Dass Fremd-bestimmung vor Selbst-bestimmung stattfindet, gehört zu den ontologischen Merkmalen des Mensch-Seins. Denn noch bevor ein Mensch überhaupt das erste Mal "ich" oder "nein" sagen kann, werden bereits die grundlegenden Dinge seines Daseins von anderen bestimmt: Ob er überhaupt existiert, in welche Verhältnisse er hineingeboren wird, wie er heißt, zu welcher Familie er gehört, welches Geschlecht er hat, welchem Staat er angehört. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist ebenfalls solch ein Merkmal, und es kann positiv oder negativ bestimmt werden. Religiös unbestimmt ist kein Mensch, denn er kann auch ohne formelle Aufnahme in eine Gemeinschaft immer als Kind von atheistischen, buddhistischen, christlichen, daoistischen, esoterischen, freidenkerischen, gnostischen, hinduistischen, islamischen, jesidischen, ... you name it ... Eltern bestimmt werden. Und sofern die Eltern mit dem Kind inter-agieren, wird es auch immer durch die religiöse oder weltanschauliche Überzeugung der Eltern zumindest mit-geprägt.
Niemand gibt den Eltern das Recht, über den Glauben des Kindes zu bestimmen. Denn erstens hätten die Eltern dieses Recht - so es denn ein solches gäbe - als Eltern und nicht deswegen, weil es ihnen jemand anderes von außen verleiht: Es gehört gewissermaßen zum Wesen des Eltern-Seins, die grundlegenden Entscheidungen im Dasein des gezeugten Kindes zu treffen. Zweitens geht es zunächst um die Aufnahme des Kindes in eine Religionsgemeinschaft; die Frage, was das Kind zu glauben hat, stellt sich erst dann, wenn das Kind eigenständig handeln kann und entsprechend der Religionsgemeinschaft, in die es aufgenommen wurde, erzogen werden soll. Die Erziehung wiederum betrifft zunächst auch die Eltern als Eltern.
Ja, die Taufe spielt im Rahmen der kirchlichen Mission eine wesentliche Rolle. Aber nein, (s)ein Kind zu taufen ist so wenig eine "Missionierung mit der Holzhammermethode" wie der Eintrag beim Standesamt nach der Geburt eine "Verstaatlichung" ist. Das Kind wird streng betrachtet nicht "in eine Kirche hineingeboren". Der Punkt ist gerade, dass die Eltern als Eltern über die Aufnahme des Kindes in eine Kirche (bzw. Religionsgemeinschaft) entscheiden. Das ergibt nur dann einen Sinn, wenn das Kind eben nicht automatisch schon durch Geburt Mitglied ist (was in manchen Religionen, so viel muss an dieser Stelle gesagt werden, jedoch durchaus angenommen wird).
Man wird in eine Kirche ebenso wenig hineingeboren wie in einen Staat. Wohl aber wird ein Kind freilich auf einem bestimmten Staatsgebiet geboren bzw. von Eltern mit einer bestimmten Staatsangehörigkeit oder Kirchen- bzw. Religionszugehörigkeit. Der Unterschied liegt nun darin, dass die Eltern hinsichtlich der Staatsbürgerschaft des Kindes erst einmal keine Wahl haben. Von außen ist es zunächst einmal etwas, bei dem die Eltern Mitglied sind (oder auch nicht). Hier liegt der Ansatzpunkt für einen Vergleich (keine Gleichsetzung) zwischen den verschiedenen Institutionen der Menschenwelt. Gegen die Aufnahme eines Kindes in eine Religionsgemeinschaft spricht insofern ebenso wenig wie gegen die Aufnahme eines Kindes in einen Staat, in eine Familie oder in eine Gesellschaft.
Die eigentliche Frage ist, was denn dafür spricht, dass Eltern diese Entscheidung für ihr Kind treffen.
Einerseits gibt es dafür ethnologische und soziologische, vielleicht auch psychologische Gründe hinsichtlich der Gruppen-Zugehörigkeit, die immer auch die individuelle Identität betrifft und dem Kind damit eine Identifikation auf etwas Drittes hin eröffnet, wodurch wiederum die Beziehung zu anderen positiv vollzogen und gestaltet werden kann. In diesem Sinne verhält sich Religion wie jede andere Institution der Menschenwelt.
Es kann darüber hinaus jedoch durchaus auch belastend sein, wenn ein Kind mitbekommt, wie begeistert die Eltern von ihrer Gemeinde sind, und es gleichzeitig aber erfahren muss, dass die Eltern ihr Kind absichtlich und bewusst nicht als Teil derselben wollen. Hier müssen die Eltern mindestens eine gute Antwort auf die Frage haben, warum sie ihrem Nachwuchs etwas, das sie für gut erachten, vorenthalten - ganz zugespitzt natürlich in der Frage: "Warum will Gott mich nicht in der Gemeinde dabei haben?" Unter Umständen kommt damit zusammenhängend noch die Frage hinzu, ob dem Urteil der Eltern hinsichtlich der Güte einer Sache generell getraut werden kann.
Andererseits gibt es auch noch theologische Gründe, die dafür sprechen: Allen voran aus christlicher Perspektive die Bewandtnis, dass die Taufe nicht als menschliches Verdienst, sondern als Zeichen göttlicher Gnade begriffen wird, und damit - überspitzt ausgedrückt - anderen nicht vorenthalten werden darf. Pointiert gesagt: Die Taufe ist das Geschenk Gott-Vaters an seine Kinder, um ihnen die Teilhabe am Heilsgeschehen zu öffnen; darum obliegt es den Vätern bzw. Eltern, sie an ihre Kinder weiterzugeben. Damit zusammen hängt die ekklesiologische Dimension, demnach der Mensch durch die Taufe ein Teil der Kirche, und damit zu einem Glied am mystischen Leib Christi, wird. So wird der Mensch schließlich Teilhaber an den Grundvollzügen des kirchlichen Lebens, die da sind Liturgie (Gottesdienst), Diakonie (Dienst am Menschen), Martyria (Zeugnis), Koinonia (Gemeinschaft).
Das hängt weiters natürlich auch mit dem Kirchen- und Sakramentenverständnis zusammen, und da gibt es weit reichende Unterschiede: Altkirchlich gedacht (katholisch, orthodox, orientalisch, mit Einschränkungen auch anglikanisch) ist die Kirche nicht nur Glaubensgemeinschaft, sondern vor allem Sakramentengemeinschaft, d.h. sie ist nicht bloße Weltanschauungsgemeinschaft und nicht bloße Kultgemeinschaft, sondern eben in erster Linie Vollzugsgemeinschaft. Dabei kann es durchaus graduelle Abstufungen geben: Die Taufe ist so z.B., katholisch gesehen, neben der Firmung und der Eucharistie, eines von drei sog. Initiations-Sakramenten. In den Gemeinden der reformatorischen Tradition sieht das dann durchaus anders aus, hier ist die Kirche v.a. Bekenntnisgemeinschaft. Vor diesem Hintergrund wird es mit graduellen Abstufungen natürlich schwer(er), und gerade hinsichtlich des Bekenntnisses lässt sich eine elterliche Sachwalterschaft kaum bis gar nicht rechtfertigen.
Gott schließt nun - zumindest katholisch gesehen - niemanden aufgrund fehlender Sakramente von seiner Gnade aus. Das geht alleine schon historisch nicht auf, da die Sakramente erst zur Zeitenwende mit Gründung der Kirche eingesetzt wurden, während die Erlösung am Kreuz alle Menschen betrifft. Die Sakramente sind andererseits aber Zeichen der Gnade: Sie vermitteln die sichtbare Heilsgewissheit für jene, die an ihnen teilhaben. Dass Gott nicht auch andere Wege wählen könnte oder würde, ist damit nicht ausgesagt - es gibt dafür allerdings keine gewissen Zeichen.
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