Donnerstag, 17. Juli 2014

Zur Esoterik und dem Argument "ad antiquitatem"

Gerade dem eigenen Anspruch nach beziehen sich Esoteriker oft auf uralte Traditionen, die weiter zurückreichen als die kirchliche. Das Argument ad antiquitatem wird gerne bemüht: Jahrtausendealte chinesische Geheimtraditionen, altägyptische Überlieferungen, und gerade auch das sagenhafte Atlantis gehören hier hinein, soll letzteres doch der Legende nach etwa 9.000 bis 10.000 v. Chr. untergegangen sein.

Es lässt sich ja öfter beobachten: Die kirchliche Lehre sei nicht etwa deswegen falsch, weil es da ein schlagkräftiges inhaltliches Argument gäbe. Im Gegenteil: Die kirchliche Lehre sei deshalb falsch, weil sie eine Verfälschung der ursprünglichen, und das heißt: älteren und damit richtigen Lehre beispielsweise einer angeblich gnostischen Urgemeinde sei. Ob nun die gnostische oder die kirchliche Lehre mehr Sinn ergibt oder stichhaltiger ist, das interessiert dabei nicht: Wer älter sei, der habe deswegen Recht. Darum ja auch der Zwang zum ausdrücklichen Rechtbehalten: anders lässt sich das Älter-sein z.B. der gnostischen Lehre nämlich nicht aufrecht erhalten. Eine Variante dieser Argumentation findet man auch dort, wo beispielsweise auf Hammurapi mit dem Vermerk verwiesen wird, dass sein Kodex älter sei als die jüdischen Mitzwot, um damit den Gehalt der Mitzwot (zuvorderst natürlich des Dekalogs) zu mindern oder gar gänzlich zu bestreiten. Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgen auch "evolutionäre Erklärungen" in weltanschaulichen Debatten: Richard Dawkins beschreitet diesen Weg z.B. in seinem "Gotteswahn", wenn er die evolutionäre Funktion der Religion erläutern will und dies dann als inhaltliches Argument gegen die Religion positioniert (denn ebendarum befindet es sich ja im Buch): Naturphänomene sind älter als Kulturprodukte, darum sei dieses oder jenes spezifische Kulturprodukt falsch (salopp ausgedrückt).

Im Islam gibt es teilweise die direkte Umkehr dieses Arguments: "Neu ist immer besser", um es mit Barney Stinson zu sagen. Und deshalb sei der Islam, als zeitlich letzte, das heißt: neueste Offenbarungsreligion wahr. Ähnlich argumentiert auch das säkulare Fortschrittsdenken (und damit scheinbar paradoxerweise auch ein Richard Dawkins) immer dann, wenn in Bezug auf den heutigen religiösen Glauben von einer "bronzezeitlichen Mythologie" die Rede ist - wobei lustigerweise wohl niemand aus dieser Richtung die Aufklärung als "prä-industrielle Spekulation" bezeichnen würde.

Worauf ich hinaus will: Die Kirche war auch mal "neu" und die Theologie noch nicht so "ausgeklügelt" - und doch hat sie sich auch zu dieser Zeit schon mit demselben Gegenwind herumschlagen müssen, der ihr auch heute von den Kritikern gemacht wird. Und gerade wenn es darum geht, sich ernsthaft mit der Esoterik auseinanderzusetzen, kann, darf und sollte das Alter einer Argumentation(sstruktur) keine Rolle spielen. Angreifbar machen die verwendeten Argumentationsmuster - nicht ihr Alter.

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