In seiner Summa Theologiae Teil 1 Quaestion 2 Artikel 3 argumentiert Thomas wie folgt:
Es scheint, dass Gott nicht existiert:
- Erstens: Wenn von zwei Gegenteilen eines unendlich ist, dann würde das andere gänzlich unmöglich in seiner Existenz. Die Bezeichnung „Gott“ impliziert unendliche Güte (Allgüte, Omnibenevolenz, you name it). Sollte Gott also existieren, dann dürfte das Übel (Böses) nicht auffindbar sein. Aber wir finden das Übel (Böses) in der Welt. Also gibt es Gott nicht.
- Zweitens: Was durch wenige Prinzipien (Grundsätze, Voraussetzungen, „Gründe“) erklärt (erfüllt) werden kann, das geschieht nicht durch viele. Das ist das Sparsamkeitsprinzip, oder im Volksmund: „Die einfachste Lösung ist immer die beste.“ Für Fans von Jodie Foster: „Ockhams Rasiermesser“. Und für ganz Intellektuelle: die sog. „Nullhypothese“. Es scheint aber nun, dass alles, was in der Welt vorkommt, durch andere Prinzipien (s.o.) erklärt (erfüllt) werden kann, wenn man annimmt, dass Gott nicht existiert: Natürliche Dinge lassen sich auf ein Prinzip zurückführen, namentlich die Natur. „Vorsätzliche“ (gesetzte, „zweckhafte“) Dinge („Kultur“) lassen sich auf ein Prinzip zurückführen, namentlich die menschliche Vernunft bzw. den menschlichen Willen. Es besteht also keine Notwendigkeit, anzunehmen, dass Gott existiert. Oder wie es Pierre-Simon Laplace pi mal Daumen ein halbes Jahrtausend später ausgedrückt haben soll: Je n'ai pas besoin de cette hypothèse. – „Ich habe diese Hypothese nicht nötig.“
Thomas liefert also einmal die Theodizee, zum anderen Naturalismus (Physikalismus, Biologismus, Psychologismus) und Kulturalismus als Argumente gegen die Existenz Gottes.
Andererseits finden wir in Ex 3,14: "Ich bin der 'Ich-bin-da'" (EÜ) bzw. sum qui sum (VUL)
Thomas antwortet, dass man Gottes Existenz auf fünf Wegen demonstrieren kann, nämlich ...
- ... ex parte motus, aus der Bewegung: Gott als unbewegtes Bewegendes.
- ... ex ratione causae efficientis, aus der Begründung der Wirkursache heraus: Gott als erstes ungewirktes Wirkendes.
- ... e possibili et necessario, aus dem Möglichen und dem Notwendigen: Gott als nicht-kontingenter Grund der Kontingenz.
- ... ex gradibus, aus der Abstufung hinsichtlich der Vollkommenheit: Gott als vollkommene Bedingung der Möglichkeit für Vollkommenes.
- ... ex gubernatione rerum, "aus der Regierung (Lenkung) der Dinge": Gott als Bedingung der Möglichkeit für Zwecksetzung.
Erwiderungen auf die eingangs genannten Argumente schließen den Artikel:
- Der Theodizee hält er mit Augustinus entgegen, dass Gott aus dem vorhandenen Übel Gutes hervorbringt.
- Dem Naturalismus/Kulturalismus hält er entgegen, dass diese Dinge ihrerseits in einem Prinzip verankert, d.h. kontingent, sind.
Thomas bringt die Gegen-Argumente also mit dem Glauben an Gott zusammen nicht indem er sie verwirft, sondern indem er einerseits diese Argumente anerkennt und ihre Aussageweite bespricht, aber andererseits auch Argumente für die Existenz Gottes liefert.
Das Interessante dabei ist, dass der zitierte Bibeltext im Aufbau der Argumentation den Wendepunkt darstellt - aber gerade nicht als naives "So steht es geschrieben, dass es Gott gibt, also gibt es ihn" (wie es mancher Kritiker nur allzu gerne hineinlesen will), sondern in einem sehr viel reflektierteren Sinne: Auf den Punkt gebracht hebelt Thomas nämlich die Tragweite der zuvor genannten Argumente dadurch aus, dass er darauf hinweist, dass die formulierten Einwände mit "Gott" nicht dasselbe meinen wie die Theologie, als deren Vertreter er schreibt. Denn gerade Ex 3,14 ist die Offenbarungsstelle des AT schlechthin, in der Gott dem Mose seinen Namen verrät. Durch einen Namen wird ein Sachverhalt ansprechbar, anrufbar, gleichzeitig aber auch kontrollierbar (und wenn es nur die sprachliche Kontrolle ist, die man - wie kurz auch immer - darüber besitzt). Die Ironie dabei ist freilich: Der Name, den Gott in Ex 3,14 offenbart, ist eigentlich ein Nicht-Name, und vom "Ich bin der 'Ich-bin-da'", wie es die deutsche Einheitsübersetzung auslegt, über das lutherdeutsche "Ich werde sein, der ich sein werde" oder das sum qui sum ("Ich bin der ich bin") der Vulgata gibt es eine ganze Bandbreite an Wiedergaben des hebräischen Eyeh-Asher-Eyeh. Thomas bezieht den Gottesnamen auf das philosophische Konzept des reinen Aktes, also auf diejenige Wirklichkeit, die immer schon all das ist, was sie je sein kann, und über die man eben nur auf analoge Weise sprechen kann, indem man zugleich lediglich herausstellen kann, was diese Wirklichkeit nicht ist (i.e. negative Theologie).
Die Erwiderung zur Theodizee fällt indes, das noch zum Abschluss, - ob nun von Thomas beabsichtigt oder nicht - an dieser Stelle m.E. eher unbefriedigend und vor allem kurz aus. Andererseits: Die Frage nach dem Guten und dessen Verhältnis zum Übel bespricht er etwas weiter im Text noch sehr viel ausführlicher, namentlich in STh I Qq.5 und 6 (das Gute allgemein und Gottes Güte), Qq. 20 und 21 (Liebe, Gerechtigkeit und Gnade), und dann vor allem in Qq. 48 und 49 (das Übel und seine Herkunft).
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