Donnerstag, 11. Januar 2018

Die Grenzen der Vernunft

Der katholische Glaube spricht auch über die Grenzen der Vernunft. Hier liegt der Anknüpfungspunkt zum philosophischen Teilbereich der Erkenntnistheorie bzw. Epistemologie, die sich u.a. ebenfalls mit diesen Grenzen beschäftigt. Kirchenlehre ist dabei:

  • Der Mensch kann vermittels seiner natürlichen Vernunft selbständig erkennen, dass Gott ist (Katechismus der Katholischen Kirche, Ziffer 31-35).
  • Der Mensch kann vermittels seiner natürlichen Vernunft jedoch nicht selbständig erkennen, was oder wie Gott ist - hierfür bedarf es der Offenbarung (KKK 36-38).
  • Das Reden von und über Gott besitzt immer schon Grenzen und kann Gott nie vollständig in der Sprache abbilden (KKK 39-43). 
Philosophisch sind diese Standpunkte nun nichts besonders Überraschendes:
  • Platon und Aristoteles bspw. haben mit ihrem Bezug auf das Gute bzw. auf das unbewegte Bewegende abseits der Offenbarungsreligionen ausgesagt, dass jene Bezugspunkte vorhanden sind bzw. sein müssen. Kant hat dargelegt, dass ein regulatives Prinzip der Vernunft angenommen werden muss, und er hat dies zugleich von der inhaltlichen Bestimmung durch die Offenbarungsreligionen abgekoppelt. Heidegger nähert sich dem unbestimmten Sein über die verschiedenen Aspekte und Schichten des Daseins, und letztlich lässt sich mit ihm auch nicht mehr über das Sein sagen als dass es ist. 
  • Weil nun weder Platon noch Aristoteles noch Kant noch Heidegger über die Grenzen der natürlichen Vernunft hinaus gehen - oder gehen wollen -, lassen sie notwendig den Bereich der Frage nach einer (Selbst-)Offenbarung (des Guten, des Seins, des regulativen Prinzips, ...) außen vor. Hier liegt der Anknüpfungspunkt zwischen Philosophie und Theologie, insofern ganz grundsätzlich abgeglichen werden kann, was (a) vermittels der natürlichen Vernunft gewusst werden kann, und was (b) eine (mögliche, angebliche, ... you name it) Offenbarung behauptet. Dabei ist nun auch zu beachten, dass dieser Vorgang in seiner Dynamik analog steht zur Schnittstelle zwischen bspw. Philosophie und Historiographie, denn "Offenbarung" muss sich ja nicht notwendig auf etwas Göttliches beziehen. Es geht hierbei letztlich um die Frage, ob und inwiefern (a) und (b) miteinander kompatibel sind.
  • Dass menschliche Sprache Grenzen hat, scheint mir unstrittig: Jegliches Reden über irgendetwas kann nie vollständig alles in (menschlicher) Sprache abbilden. Beispielhaft seien folgende Grenzen genannt:
    • Eine sprachliche Äußerung kann zeitlich und räumlich nur sequenziell, also als Folge verschiedener Wörter in einem Sinnzusammenhang erfolgen; entsprechend geschieht auch die Aufnahme oder Verinnerlichung von Geäußertem.
    • Es ist zu unterscheiden zwischen dem Bezugsobjekt, über das etwas gesagt werden soll, sowie der Art und Weise, wie etwas über ein Bezugsobjekt gesagt wird. So lässt sich ein Ereignis z.B. sprachlich als Komödie, als Tragödie, als Satire oder als Romanze darstellen.
    • Schließlich ist zu unterscheiden zwischen einer objektbezogenen Bedeutung des Gesagten und einer subjektbezogenen Rückbindung des Gesagten, oder anders: Reine Objektsprache gibt es nicht, denn in jeder sprachlichen Äußerung schwingt auch das sprechende Subjekt mit. Populärwissenschaftlich allseits bekannt sind hierzu ja die vier Ebenen einer Aussage (Offenbarungs-, Appell-, Sach-, Beziehungs-Ebene).
Das alles nun an einem praktischen Beispiel illustriert:
  • Dass Du, lesende Person, existierst, kann der Autor dieses Textes, Epigonias, mit seiner natürlichen Vernunft selbständig erkennen; namentlich indem er die Zeugnisse der Welt, welche ihm begegnen, aufnimmt, begreift und versteht: ganz banal z.B. über die Zugriffszahlen dieser Seite.
  • Was oder wie - und vor allen Dingen wer - Du, lesende Person, bist, kann Epigonias mit seiner natürlichen Vernunft nicht selbständig erkennen; dafür musst Du, lesende Person, Dich selbst mit-teilen ("offenbaren"), z.B. ganz banal über die hiesige Kommentarfunktion. Doch auch wenn Epigonias von Dir, lesende Person, nun eine Selbst-Mitteilung erhalten hat, sollte er sich nicht einbilden, Dich vollständig sprachlich begriffen zu haben oder gar vollständig sprachlich begreifen zu können.
Heißt das nun, dass Du, lesende Person, eigentlich ein reader of the gaps bist, also passenderweise immer genau dort existierst, wo Epigonias aktuell gerade nichts weiß, und dass Du, lesende Person, mit immer größerem Wissen seitens Epigonias selbst immer kleiner würdest? 

Nein, ganz im Gegenteil. Es heißt, dass es bereits eine ganz grundlegende Grenze im Verständnis der natürlichen Dinge gibt - eben weil diese Grenze im verstehenden Subjekt (in diesem Fall also bei Epigonias) liegt. Diese Grenze ist weder irgendein Trick noch sonst eine Hinterfotzigkeit. Sie ist schlicht gegeben und sorgt letztlich auch dafür, dass Dir, lesende Person, eine eigene Wirklichkeit zugestanden werden muss, die es unabhängig von Epigonias' Einsicht gibt. Du, lesende Person, musst dafür kein "Überwesen" o.ä. sein; und da Du, lesende Person, eine eigene Wirklichkeit besitzt, die unabhängig von Epigonias' Einsicht besteht, existierst Du, lesende Person, auch nicht bloß in irgendeiner Nische. 

Mehr anzunehmen verlangt der (katholische) Glaube letztlich nicht. 

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