Wenn eine Erklärung für etwas gefunden werden soll, das heißt: wenn eine Sache A auf eine Ur-Sache B zurückgeführt werden soll, dann stellen sich gewisse Schwierigkeiten ein:
Insofern B als Sache selbst wieder auf eine Ur-Sache C zurückgeführt werden muss, kann B A nicht erklären. Bevor B A erklären kann, muss also erst C B erklären. Insofern aber C nun als Sache auch wieder auf eine Ur-Sache D zurückgeführt werden muss, muss erst D C erklären, bevor C B erklären kann, bevor B A erklären kann. Und sofern D als Sache wiederum auf eine Ur-Sache E zurückgeführt werden muss, verschiebt sich die Kette wieder um ein Glied usw. bis ins Unendliche. Damit ist trotz dieser langen Kette an Verweisen nichts erklärt.Dass damit nichts erklärt ist, liegt zugleich eben nicht daran, dass man sich Unendlichkeit nicht vorstellen könnte, sondern es liegt daran, dass innerhalb so einer Kette keine Ur-Sache steht, die ihrerseits nicht selbst auf eine andere Ur-Sache verweist; so lange am Ende der Kette eine Sache steht, die ihrerseits einer Ur-Sache bedarf, ist eigentlich nichts erklärt.
Es handelt sich dabei nicht um ein praktisches, sondern um ein prinzipielles Problem. Einen Sonderfall dieses Problems haben wir dann vorliegen, wenn B die Ur-Sache von A, C die Ur-Sache von B, und A wiederum die Ur-Sache von C ist. Das nennt man einen Zirkelschluss, weil die Verweiskette im Kreis (Zirkel) läuft, ohne dass je etwas erklärt würde.
Was zur Erklärung also notwendig ist, das ist eine Ur-Sache, die selbst keiner Ur-Sache bedarf. Also: Etwas, das in erster Linie (primär) Ur-Sache ist, und nicht etwas, das in erster Linie Sache und erst in zweiter Linie (sekundär) Ursache ist. Und das ist unabhängig von der Länge einer konkreten Ur-Sachen-Kette.
Seit Aristoteles wird dieses Problem in der Praxis nun so gelöst, dass - ich verwende moderne Kategorien - der Forscher, der eine Erklärung sucht, einen Rahmen setzt, innerhalb dessen er etwas erklärt haben will. Klassisch sind das die Prämissen in einem Syllogismus, d.h. die Voraussetzungen in der einfachsten Form eines Arguments. Eine Erklärung gilt demnach im Rahmen ihrer Prämissen. In modernen wissenschaftlichen Untersuchungen haben wir ausdrücklich genannte Voraussetzungen, Quellen und/oder Versuchsaufbauten, die diese Rolle übernehmen (und damit überhaupt erst für die Wissenschaftlichkeit einer Untersuchung sorgen). Dabei wird seitens des Forschers festgelegt, bis zu welchem Punkt er eine Ur-Sache verfolgt, und ab welchem Punkt es für ihn nicht mehr relevant erscheint - das nennt man Erkenntnisinteresse.
Die Götter eines Pantheons wie wir es beispielsweise von den Griechen, Germanen oder aus Indien kennen, sind nun solche Ur- Sachen in zweiter Linie (sekundäre Ursachen), da sie im Rahmen ihrer überlieferten Erzähl-Strukturen eben auch jeweils eigene Ur-Sachen haben. Dem gegenüber steht nun z.B. das aristotelische unbewegte Bewegende, das in erster Linie (primär) Ur-Sache ist. Dieses unbewegte Bewegende ist nicht identisch mit den Göttern des griechischen Pantheon, im Gegenteil: es ver-ursacht auch die Götter. Insofern also vom unbewegten Bewegenden gesprochen wird, betrifft es demnach die Theologie; insofern von den Göttern erzählt wird, betrifft es die Mythologie.
Juden, Christen und Muslime haben nun den Gott ihrer Tradition nicht mit einer Figur aus einem Pantheon identifiziert, sondern mit dem, was uns bei Aristoteles als unbewegtes Bewegendes begegnet.
Das kann man eigentlich auch dann nachvollziehen, wenn man weder ein unbewegtes Bewegendes noch irgendwelche Götter annehmen mag.
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