Der Begriff "Kunst" lässt sich allgemein unter (mindestens) zwei Aspekten verstehen:
Erstens über das Gegensatzpaar natürlich - künstlich, demzufolge "Kunst" all das umfasst, was nicht auf natürliche Weise besteht. "Kunst" ist demnach ein Erzeugnis des menschlichen Willens und der menschlichen Absicht, etwas ins Dasein zu bringen, zu erzeugen oder zu (er-)schaffen. In diesem Sinne steht "Kunst" für eine bestimmte menschliche Fertigkeit (daher auch der Spruch "'Kunst' kommt von 'können'"), und sie befindet sich im Umkreis dessen, was uns bei Aristoteles als "Grundhaltung der Seele" unter dem Namen techne begegnet ("praktische" Vernunft - nicht zu verwechseln mit der "praktischen Vernunft" nach Kant, die bei Aristoteles eher der phronesis entspricht). Auf den verschlagworteten und höchst missverständlichen Punkt gebracht: Kunst ist Technik.Zweitens lässt sich "Kunst" allerdings auch von den drei Transzendentalien her verstehen, also von Modalitäten, die allem Seienden zu eigen sind: das Schöne (ipsum pulchrum), das Wahre (ipsum verum), das Gute (ipsum bonum). Hier steht "Kunst" vor allem mit dem Schönen in Verbindung, verschlagwortet: Kunst ist Ästhetik, und das vor allem insofern, als das Schöne in der Kunst sinnlich erfahrbar wird (gr. aisthesis - Wahrnehmung, Empfindung). Zur Erkenntnis des Schönen haben sich in der scholastischen Tradition drei Kategorien als zentral erwiesen: integritas - "Integrität" oder Ganzheit; consonantia - "Konsonanz" oder Harmonie; claritas - Deutlichkeit oder Glanz (übertragen dann auch: "Ausstrahlung"). So lässt sich spezifizieren: Kunst ist Ästhetik, insofern es sich um ein harmonisches Ganzes mit Ausstrahlung handelt.
Mit speziellem Blick auf die Musik kann man darum sagen: Musik wird nicht erst zur Kunst - Musik IST Kunst.
Musik ist zweifellos ein menschliches Erzeugnis, eine Fertigkeit, die im menschlichen Willen ihren Ausgangspunkt nimmt. Und Musik erfüllt die Kriterien der Ästhetik, insofern sie etwas harmonisches Ganzes mit Ausstrahlung hervorbringt. Gerade mit letzterem eng verwandt ist der von Plato bis ins späte 18. Jahrhundert übliche Musikbegriff, der die Tonkunst in sich wiederum in drei Kategorien aufschlüsselte: harmonia - "Harmonie" bzw. regelmäßige Beziehungen zwischen Tönen; rhythmos - "Rhythmus" bzw. rechtes Maß innerhalb der Zeit; logos - "Vernunft" bzw. Ausdruck im Sinne von verständlicher Bedeutung. Entsprechend galt Musik im scholastischen Bildungssystem als eine der artes liberales ("freie Künste", namentlich als Teil des quadrivium - "Vierweg" neben Astronomie, Geometrie und Arithmetik), und sie gilt auch heute noch als eigene Kunstgattung neben bildender Kunst, darstellender Kunst und Literatur.
Um gerade zeitgenössische Figuren der Popmusik wie Helene Fischer als pars pro toto einer ganzen Bewegung zu betrachten, muss freilich noch eine weitere kulturgeschichtliche Entwicklung bedacht werden, die an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eingesetzt hat: Die Überbetonung der Ästhetik als (heutzutage vor allem auch individuelle und/oder subjektive) Empfindsamkeit und damit der Anspruch der Zweckfreiheit an die Kunst. Demnach stehe Kunst rein in sich und für sich, gewissermaßen als absolutes, d.h. los-gelöstes Phänomen. Akademisch hat sich das im Konzept der "absoluten Musik" widergespiegelt, auf dessen Grundlage sich die moderne Musikologie nach dem Zusammenbruch des vormodernen Wissenschaftssystems als (Geistes- und Kultur-)Wissenschaft neu gegründet hat; kulturell ist auf diese Weise der einsame (und brotlose) Künstler als Genius in Erscheinung getreten, der wie aus dem Nichts und nur um ihrer selbst Willen seine Kunst hervorbringt. Diesem Zug widerspricht natürlich streng genommen die gesamte moderne, zeitgenösse und populäre (im Sinne von "weit verbreitete") Musik, und der Begriff einer "Musikindustrie" muss geradezu als ideologischer Antagonist dazu gedacht werden. Denn sobald der Künstler mit seinem Werk Geld verdient, sobald er die Kunst gewissermaßen zum Beruf hat, ist diese nicht mehr zweckfrei und damit im besten Falle nur noch in eingeschränkter Weise, streng genommen aber unter diesem Paradigma überhaupt nicht mehr "Kunst". So lässt sich nicht nur eine gemeinhin abschätzige Haltung gegenüber der Populärkultur als solcher erklären, sondern speziell auch die Kritik an populären Kunstfiguren wie eben Helene Fischer, die die Kunst nicht nur zum Beruf haben, sondern dazu noch eine Unmenge an Geld verdienen.
Tatsächlich kann man jedoch vor diesem gesamten Hintergrund mit guten Gründen argumentieren, dass gerade solche populären Figuren wie Helene Fischer, die nicht nur durchproduzierte Lieder im Rahmen einer in sich ausgestalteten Bühnenshow präsentieren, sondern ein gesamtes und groß angelegtes Marketingkonzept von der Frisur bis zur Live-DVD verkörpern, viel eher "Kunst" sind als eine zusammengewürfelte Nachwuchsband, die sich auf dem Schulfest durch ihren Auftritt rumpelt und es nicht einmal schafft, sich in Sachen Musikrichtung oder Bühnenoutfit abzustimmen.
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