Sonntag, 28. Oktober 2012

Der Werwolf ist nackt

Auch wenn fragliche Stellungnahme bereits knapp anderthalb Jahre zurückliegt und von vielen höchstwahrscheinlich gar nicht zur Kenntnis genommen wurde, empfinde ich es dennoch als an der Zeit, einmal zum größten Knackpunkt in dieser Chose selbst Stellung zu beziehen. Schließlich ist diese Art des Argumentationsganges nicht nur dem hier verlinkten Autoren vorbehalten, sondern sie erfreut sich gerade auch außerhalb der Internet-Diskussion(en) großer Beliebtheit. 
"Lehre" (oder Leere?) passt da also schon besser, denn alles, was über den hypothetischen Gegenstand der Theologie zu vermitteln wäre, ist erfunden und dann übernommen und überliefert und nicht experimentell ermittelt oder empirisch herausgefunden worden und kann daher nur gelehrt und kontempliert, nicht aber erfahren, gemessen, quantifiziert, belegt, eben reproduziert werden.
Was bedeutet das? 

In diesem Abschnitt erklärt der Autor, warum die Theologie keine Wissenschaft sein könne, weswegen seiner Meinung nach der Ausdruck "'Lehre' (oder Leere?)" besser passe. Warum sei das so? 

Weil "alles, was über den hypothetischen Gegenstand der Theologie zu vermitteln wäre, [...] erfunden und dann übernommen und überliefert und nicht experimentell ermittelt oder empirisch herausgefunden worden" sei. Weiter: "[A]lles, was über den hypothetischen Gegenstand der Theologie zu vermitteln wäre" "kann daher nur gelehrt und kontempliert, nicht aber erfahren, gemessen, quantifiziert, belegt, eben reproduziert werden." Das ist erst einmal eine komplizierte Aussage. Dröseln wir sie auf:

Die Theologie sei keine Wissenschaft, weil ihre Inhalte "nicht experimentell ermittelt oder empirisch herausgefunden worden" seien. Das bedeutet: 
  • Wissenschaftliche Inhalte müssen experimentell ermittelt oder empirisch herausgefunden werden. 
Weil das bei der Theologie nicht der Fall sei, sei sie keine Wissenschaft.

Die Theologie sei keine Wissenschaft, weil ihre Inhalte "nicht [...] erfahren, gemessen, quantifiziert, belegt, eben reproduziert werden" könnten. Das bedeutet: 
  • Wissenschaftliche Inhalte müssen erfahren, gemessen, quantifiziert, belegt, eben reproduziert werden.
Weil das bei der Theologie nicht der Fall sei, sei sie keine Wissenschaft.

Damit sind nun eindeutige Aussagen formuliert, was Wissenschaft beinhalten muss, was also als conditio sine qua non von Wissenschaft(lichkeit) gilt. Was muss also vorhanden sein, um als Wissenschaft zu gelten?
  • experimentelles Ermitteln
  • empirisches Herausfinden
  • Erfahren
  • Messen
  • Quantifizieren
  • Belegen
  • Reproduzieren 
Wir sehen daran: Für den Autor ist Wissenschaft identisch mit empirischer Wissenschaft. Anders: Wissenschaft ist gleichbedeutend mit Naturwissenschaft.

Jetzt ist der Fall aber so gelagert, dass weder Geschichtswissenschaft noch Religionswissenschaft noch Literaturwissenschaft als Naturwissenschaften durchgehen, weil sie weder experimentell ermitteln noch empirisch herausfinden noch erfahren, messen, quantifizieren oder reproduzieren (das Belegen lassen wir mal durchgehen, auch wenn das in den genannten Disziplinen nur mittels Fußnoten, nicht mittels Experiment passiert; aber das macht die Theologie ja genauso).

Wenn wir den Autoren und seinen Text also ernst nehmen wollen, dann können diese Disziplinen keine Wissenschaften sein. Folglich ergibt der Text keinen Sinn, insofern er auf diese Disziplinen verweist: Er führt sich selbst ad absurdum.

Was also bleibt, wenn man diesen inneren Widerspruch und seine Folgen (ex contradictione sequitur quodlibet) streicht, ist die bloße Behauptung, der Forschungsgegenstand der Theologie sei erfunden. Und da keine Begründung unternommen wird - der restliche Text dreht sich nicht um den Forschungsgegenstand, sondern um die Methodik -, steht der Kaiser ganz schön nackt da. 

Obschon er sich natürlich in bester Gesellschaft befindet: Schon Richard Dawkins verfährt so in seinem kurzweiligen, doch weit überschätzten "Gotteswahn". Und in den Diskussionen und Gesprächen über Gott und die Welt gibt es zahlreiche Nachahmer. Leider.

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