Dass Theologie vornehmlich bekenntnisgebunden studiert und gelehrt wird, stellt in der Tat eine - sowohl historisch als auch durchaus systematisch bedingte - Eigenart dieses Faches dar. Die Unterscheidung zwischen katholischer, protestantischer, orthodoxer oder gar jüdischer (Jüdische Studien) und islamischer (Islamwissenschaft) Theologie ist einerseits schärfer als z.B. zwischen "orthodoxer" (neo-klassische Synthese) und "heterodoxer" (Marxismus, Österreichische Schule, ...) Wirtschaftswissenschaft oder zwischen newtonscher und einsteinscher Physik, andererseits aber nicht so scharf wie z.B. zwischen Soziologie und Sozialgeschichte oder Ethnologie und Archäologie. Die Bekenntnisgebundenheit der Theologie markiert damit mehr als nur Denkschulen, aber doch weniger als separate Fächer. Im Sinne der akademischen Pluralität scheint mir so eine dritte Ebene problemlos tolerabel.
Und auch wenn die Anhänger eines bestimmten Bekenntnisses vornehmlich die zugehörige "eigene" Theologie studieren, so kann man auch als Katholik Islamwissenschaft oder als Moslem protestantische Theologie studieren. Ein berühmtes Beispiel dafür wäre Hannah Arendt, die als Jüdin gar bei Rudolf Bultmann in Marburg evangelische Theologie studiert (und in Heidelberg über den Liebesbegriff bei Augustinus promoviert) hat. Und während meines (Geschichts-)Studiums habe ich z.B. auch atheistische Theologiestudenten kennengelernt. Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch "typische" Universitäten und Studienfächer, die man je nach persönlicher Identifikation wählt. Bekannte Beispiele wären hier wohl das Institut für Sozialforschung an der Uni Frankfurt oder die UC Berkeley. Und als Ersti hat man mir seinerzeit auch mal erklärt:
"Die Roten machen Politologie oder Soziologie, die Grünen machen Ethnologie oder Anthropologie, die Blauen und die Braunen machen Jurisprudenz, die Gelben machen Ökonomik - und wer fürs Lehramt noch ein Fach braucht, aber nicht weiß, was er machen will, der studiert Geschichte."
Leider (?) habe ich nicht auf Lehramt studiert.
Letztlich findet sich in der Theologie als Fach jedoch (soweit mein formal fachfremder und im Zweifel idealisierender Einblick reicht) immer eine Variante der Dreierkette historische Theologie, systematische Theologie und praktische Theologie, die über die Brücke der Religionsgeschichte, Religionsphilosophie und Moralphilosophie nicht nur die Verbindung zur Theologie anderer Bekenntnisse, sondern auch zu den anderen Wissenschaften herstellt oder zumindest idealiter herstellen kann.
Die historische Theologie beschäftigt sich dabei mit Gott, insofern beispielsweise die christlichen Kirchenväter von ihm gesprochen haben (dieser Teilbereich heißt "Patrologie" oder "Patristik"). Da gibt es in der Form durchaus Unterschiede z.B. zwischen den griechischen und den lateinischen Kirchenvätern allgemein, oder konkret zwischen den drei Kappadokiern (Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Basilius der Große) einerseits und Augustinus von Hippo andererseits.
Die systematische Theologie beschäftigt sich mit Gott, insofern beispielsweise gefragt wird, was man unter welchen Umständen wie über Gott sagen kann. Hier steht natürlich die Verbindung zur Philosophie sehr stark im Vordergrund, und da gibt es z.B. zwischen den Sprachmöglichkeiten im Rahmen der (v.a. angloamerikanischen) Analytischen Philosophie und den verschiedenen "kontinentalen" Ansätzen durchaus gravierende Unterschiede.
Die praktische Theologie - nein, damit ist keine "Theophysik" oder "Physiko-Theologie" gemeint - beschäftigt sich mit Gott, insofern beispielsweise gefragt wird, wie das, was über Gott gesagt wurde, und das, was über Gott gesagt werden kann, einerseits anderen vermittelt werden (klassisch: Religionspädagogik) und andererseits im täglichen Leben gelebt werden kann (klassisch: Moraltheologie).
Als Faustregel kann man alle drei auch dergestalt auseinanderhalten, dass die erste fragt, wie über Gott gesprochen wurde (Historische Theologie - Vergangenheit), die zweite, wie man über Gott sprechen kann (Systematische Theologie, Gegenwart), die dritte, wie man über Gott sprechen soll(te) (Praktische Theologie, Zukunft).
Systematisch lässt sich die Eigenständigkeit der Theologie dergestalt begründen, dass die Theologie als Geisteswissenschaft aus der (Religions-)Philosophie und nicht aus der Ethnologie abstammt. Historisch lässt sie sich dergestalt begründen, dass die Theologie seit Aristoteles als Reden von Gott der Mythologie als Erzählen von den Göttern gegenübersteht.
Theologie reflektiert (auf) den Glauben und auf die "Religionsinhalte", steht aber natürlich wie jede Wissenschaft in einer Wechselwirkung zum gesellschaftlichen Leben, an dem sie reflektierend Anteil nimmt, insofern die Reflexion eben auch ein Feedback erzeugt. Vergleichbar wäre das z.B. mit der Politologie, die (auf) das Gemeinwesen reflektiert, oder mit der Jurisprudenz, die (auf) Gesetzgebung und Rechtsprechung reflektiert, die beide aber nicht zuerst dazu da sind, Politik zu machen, Gesetze zu erlassen oder Recht zu sprechen, die sich wohl aber dazu eignen, diese Dinge zu analysieren, im Diskurs zu verteidigen oder zu kritisieren, und nicht zuletzt auch der Öffentlichkeit zu erläutern. Dass das Gemeinwesen, die Gesetzgebung oder die Rechtsprechung dann und wann auch wissenschaftlichen Rat einholen, bevor eine Entscheidung getroffen wird, gehört bereits zum o.g. Feedback. So in etwa scheint mir auch die Rolle der Theologie in dieser Frage: Sie selbst legt keine religiösen Lehren fest (das tun die genuin religiösen Institutionen); sie kann aber dabei helfen, diese zu begründen.
Wissenschaftsgeschichtlich besteht durchaus eine Nähe zwischen christlicher Theologie und Historiographie. So sei gerade die christliche Religion eine "Religion von Geschichtsschreibern" (mehr oder weniger frei nach Marc Bloch), denn der christliche Wahrheitsbegriff ist ein historischer, ein geschichtlicher Wahrheitsbegriff ("es ist wahr, weil es passiert ist"). Andererseits ist Geschichtsschreibung immer auch theologisch, insofern notwendigerweise "Heilsgeschichte" geschrieben werden muss, soll heißen: insofern jede Untersuchung auf ein ganzes und schlüssiges Narrativ zielt.
Theologie unterscheidet sich schließlich von Religionswissenschaft:
- Dem Gegenstand nach beschäftigt sich Theologie mit Gott, und Religionswissenschaft beschäftigt sich mit Religion.
- Einer klassischen Verständnisweise nach (die m.W. auch ganz gerne im Tutorium vermittelt wird) denkt Theologie das Phänomen "Religion" von innen ("materiell") durch, während Religionswissenschaft das Phänomen "Religion" von außen ("formal") durchdenkt.
- Daran anknüpfend ließe sich sagen, dass Theologie (gerade insofern sie bekenntnisgebunden gelehrt wird) zuerst an einer Distanzierung vom Eigenen interessiert ist (Reflexion auf die eigene Glaubenspraxis), während Religionswissenschaft zuerst die Nähe zum Fremden sucht (Reflexion auf die Glaubenspraxis von anderen).
- Erkenntnistheoretisch ist die Theologie primär systematisch angelegt (analog zur Philosophie), während Religionswissenschaft primär historisch angelegt ist (analog zur Geschichtswissenschaft).
- Historisch betrachtet gibt es Theologie auch außerhalb des abendländisch-westlichen Kulturzusammenhangs (z.B. im arabischen oder südasiatischen Kulturzusammenhang, eben weil die Chiffre "Gott" nicht kulturell gebunden ist), Religionswissenschaft hingegen ist klar abendländisch-westlich geprägt (weil der Religionsbegriff als solcher ein Spezifikum der abendländischen Ideen- und Geistesgeschichte darstellt).
- Fachlich ist die Theologie in erster Linie eine singuläre Disziplin, die über sich selbst hinaus auf andere Disziplinen zu(rück)greift, und die Religionswissenschaft ist demgegenüber mehr ein interdisziplinäres Aggregat, in dem mehrere Disziplinen zusammenkommen.
Sine ira et studio kann man Theologie und Religionswissenschaft durchaus als Schwestern oder Cousinen betrachten, denn beide widersprechen sich nicht (notwendigerweise), steigen aber - als Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften - an verschiedenen Punkten in den hermeneutischen Zirkel ein.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen