Sonntag, 2. September 2012

Zu "Evolution als Tatsache"

"Evolution" ist ein Konstrukt, mit dem viele verschiedene Tatsachen geordnet werden können, durch das sie unter einer gemeinsamen Idee zusammengefasst werden. Als solches funktioniert es auch sehr gut: Die (vermeintlichen) Sprünge in der Makroevolution sind meines Erachtens nach ein Punkt, der nur die menschliche Begriffswelt betrifft. Auch eine Art im biologischen Sinne ist erstmal nur ein Konstrukt, durch das verschiedene Tatsachen unter einen Hut gebracht werden. Es ist ja gerade der Clou an einer Begriffssetzung, dass Grenzen gezogen werden (beispielsweise dort, wo genetische Inkompatibilität vorliegt), wenn man so will eine intrinsische Notwendigkeit biologischer Forschung. Es stellt sich die Frage, ob man das eine - Mikroevolution - ohne das andere - Makroevolution - überhaupt denken kann. Und umgekehrt natürlich auch.

Der Gedanke der Evolution sollte historisch niemals einen Gott widerlegen, sondern u.a. erklären, wie es sein kann, dass es manche Tierarten heutzutage nicht mehr gibt (der Mosasaurus war Ende des 18. Jahrhunderts eine der ersten Arten, die als ausgestorben anerkannt wurde) - unter der Voraussetzung, dass man Gott nicht zutraute, Tierarten, die er geschaffen hatte, einfach so zu vernichten. So wurde der Gedanke der Evolution (Lamarck) bzw. Deszendenz (Darwin) entwickelt: Die vermeintlich ausgestorbenen Tierarten sind recht eigentlich nicht ausgestorben, sondern haben sich (weiter-)entwickelt (lat. evolvere). Die heutigen Tierarten sind demnach Abkömmlinge (lat. descendere - herabsteigen) früherer Arten. Ich würde darum sagen: 

Die Spannung zwischen Schöpfung und Evolution lässt sich nur lösen durch einen ganzen Gott und einen ganzen Darwin.

Die "abrahamitische Schöpfungslehre" lässt sich als ontologische Darstellung, als Darlegung der Seins-Gebung lesen und verstehen (so wie es die katholische Auslegung seit knapp zwei Jahrtausenden praktiziert). Das wäre letztlich ein Nachdenken über die Voraussetzungen, von denen z.B. der Gedanke einer Evolution als Veränderung des Seins zehrt und abhängt. Insofern kann die Evolutionstheorie die Schöpfungslehre keineswegs "widerlegen".

Die Evolution als Tatsache müssen wir hingegen ablehnen, wenn wir wissenschaftlich seriös arbeiten wollen. Evolution ist Idee - und das im besten Sinne des Wortes -, die auf Tatsachen beruht.

Was als "Tatsache" namens "Evolution" beschrieben werden soll, ist nichts anderes als eine Prämisse, die am Anfang einer wissenschaftlichen Untersuchung steht. Das ist im wissenschaftlichen Sinne keine "Tatsache", sondern eben eine Prämisse. Dass "eine Form der Evolution stattgefunden hat", mag berechtigte Vermutung (Hypothese) sein, um eine Theorie über die genauen Mechanismen dieser Evolution aufzustellen - zur Tatsache wird die Evolution dadurch jedoch ebensowenig. Sie ist, auch nach der Ausarbeitung einer Theorie, eine Idee, die verschiedene Tatsachen (Fossilien, Experimente, ...) unter einen gemeinsamen Hut bringt. Evolution selbst ist nichts Gemachtes (sprich: keine Tatsache), sondern ein (angenommener) Rahmen, in dem etwas Gemachtes wird (sprich: in dem sich Tatsachen befinden). Akzeptabel wird dieser Rahmen dadurch, dass ihn verschiedene Tatsachen stützen.

Ein großes Problem in dieser Debatte ist meiner Ansicht nach, dass die Evolution (oder Theorien darüber) als "richtig" oder "wahr" verkauft werden soll, ohne allerdings die Worte "richtig" oder "wahr" zu verwenden. Das würde nämlich implizieren, dass es auch "falsche" oder "unwahre" Sichtweisen gibt - ein scheinbar unerhörter Affront gegen die "jeder darf denken, was er will"-Mentalität der (Post-)Moderne. So zieht man sich eben auf die "Tatsachen" zurück.

Dieses Problem scheint mir v.a. bei Laien aufzutreten. Der Wissenschaftler kann sagen, dass die Evolution die wahrscheinlichste oder plausibelste Annahme ist; dem Laien klingt das wohl nicht stark genug (wahrscheinlich bedingt auch durch den Diskurs mit der Gegenseite). Deshalb die Flucht in die "Tatsache". Allerdings: Wenn ich sage, dass zwei und zwei fünf ergeben, dann ist das - als Aussage - auch eine Tatsache, denn sie ist etwas (von mir) Gemachtes, ein Fakt (von lat. facere, factum - machen). Nur wird die Aussage dadurch nicht automatisch richtig oder wahr. Und das, obwohl keinerlei vernünftige Zweifel am Charakter als Tatsache bestehen.

Zudem: Wo kämen wir denn hin, wenn wir zugäben, wir würden in der Natur irgendetwas Geistiges (wie eine Idee) nach-denken, nachvollziehen, oder noch schlimmer: hinein-lesen (wie es Kant behauptet)? Dann wäre die Biologie ja nicht besser als die Physik, die seit Newton eine ver-zeitigte Mathematik ist.

Die Evolution ist eine Variante von Heraklits panta rhei ("alles fließt"), die uns direkt zum pneuma der "Vorhalle" (stoa) führt: Mit der Bewandtnis, dass wir es diesmal eben im bios und nicht (nur) in der physika vorfinden. Ein wunderschöner Gedanke, wie ich finde: Die Tatsache, dass Evolution keine Tatsache ist, sondern Realität, die (bestimmte) Tatsachen überhaupt erst möglich macht

Um es vielleicht schmackhafter auszudrücken: Evolution ist qualitativ mehr als bloße Tatsache.

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