Donnerstag, 13. April 2017

Der Gott der Philosophen

Gott soll einem, um ein volkstümliches Bonmot aufzugreifen, gar nichts abnehmen, sondern viel mehr die Schultern stärken. Hier sehe ich ein grundlegendes Missverständnis in der Debatte überhaupt: Es wird oftmals eine Erwartungshaltung an den Diskurs getragen, die - wenn überhaupt - nur von Teilgruppierungen aus der evangelikalen, fundamentalistischen oder kreationistischen Ecke erfüllt wird. So wird vom Speziellen fälschlich auf das Allgemeine geschlossen, und der Palaver ist da.

Es stimmt natürlich durchaus, dass der Gott der Rationalisten - nota bene: das ist nicht auch notwendig der Gott der rationalen Theologie - seltsam blutleer, passiv, abwesend und bedeutungslos erscheint. Bei Descartes besteht vielleicht noch die Möglichkeit eines daemon, eines bösen Geistes, der aktiv eingreift, indem er uns täuscht (da Descartes "Gott" als bestimmte Idee begreift), aber schon bei Spinoza treffen wir auf den geometrisch gezähmten Deus sive natura ("Gott bzw. Substanz") als notwendige Was-heit, die alles ist, was da existiert. Leibniz überführt diesen Gedanken folgerichtig in den bloß abstrakten zureichenden Grund, und am Ende steht der Deisten-Gott, der uns überhaupt nichts mehr zu sagen hat. Dieser Gott ist bzw. wird tatsächlich irrelevant, sowohl für den Einzelnen als auch für das Hier und Jetzt. Er kann keine ethische oder moralische Wirkung entfalten und ist lediglich ein mehr oder minder passgenauer Schluss- bzw. Grundstein im philosophischen Gedankengebäude. Den einzelnen Menschen bleibt dabei schlicht nichts übrig, als sich in die Übel der Welt zu ergeben - sei es, weil es sie (die Menschen wie die Übel) eigentlich gar nicht gibt, da sie in der Notwendigkeit des Deus sive natura aufgehen und kein davon verschiedenes, eigenständiges Dasein besitzen (Spinoza); sei es, weil sie in der besten aller möglichen Welten leben und dadurch im Grunde genommen überhaupt keinen Anlass zur Beschwerde haben, denn es könnte ja noch schlimmer sein (Leibniz). So findet man im Deisten-Gott weder Ethik noch Güte noch Trost.

Dass es aber auch anders geht - sapere aude! -, finden wir dann bei Kant: Sein regulatives Prinzip der Vernunft ist nicht irgendein steriles Wesen, das am Anfang des Universums steht, "10^-35 Meter groß ist und für 5*10^-44 Sekunden existiert hat" (Harald Lesch), sondern eine für den praktischen Gebrauch der Vernunft im Hier und Jetzt als notwendig anzunehmende Wirklichkeit. Es ist ein Gott, der - obwohl wir ihn nicht in der reinen Vernunft beweisen können - ethische Forderungen an uns stellt, und dem einzelnen Menschen einen Möglichkeitsraum eröffnet, sich eben gerade nicht in das Schicksal einer Welt voller Übel zu ergeben, sondern im Verbund mit diesem Gott (eben weil es sich um das regulative Prinzip der Vernunft handelt und nicht um eine materielle bzw. körperliche Wesenheit, die den Einzelnen absorbieren würde) auf das Gute hinzuwirken. "Der Alte aus Königsberg" (Lesch) mag zwar alle "Gottesbeweise" zertrümmert haben, hat am Ende aber einen eigenen Beweisgang vorgelegt und dabei die mittelalterliche Vorstellung von der gubernatio mundi ("Weltregierung" bzw. "Weltenlenkung", vgl. Thomas' fünften Weg) aus der empirischen Außenwelt in die rationale Innenwelt des menschlichen Geistes verlegt. Der Clou: Die empirische Welt muss notwendig im menschlichen Geist gefunden werden, um tatsächlich empirisch sein zu können - Raum und Zeit bestehen nur mehr als bloße Anschauungsformen des Geistes (hier klingt Newtons "Raum und Zeit als Sensorium Gottes" sehr stark nach). Was da allerdings noch einseitig konstruktivistisch anmutet, hat die Hermeneutik dann, von Friedrich Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt über den Neo-Kantianismus eines Heinrich Rickert bis hin zu Hans-Georg Gadamer, als dynamischen Prozess zwischen menschlicher Innenwelt und natürlicher Außenwelt nachgezeichnet - und ist am Ende wieder dort gelandet, wo die Scholastik sitzt, die "Leben" als sui motio - "Eigen-/Selbst-Bewegung", d.h. als dynamische Wirklichkeit, begreift.

Was schließlich das Verhältnis von Glauben und Zweifeln angeht:

"Ich bin nicht gläubig, denn ich könnte niemals mein kritisches Denken unterdrücken."
"Glauben bedeutet nicht die Abwesenheit von kritischem Denken. Es heißt, eine Sache ohne letztgültige Sicherheit anzunehmen."
"Wo ist der Unterschied?"
"Letztgültige Sicherheit wird durch kritisches Denken ausgeschlossen."

Auch hier begegnet uns im Diskurs gerne ein grundlegendes Missverständnis.

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