Freitag, 12. April 2013

Der biblische Skeptiker

In seiner Predigt zur Possess der Laterankirche am 7. April 2013 kam Papst Franziskus auf den "ungläubigen" Thomas zu sprechen:

Im heutigen Evangelium macht der Apostel Thomas eigens die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes, die ein konkretes Gesicht hat, das Gesicht Jesu, des auferstandenen Jesus. Thomas traut nicht dem, was die anderen Apostel ihm sagen: "Wir haben den Herrn gesehen"; es genügt ihm nicht die Verheißung Jesu, der angekündigt hatte: Am dritten Tag werde ich auferstehen. Er will sehen, will seine Finger in die Male der Nägel und seine Hand in Jesu Seite legen. Und was ist die Reaktion Jesu? Geduld: Jesus lässt den eigensinnigen Thomas in seiner Ungläubigkeit nicht fallen; er gibt ihm eine Woche Zeit, verschließt nicht die Tür, sondern wartet. Und Thomas erkennt seine Armseligkeit, seine Kleingläubigkeit. "Mein Herr und mein Gott": Mit diesem einfachen, doch glaubensvollen Ruf antwortet er auf die Geduld Jesu. Er lässt sich von der göttlichen Barmherzigkeit umfangen, sieht sie vor sich in den Wunden der Hände und der Füße, in der geöffneten Seite, und gewinnt das Vertrauen zurück: Er ist ein neuer Mensch, nicht mehr ungläubig, sondern gläubig.

Thomas ist also gerade kein Skeptiker, sondern er glaubt. Seine Verfehlung besteht darin, dass er seinen Brüdern im Apostelkreis nicht glaubt, denn vom Herrn selbst akzeptiert er schließlich das Zeugnis.

Den Skeptiker hingegen finden wir, und da folge ich Ratzingers Darstellung im zweiten Band seines Jesus-Buches,[1] in der Person des Pontius Pilatus ("Was ist Wahrheit?"): Ein Vertreter des Gesetzes - in der Provinz Judäa gar tatsächlich säkularen Gesetzes, da dort durch die Sonderrechte der jüdischen Gemeinschaft die religiöse von der politischen Sphäre weitgehend getrennt war. Natürlich ist die Anklage, die gegen diesen Jesus vorgebracht wird, sehr schlimm: Als Prätendent für den Königsthron gefährdet er prinzipiell den Staat, da ein nicht vom Kaiser anerkannter (Unter-)König die politische Ordnung in Frage stellt. Andererseits ist aber klar, dass von der Bewegung, die dieser Jesus anführt, keinerlei politische Gefahr ausgeht. Und im Verhör erfährt Pilatus ja selbst noch einmal persönlich, dass dem so ist: Wäre Jesu Königreich von dieser Welt, dann würden seine Anhänger kämpfen. Das tun sie nicht, und insofern liegt gegen den Beschuldigten in diese Richtung nichts vor. Was Jesus da jetzt genau gegenüber irgendwelchen religiösen Leuten verbrochen haben soll, kann Pilatus als Nicht-Gläubigem herzlich egal sein. Genau genommen wäre dieser Jesus sogar nützlich für den Statthalter: Da er ein Königtum in irgendeiner phantastischen (jenseitigen) Sphäre propagiert und seine Anhänger keinen Aufstand im Sinn haben, wäre Jesu Erfolg auch gleichzeitig ein Erfolg des Statthalters in Sachen Befriedung dieser doch recht aufrührerischen Provinz.[2] Setzt sich dieser Jesus gegen die Zeloten durch, dann verschwindet der bewaffnete Terror. Setzt sich dieser Jesus gegen die Saduzzäer durch, können die Reichtümer des Jerusalemer Tempels an den Staat fallen. Die Phärisäer schotten sich ohnehin ab und kochen ihr eigenes Süppchen ohne aufzumucken. So rein von der nicht-gläubigen, säkularen und politischen Seite her betrachtet gibt es also keinen Grund, den Angeklagten zum Tode zu verurteilen. Mehr noch: Ein Todesurteil wäre so gesehen hochgradig töricht.

Da Pilatus allerdings (bloß) Skeptiker ist und kein Atheist, gibt es freilich noch die gläubige, nicht-säkulare Seite. Und da kann er es natürlich nicht gänzlich ausschließen, dass nicht doch irgendetwas aus dem göttlichen Bereich in diesem Menschen, der da als Angeklagter vor ihm steht, vorhanden ist. Eine Verurteilung wäre damit ein Übergriff gegenüber diesem göttlichen Bereich. Mit einer Verurteilung würde der Skeptiker folglich Schuld gegenüber dem Göttlichen auf sich laden, und am Ende eben auch mit Vergeltung aus diesem göttlichen Bereich rechnen müssen - denn nach allem, was man im römischen Reich so hört, sind die Götter ja allgemein sehr ... menschlich ..., wenn sie sich angegriffen oder ungerecht angegangen fühlen. Also auch von dieser Seite her wäre es unklug, den Angeklagten zum Tode zu verurteilen.

Wie handelt dieser Skeptiker nun aber?

  • Er will sich um eine Entscheidung drücken: Andere - in diesem Fall das Volk - sollen die Wahl über Leben und Tod dieses Angeklagten treffen.
  • Er stellt eine Amnestie in Aussicht: Entweder dieser Jesus hier oder ein Räuber - im politischen Kontext lässt es sich auch begreifen als: ein Terrorist. Der Name Barabbas, "Sohn des Vaters", lässt gleichsam den Schluss zu, hierin eine alternative Erlösergestalt zu sehen. 
  • Das Fatale: Wer eine Amnestie benötigt, muss recht eigentlich schon als verurteilt gelten.

Der Skeptiker hat also bereits mit dem Abwälzen der Entscheidung seine Wahl getroffen: Dieser Jesus, gegen dessen Verurteilung aus der Sicht des Skeptikers doch eigentlich alles für die eigene Person Konkrete spricht, ist schuldig und verdient den Tod. Es geht letztlich nur noch darum, ob er ihn auch erhält, ob das Urteil vollzogen wird.

Am Ende schließlich lässt sich der Skeptiker die Schüssel bringen und wäscht seine Hände in Unschuld. Hannah Arendt hat bei solchen Dingen von der Banalität des Bösen gesprochen.

 

[1] Ratzinger, Josef, Jesus von Nazareth. Band II: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg 2011, S. 207-224.

[2] Franco Mimmi hat diesen Gedanken zur Prämisse seines kurzweiligen Romans "Unser Agent in Judäa" gemacht. 

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