Dienstag, 21. Februar 2017

Nachtgedanken: Gesellschaft und Arbeitsmarkt

Es muss unterschieden werden: Die Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund und Zeitarbeit, d.h. Arbeitnehmerüberlassung ("Personalleasing", "Leiharbeit"), sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Beides ist per se nicht "ausbeuterisch", sondern es sind Modalitäten, um flexible Arten der (sozialversicherungspflichtigen) Beschäftigung vertraglich abzubilden. Das entspricht im ökonomischen Sinne durchaus der größer werdenden Individualisierung auf gesellschaftlicher Ebene: Dass man mit 17 in einen Beruf einsteigt, den man dann bis 67 macht, passiert nun einmal immer seltener. Es sind am Ende aber doch zwei wesentlich unterschiedliche Dinge.

Werkstudentenstellen, die gerne mal befristet ohne Sachgrund besetzt werden, sind z.B. keine Zeitarbeit. Befristete Arbeitsverträge und Arbeitnehmerüberlassung sind sicher nicht der Idealfall oder das Optimum für alle Arbeitnehmer. Und in der Praxis gibt es gerade im Falle der PDLer - auch und gerade hinsichtlich der Integration von Leiharbeitern in die Verleihbetriebe - große Probleme. Andererseits stehen diese Varianten der Beschäftigung eben in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess, in dem man die Auflösung klassischer und tradierter Strukturen beobachten kann:

Politisch verschwindet der klassische Stammwähler nach und nach: Wechselhaftes Wählen scheint die Regel zu werden, und auch die Anziehungskraft der Volksparteien wird geringer.

Kulturell verliert das klassische Vereinsleben nach und nach seine Bindungskraft: Deutlich zu sehen ist dies beispielhaft im Gegenüber vom tradierten Sportverein und dem modernen Fitness-Studio.

Gesellschaftlich machen tradierte und traditionelle Strukturen von Familie und Ehe Platz für andere Modelle von Partnerschaft und Zusammenleben.

Religiös nimmt die Zahl derjenigen, die eher eine individuelle Spiritualität pflegen, tendenziell zu, während den überkommenen Formen und Institutionen religiöser Vereinigungen die Leute wegrennen.

Es ist dies ein gesamtgesellschaftlicher Prozess

  • Weg vom Rahmen der überlieferten Strukturen, hin zu einem größeren Raum für das Individuum. 
  • Weg von fester Verpflichtung, hin zu größerer Unverbindlichkeit. 
  • Weg von langfristigem Engagement oder längerfristiger Einbindung innerhalb einer Struktur, hin zum bloß kurzfristigen Hinein- schnuppern, Dabei-sein, Aus-probieren.

Ökonomisch spiegelt sich das eben nicht nur in der sog. "Generation Praktikum", sondern auch und gerade in der Arbeit auf Zeit wider (vermittels Befristung und ANÜ), in der begrenzten Beschäftigung, in "Mini-Jobs" etc. Denn die überkommene Struktur - gerade das ist ja der langfristig sichere Arbeitsplatz - schwindet auch hier

Es sind nun sicherlich nicht alle, die ein solches Arbeitsverhältnis haben, freiwillig darin. Andererseits sind sicherlich auch nicht alle unfreiwillig in einem solchen Verhältnis. Wieder andererseits sind sicherlich auch nicht alle freiwillig überhaupt in irgendeinem Arbeitsverhältnis, da scheint mir die ökonomische Notwendigkeit an sich doch eine recht große Hausnummer insgesamt zu sein, die die Wahl auf die eine oder andere Weise einschränkt. Weitere Faktoren wären die jeweilige Schul- und Berufsausbildung, die eben bestimmte Weichen legt. Einige merken z.B. erst im Vermittlungsgespräch bei der Agentur oder im Jobcenter, dass die Individualität und Unverbindlichkeit, die man sich in der Schule herausgenommen hat, eben Konsequenzen zeitigt und die Wahlmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt de facto erheblich einschränkt.

Aber das war und ist im Grunde gar nicht der Punkt meiner Betrachtung. Es geht wirklich nur darum, dass die genannten Dinge - Befristung ohne Sachgrund und Arbeitnehmerüberlassung - nicht per se "ausbeuterisch" sind, sondern die ökonomische Variante des gesamtgesellschaftlichen Wandels weg von der überkommenen festen Struktur hin zu individueller Flexibilität beschreiben. Ein Werturteil habe ich bei allen Bereichen - und dies auch bewusst - ausgelassen.

Gleichzeitig möchte ich zunächst einmal auch gar keine kausalen Verbindungen behaupten, sondern Parallelen aufzeigen. Tatsächlich würde ich nämlich zwischen den genannten Bereichen keine (einseitige) Kausalität, sondern relative Wechselwirkung und ggf. Feedback-Schleifen vermuten. Die Ursache des gesamten Prozesses würde ich mentalitätsgeschichtlich nämlich woanders verorten.

Vor dem Hintergrund des genannten gesamtgesellschaftlichen Wandels geht es in den Augen der Arbeitgeber letztlich insgesamt weniger um geforderte Loyalität der Arbeitnehmer als viel mehr um deren Identifikation mit dem Arbeitgeber. Loyalität stellt (ähnlich wie Solidarität) einen struktural(istisch)en Begriff im Sinne einer Selbst-Verpflichtung dar, während Identifikation sich zu allererst auf das Individuum bezieht. Das macht m.E. auch den Umgang mit der Struktur ("Umstrukturierung", "Personalabbau") nachvollziehbarer: Weil Identifikation herrschen soll und keine Loyalität, muss letztere freilich auch nicht vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer fließen, sondern die Einsicht des Arbeitnehmers wird quasi-selbstverständlich vorausgesetzt.

Das heißt am Ende natürlich nicht, dass das, was ich hier zu beschreiben versuche, das Optimum wäre, ganz im Gegenteil. Dem Ruf nach - mehr oder überhaupt - Loyalität und Verbindlichkeit kann ich mich anschließen.

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