Samstag, 26. Juli 2014

Der Buddha liebt nicht

Der Adept fragte den Meister: Was ist Buddha?
Der Meister antwortete: Buddha ist ein Sack voll Kehricht. Wenn du den Buddha auf der Straße triffst, töte ihn.
Es mag böse klingen, doch es ist sicherlich nicht so gemeint. Im Gegenteil, es illustriert das Loslassen, die Loslösung. Nicht der Buddha, nicht der Sack voll Kehricht, ist es, was dich loslöst; du machst es selbst. Sei ein Sack voll Kehricht! Füge dich ein in deine wahre Natur! Sei dir deiner selbst gewahr!

Das ist das Problem, das ich sehe.

Die quälende Fage: Mache ich mir mein Problem selbst? Eine Antwort setzt natürlich voraus, dass bekannt ist, worin mein Problem eigentlich besteht.

Natürlich wäre es nur allzu billig, anzunehmen, ich würde mich an Ausdrücken wie "Sack voll Kehricht" aufhängen, so als handle es sich wortwörtlich um einen Plastiksack voll mit Dreck und Abfall. Ich nehme an, die Bezeichnung steht für einen übertragenen Sinn: Und der wird ja im Kontext durchaus klar. Der große Unterschied zwischen dem Christen und dem Buddhisten (Zen-Praktikanten?) liege also im Festhalten und Loslassen. Genauer: Der Buddhist könne loslassen, während der Christ sich an was auch immer festhalte.

Diesem Unterschied stimme ich zu. 

(Sacken lassen. Pause zum Verschnaufen.)

So wird auch der "Sack voll Kehricht" verständlich: Kehricht ist all das, woran man nicht festhält, weil man daran nicht festzuhalten braucht, muss, soll, will oder kann, weil es sich um "Ab-fall" handelt. "Ab-fall" ist hier gemeint als Komplementärbegriff zum "Zu-fall", der denselben Sachverhalt aus einem anderen Blickwinkel beschreibt. "Zu-fall" ist das, was dem Wesen einer Sache hinzukommt, eben zu-fällt, und damit in dieser Welt ein bestimmtes Phänomen ins Vorhandensein befördert. "Ab-fall" ist dann analog das, was von einem in der Welt vorhandenen Phänomen ab-fällt und ihm damit sein Vorhandensein wegnimmt, so dass es nicht mehr vorhanden ist. Um es deutlicher auszudrücken: 

Der "Zu-fall" befördert etwas vom Nichts ins Dasein,
der "Ab-fall" befördert etwas vom Dasein ins Nichts.

Wenn wir also ein "Sack voll Kehricht" sind, dann heißt das:

Wir sind der Rahmen, in dem sich "Ab-fall" vollzieht; wir sind diejenige Gegebenheit, in der und durch die etwas vom Dasein ins Nichts befördert wird.

Dem stimme ich zu: In diesem Sinne sind wir in der Tat ein "Sack voll Kehricht".

(Sacken lassen. Pause zum Verschaufen.)

So weit herrscht also Einigkeit. Worin liegt dann das Problem? Es liegt nicht daran, dass man dies erkennen soll, im Gegenteil: Erkenntnis dieses Aspektes unseres Daseins halte ich für gewinnbringend. Aber rein bei dieser Erkenntnis bleibt ja keiner stehen. Es ist die Frage, ob der Mensch nur so ein "Sack voll Kehricht" ist oder nicht. Und ganz brisant wird es natürlich, wenn man den Anspruch stellt, nur mehr ein "Sack voll Kehricht" sein zu sollen.

Um die provokante Spannung gleich vorweg zu benennen: Der Buddha liebt nicht.

(Pause für Aufregung. Wut herauslassen. Durchatmen. Weiterlesen.)

Nochmal: Der Buddha liebt nicht. 

(Pause für Aufregung. Wut jetzt wirklich herauslassen. Durchatmen. Weiterlesen.)

Was ist Liebe? Liebe ist zuvorderst ein Akt des Willens. Sie kann zwar von Gefühlen begleitet sein - und im Idealfall ist sie das auch -, aber Liebe selbst ist nicht nur Gefühl: Liebe heißt, einen anderen als anderen zu wollen.

Sinnbildlich ausgedrückt findet sich das beispielsweise sehr schön im Spanischen, wo das Verb für "lieben" (querer) gleichzeitig "wollen" bedeutet. Und auch im Kroatischen bspw. ist das Verb voliti - "lieben" verwandt mit volja - "Wille", während das von ljuba - "Liebe" abgeleitete ljubiti "küssen" heißt und sich damit auf die körperliche Ebene beschränkt.

Da sind wir nun wieder beim Festhalten:  

Wer einen anderen als anderen will, wer also liebt, der hält am anderen als einem anderen fest.
Verdeutlicht wird dies durch den Blick auf die drei Transzendentale - das Schöne, das Gute und das Wahre: Liebe heißt ...

  • ... es für schön befinden, dass es den anderen gibt; 
  • ... es für gut erachten, dass es den anderen gibt; 
  • ... es für wahr halten, dass es den anderen gibt.

Die vollkommene Liebe wäre demnach das Zusammenspiel von Gefühl (lat. emotio - "Herausbewegung"; im Schönen zu finden), Wille (im Guten zu finden) sowie Vernunft (gr. logos; im Wahren zu finden). Dem entspricht quasi als Analogie die christliche Gottesvorstellung aus Vater (der den Willen repräsentiert), Sohn (der logos als Vernunft) und Heiligem Geist (der von innen heraus bewegt). Weil also alle diese Dinge im christlichen Gottesbegriff zusammenfallen, kann der Christ auch sagen: Gott ist Liebe. Das Christentum ist damit in erster Linie kein "Weg des Glaubens" o.ä., sondern Liebesbeziehung. Das heißt sowohl Beziehung zur Liebe als auch Beziehung in Liebe als auch Beziehung durch Liebe.

Und was macht der Buddha? Er "erkennt". Da bin ich vollkommen auf der Seite derjenigen, die den Buddhismus als "Weg der Erkenntnis" bezeichnen: Ja, Buddhismus ist ein "Weg der Erkenntnis". Was "erkennt" der Buddha?

  • Es ist nicht wahr, dass es den anderen gibt:
    Der andere ist anatta / anatman, "Nicht-Selbst".
     
  • Es ist nicht gut, dass es den anderen gibt:
    Der andere ist dukkha, "Leid, Unzulänglichkeit".
     
  • Es ist nicht schön, dass es den anderen gibt:
    Der andere praktiziert upadana, "Anhaftung, Aneignung (an bzw. von dukkha)", und schafft dadurch neues dukkha
    .

Der Buddha hält deshalb nicht am anderen als einem anderen fest, denn er will einen anderen als anderen gar nicht.

Also: Der Buddha liebt nicht, weil er "erkennt", dass es nur "Ab-fall" (s.o.) gibt.

Natürlich ist das aus der Sicht des Buddhismus gar kein Problem. Denn wo nichts bzw. niemand ist, das bzw. den man lieben könnte, braucht man auch nichts bzw. niemanden lieben. Grundlage dafür ist natürlich die Erkenntnis. Und was ist Erkenntnis? Ein-sicht. Das kann auf der einen Seite bedeuten, dass man in etwas hineinsieht, z.B. ins Wesen der Dinge (Hin-einsicht: Alles ist anatta). Auf der anderen Seite kann es bedeuten, dass man all die unterschiedlichen Phänomene und Dinge als eine einzige Sache betrachtet (Ein-heit-sicht: Alles ist dukkha). Und zu guter letzt kann es natürlich auch bedeuten, dass man die vielen vielen unterschiedlichen Blickwinkel zugunsten eines einzigen Blickwinkels zurücklässt (Ein-zig-sicht: bodhi - "Erwachen, Erleuchtung").

Das erklärt nun auch, warum der Buddhist gar nicht anders handeln und gar nicht mehr tun kann als von seinem Gegenüber Einsicht zu fordern.

Mache ich mir also mein Problem selbst? Ja! Und zwar genau wenn und indem ich den Buddhisten liebe. 

Ein letzter Exkurs: Dies erklärt, warum aus buddhistischer Sicht Widerspruch letztlich nur aus fehlender Ein-sicht herrühren kann. Der andere sieht schlichtweg nicht ein, was der Buddha längst schon erkannt hat. Besonders brisant wird dies, wenn wir es mit einem Willensakt des anderen zu tun haben: Denn dann will der andere gar nicht einsehen, was der Buddha schon längst erkannt hat. Und wo der andere das nicht einsehen will, da darf man natürlich ganz offen und direkt am Wahrheitsinteresse des anderen zweifeln. Und schließlich noch: Wo dem anderen die Einsicht fehlt, da kann und will er natürlich auch keine Ahnung von dem haben, worüber er redet.

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