Donnerstag, 21. Juli 2016

Zur Anthroposophie

Rudolf Steiner und die Anthroposophie sind mir im Studium zweimal ernsthaft begegnet:

Zuerst in den ersten drei Semestern als Mode-Erscheinung unter den Studienanfängerkollegen. "Ich bin Anthroposoph" war da so etwas wie das Bekenntnis der Zugehörigkeit zu einer Elite - vergleichbar etwa mit "Ich lerne gerade schwedisch"; das war seinerzeit auch hochmodisch, v.a. bei den WiWis. Küchenpsychologisch habe ich es lange Zeit damit erklärt, dass der Hauch von "Geheimwissenschaft" und "Esoterik" nach innen, d.h. gegenüber Leuten von innerhalb des Uni-Betriebs, das erfüllt hat, was der Verweis auf das eigene Studium nach außen, d.h. gegenüber Nicht-Akademikern, leistet: Es zeigt an, dass man zu einem erlauchten Kreis von Eingeweihten zählt und "Hinter die Kulissen blickt", "Zusammenhänge aufdeckt", "die Dinge durchschaut" etc. Das hat sich aber nach drei oder vier Semestern gelegt, vermutlich weil auch irgendwann der Reiz des Neuen verflogen war und man deswegen seine neuen Erkenntnisse nicht mehr so häufig thematisiert hat.

Dann ist mir das Ganze aber auch noch am Ende des Studiums bei der Magisterarbeit begegnet; namentlich in Steiners Bezugnahme zu Wilhelm Dilthey und dessen Projekt einer "Geisteswissenschaft", die nebenbei bemerkt nichts mit irgendwelchen Spiritualitäten o.ä. zu tun hat. Da habe ich meine Küchenpsychologie noch einmal überdacht und würde heute sagen: Das Verschwinden der (bekennenden) Anthroposophen dürfte durchaus auch daran gelegen haben, dass man nach drei, vier Semestern die grundlegenden Theorie- und Methodenseminare belegt hat und dadurch auch erkennt, dass, wo und inwiefern (das Projekt) "esoterische Wissenschaft" ein Widerspruch in sich selbst ist. Wissenschaft ist nämlich per definitionem exoterisch, d.h. einem offenen Diskurs zugehörig, und es geht dabei gerade nicht um "Geheimwissen" o.ä.

So schließt sich der Kreis: Ich würde nämlich aus dieser Erfahrung heraus sagen, dass die anthroposophische Lehre - das esoterische System, oder wie auch immer man es nennen mag - in einem sehr speziellen und historisch bedingten Wissenschaftsverständnis verhaftet ist, das zu Steiners Zeit in den Salons zwar maßgebend gewesen sein mag, aber eben nicht auf der Höhe des zeitgenössischen akademischen Diskurses stand (geschweige denn auf der Höhe des heutigen steht). "Wissenschaft" ist nach der anthroposophischen Lehre, soweit mein Einblick reicht, ausschließlich positivistische Naturwissenschaft im newtonschen Sinn, und sie fußt auf einem (quasi-)naiven Empirismus, der sinnliche Wahrnehmung mit objektiver oder materieller Wirklichkeit gleichsetzt.

Gegen diesen wissenschaftlichen Absolutismus bezieht die Anthroposophie nun Stellung - und das ja auch zurecht. Problematisch wird es eben dort, wo das Pendel zu weit in die Gegenrichtung aus- und der aufgeklärte Rationalismus in einen schwärmerischen Spiritualismus umschlägt (um nochmal auf Dilthey zurückzukommen, in dessen Nachfolge sich Steiner ja selbst verortet hat; H.-G. Gadamer positioniert die diltheysche Verstehenslehre bzw. die Hermeneutik insgesamt im Spannungsfeld dieser beiden Extreme). Genau das scheint mir bei der Anthroposophie jedoch der Fall: Beispielhaft hierfür steht die Einteilung der Wirklichkeit in einen geistigen ("spirituellen"), einen feinstofflichen ("ätherischen") und einen grobstofflichen ("materiellen") Bereich. Solch ein Ansatz war bereits zur Zeit der Entstehung der Geisteswissenschaften im 19. Jahrhundert nicht (mehr) auf der Höhe der Zeit, sondern dezidierter Teil außer- bzw. anti-wissenschaftlicher Kreise.

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