Mittwoch, 4. Februar 2015

Heinrich Heine und die Einheit des Intellekts

Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland:
"Nach ihrer [= der Spiritualisten] Weltanschauung ist die Materie an und für sich böse, was doch wahrlich eine Verleumdung ist, eine entsetzliche Gotteslästerung."

Aus der katholischen Tradition heraus kann ich dem vollen Herzens zustimmen. Insofern die "Spiritualisten", auf die sich Heine bezieht, lehren, dass "die Materie an und für sich böse" sei, handelt es sich dabei um eine "Verleumdung", ja "Gotteslästerung": Schließlich wurde Adam dem Bericht der Genesis zufolge zu Beginn der Menschheitsgeschichte aus Erde vom Ackerboden geformt (Gen 2,7); und der logos, das heißt: Gott (Joh 1,1), ist zum Höhepunkt der Menschheitsgeschichte Fleisch geworden (Joh 1,14). Am Ende der Geschichte steht, last not least, die Erneuerung von Himmel und Erde (Offb 21). Wir sehen also: In allen drei Akten der Theo-Dramatik spielt die Materie eine wesentliche Rolle im Heilswillen Gottes. Die Liebe zur Materie ist damit nicht nur im offenbarten Willen Gottes verankert, sondern sie muss folglich auch in authentischer Theo-Logik reflektiert und gefunden werden. Ein sehr katholischer Standpunkt, wie ich meine, denn es sind ja gerade die Katholiken, die für ihre eucharistische Anbetung und den Glauben an die Realpräsenz (d.h. Gott sei ganz real in der materiellen Eucharistie gegenwärtig) Schimpf und Schelte erhalten.

Problematisch wird Heines Schrift allerdings dort, wo es heißt:

"Gott ist identisch mit der Welt."

Denn das nimmt letztlich nämlich die Liebe zur Materie wieder zurück. Der Schlüssel liegt in Heines Postulat, wie das "Selbstbewußtsein" der Gottheit sich im Menschen offenbare: 

"Aber dieses geschieht nicht in dem einzelnen und durch den einzelnen Menschen, sondern in und durch die Gesamtheit der Menschen."

Damit greift Heine eine Diskussion auf, die vor allem im hohen Mittelalter zwischen Averroisten und Thomisten im Zuge der Aristotelesrezeption geführt wurde: Der Streit über die Einheit des Intellekts.

Gemäß der averroistischen Position, die Heine hier faktisch rezipiert, ist der Intellekt (als tätiger wie passiver Intellekt) nur ein einziger und durch ihn verwirklicht sich die Weltordnung. Der einzelne Mensch ist dabei nur ein Epiphänomen dieses einen Intellekts, bedingt durch die Formierung der Materie, in der sich dieser eine Intellekt manifestiert. Die Materie jedoch vergeht, und so letztlich auch der einzelne Mensch, da die Materie keinen Anteil am Intellekt hat - die Erlösung betrifft am Ende nicht die Materie. Und genau da sind wir wieder bei zuvor kritisierter Anschauung der "Spiritualisten": Wenn die Materie nicht in die Erlösung hineingezogen wird, dann kann sie am Ende gar nicht anders als böse sein zu müssen, da sie letztlich das Gegen-Prinzip zum "Selbstbewußtsein" der Gottheit darstellt - einerseits ewiger Intellekt, andererseits vergängliche Materie; einerseits Einheit des Intellekts, andererseits Vielheit der Materie.

Eine Anschauung, die die Materie lieben will, muss demgegenüber den Einzelnen, das Individuum mit in die Erlösung hinein nehmen, sie darf nicht abstrahieren auf eine bloße, und das heißt auch: bloß gedachte "Menschheit", sondern muss den konkreten, und das heißt auch: materiellen Menschen als solchen berücksichtigen. Das wiederum funktioniert nur, wenn sich in einem einzelnen Menschen - zumindest der Möglichkeit nach - das Ganze des "Selbstbewusstseins" der Gottheit manifestieren kann.

Die Kluft zum Atheismus könnte im Heine-Text nicht größer sein: Ein Atheismus würde diesen Intellekt gänzlich verneinen müssen, den Heine hier über die Welt legt - genau der stellt in seiner Argumentation jedoch das Wesentliche dar. Eine Alternative läge natürlich darin, statt "der Intellekt ist einer" ganz selbstbewusst zu sagen: "Der Intellekt ist meiner". Darauf kann Heines Argumentation durchaus zulaufen, und wenn man das als "Atheismus" bezeichnen will - es wäre mal ein Anfang in Sachen Begriffsklärung.

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