Mittwoch, 23. November 2016

"Paleys Uhrmacher" und das ethnologische Argument

Der sog. "indirekte Gottesbeweis" - damit ist vor allem "Paleys Uhrmacher" gemeint - ist eine relativ neu(zeitlich)e Erfindung, denn er setzt den mechanischen Kosmos etwa eines Isaac Newton voraus. In historischer Dimension ist er zudem nicht Vorläufer von, sondern Reaktion auf Aufklärung und Naturwissenschaft; dies aus einer bestimmten Ecke heraus, die vor Leibniz' Deismus - Gott als zureichender Grund, d.h. erste Formursache - so nicht (ernsthaft) denkbar war.

Im Mittelalter galt die sinnlich wahrnehmbare Welt zwar als Theophanie, d.h. Manifestation des göttlichen Liebens, Lebens und Wirkens. Doch die damit zusammenhängenden Implikationen sind grundverschieden zu dem, was die Physiko-Theologie des 18. und 19. Jahrhunderts oder der zeitgenössische Kreationismus sagt - allen voran war es überhaupt kein Gottesbeweis und sollte auch gar keiner sein.

Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal wäre zudem die analogia entis der Theophanie in Kontrast zur univocitas entis der Physiko-Theologie, d.h. die Debatte analoges vs. univokes Konzept des Seienden, das in der Mitte der Kontroverse zwischen Thomisten und Scotisten steht. Dem univoken Konzept schlossen sich die Reformatoren überwiegend an, und es liegt auch der spezifisch angelsächsischen Perspektive zugrunde, die den Diskurs heutzutage dominiert.

Dieser Gedanke der Theophanie passt freilich nicht (mehr) in jenes puritanische Korsett, welches die Theologie nurmehr als bloße Schriftlesung mit naivem Textpositivismus gelten lassen möchte. Aber letztendlich sind ja auch Puritaner und Puristen zur Umkehr, zur meta-noia aufgerufen.

In diesem Gedanken wird nun auch weniger ein "Wesen" vorausgesetzt, als zunächst einmal ein Grund, in dem logisches Denken als logisches Denken verankert ist. Und das wird auch nicht aus purer Willkür vorausgesetzt, sondern aus der Struktur heraus, in der logisches Denken uns die Wirklichkeit vermittelt. Die "Grenzen der Logik" werden dabei weniger gesprengt als vielmehr a) anerkannt und zugleich b) nicht verabsolutiert. Das ist eine erste Hürde in der Diskussion. Das hat durchaus etwas mit dem Gott der Bibel zu tun - mehr noch: es hat gerade etwas mit ihm zu tun.

  • \Es hat nichts zu tun mit einem bärtigen alten Mann, der auf einem Berg im Schaukelstuhl sitzt, Schafe strickt, Blitze schleudert und sich dann und wann als goldener Regen verkleidet oder in Gestalt eines Stieres Frauen besamt. Aber das ist nicht der biblische Gott.
  • Es hat nichts zu tun mit einem konkreten Ding im Inventar der vielen konkreten Dinge, die uns in der Welt begegnen - der biblische Gott ist kein Yeti oder Bigfoot.
  • Der biblische Gott ist nicht die Urform der Welt;
  • nicht der Urstoff der Welt;
  • nicht die Urkraft der Welt;
  • nicht der Urzweck der Welt.
  • Der biblische Gott ist auch nicht die Gesamtheit der Welt.

Das ist es, worum sich der biblische Bericht von "Gott" dreht: "Gott" ist anders, der ganz andere, otherly other. Und als solcher ist "Gott" dem Menschen unendlich weiter entfernt, zugleich aber auch unendlich näher als es in Worte gefasst werden kann.

Feuerbach bricht letztlich dort zusammen, wo er an dem vorbeiredet, was die klassische Theologie als "Gott" bezeichnet. Robert Barron z.B. spricht das an hinsichtlich der non-kompetitiven Beziehung zwischen Gott und Welt. Feuerbachs "Das Nein zu Gott ist das Ja zum Menschen" tut nicht einmal ansatzweise so, als würde es sich mit dem beschäftigen, was Christen als "Inkarnation" behaupten, und es verfehlt am Ende den Gottesbegriff meilenweit. Das ist die Tragik in der Sache: Feuerbach konstruiert sich einen Gott in seinem Bilde, um zu demonstrieren, dass der Mensch sich einen Gott in seinem Bilde konstruiert. Im besten Fall ist das bloß eine Tautologie.

Das Streben zum ganz anderen, nach Transzendenz, oder wie auch immer man es nennen möchte, scheint hingegen ein spezifisches Moment im menschlichen Dasein auszumachen, das sich durch alle Epochen der Geschichte zieht - weswegen z.B. Daniel Dennetts Breaking the spell in seinem Gesamtentwurf als Argument gegen Religion und/oder Glauben qua Themenverfehlung nichts taugt. Und dieses Streben wird und wurde kulturgeschichtlich u.a. in mythischer Dichtung verarbeitet. Das steht nun geradezu im Kern des ethnologischen Argumentes, demnach das Verlangen des Menschen nach dem ganz anderen auf die Existenz dieses anderen verweist, so wie Hunger und Durst ein Hinweis auf das Vorhandensein von Speise und Trank sind. Also:

  • Weil Hunger existiert, können wir schließen, dass es Speise gibt.
  • Weil Durst existiert, können wir schließen, dass es zu trinken gibt.
  • Weil Leid existiert, können wir schließen, dass es Glück / Freude gibt.
  • Weil Unrecht existiert, können wir schließen, dass es Gerechtigkeit gibt.
  • Weil Unwissen existiert, können wir schließen, dass es Erkenntnis gibt.
  • Weil der Urgrund des Seins nicht im Inventar des klassifizierten Seienden liegt, können wir schließen, dass er außerhalb liegt.

Das ist simple Privationstheorie.

Ja: Die Frage nach göttlicher Offenbarung muss immer auch im Lichte der menschlichen Suche, im Zusammenhang mit diesem Streben gesehen werden. Deshalb kann Theologie - in the proper sense - niemals bloß geometrische Abstraktion im Universalreich der Ideen sein, jedoch ebenso wenig auf einfältigen Partikularismus der amoklaufenden Psyche reduziert werden. In seiner Summe der Theologie hat Thomas von Aquin ebendiese Bewandtnis - das Beisammensein von Universalität und Partikularität, von Teil und Ganzem - als Begründung für die Wissenschaftsfähigkeit der Theologie genannt (was eine Abkehr vom rein aristotelischen Wissenschaftsverständnis bedeutet); und ohne diesen Gedanken ist empirische Forschung z.B. gänzlich undenkbar. Folgt man Aquinas hier und vermeidet also die Skylla der geometrischen Universalität sowie die Charybdis der reduktionistischen Partikularität, so lassen sich in den und durch die jeweiligen kulturellen Formensprachen hindurch erstaunliche Parallelen hinsichtlich der Rede von, mit und über "Gott" erkennen.

Mit der konkreten Verteilung beschäftigt sich das ethnologische Argument indes nicht, denn die ist für den (prinzipiellen) Argumentationsgang nicht von Belang. Dass also Leute verhungern und verdursten, sagt nicht, dass es Speise und Trank nicht gäbe. Im Gegenteil: Es holt, wenn wir diesen Einwand ernst nehmen, viel eher diejenigen in die Pflicht, die zu essen und zu trinken haben, damit sie diejenigen, die das nicht haben, daran teilhaben lassen. Und, schwupps, schon wäre man beim Missionsgedanken.

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