheismus sagt Gott ist gut, weil er Gutes tut.

Würde in diesem Monotheismus also die "metaphysische Konzeption von 'Gut' und 'Böse' ad acta gelegt", dann wäre zuvor erstmal Gott selbst "ad acta gelegt" worden. Und das ist undenkbar im Christentum.

Meiner Ansicht nach wird viel mehr andersherum ein Schuh draus: Im prinzipiellen Polytheismus (Dualismus) wäre es wohl angebracht, die Kategorien "gut" und "böse" fallen zu lassen. Denn wenn Gott gut ist, weil er Gutes tut, dann steht nach wie vor die Frage im Raum, was denn "gut" bedeutet. Fällt Gott als Ursprung weg, so liegt es entweder am Einzelnen, eine Definition zu leisten, oder aber es kann keine Definition geleistet werden. Dass der Einzelne eine Definition leistet, war in der Geschichte durchaus schon der Fall: Stichwort hier wäre beispielsweise das orientalische Gottkönigtum (eine Theokratie übrigens im wörtlichen Sinne, viel älter als Konstantins Herrschaft in Rom), in dem ein Monarch diese Definition bindend leistet ("Gut ist, was dem Reich, d.h. mir, zuträglich ist") und man sich danach den (Haupt-)Gott aussucht (und wenn der versagt, dann kommt eben ein neuer an die Reihe und das Pantheon wird umstrukturiert). Da eine solche Praxis aber tendenziell zur Unvernunft neigt (das Gute kann aufgrund der individuellen Definition nicht nachvollzogen werden; der Herrscher, der die Definition leistet, kann tendenziell nie schlecht oder böse regieren), wäre es durchaus naheliegender, keine Definition zu leisten und die Kategorien generell leer zu lassen. Dies würde, nebenbei bemerkt, automatisch auch dann passieren, wenn jeder eine solche Definition leisten kann und alle Definitionen gleichberechtigt nebeneinander stehen bzw. gleich gültig sein sollen.

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