Montag, 3. Juni 2019

Zur aktuellen Kirchenkrise

Recht eigentlich sind die "genderbezogenen Ungleichheiten" überhaupt nicht das Problem, welches ich als ein zentrales "Zeichen der Zeit" (Mt 16,1-4; GS 4) benennen würde.

In der Sozialforschung gibt es zwei Begriffe, um das Geschlecht eines Menschen zu benennen: Zum einen steht Gender als Bezeichnung des sozialen Geschlechts, also zur Bezeichnung der Rolle, die ein Mensch innerhalb einer Sozialstruktur ausübt und erfüllt. Zum anderen steht Sex als Bezeichnung des biologischen Geschlechts, also zur Bezeichnung eines natürlichen Merkmals, das ein Mensch von sich aus hat. Dabei genießt die Kategorie des Sex gegenüber der Kategorie des Gender ontologische Priorität, insofern letzteres eine menschengemachte Reflektion auf ersteres darstellt, das heißt: die soziale Rolle setzt notwendig immer schon bestimmte natürliche Merkmale voraus. Wie die Umsetzung dann konkret und im Einzelnen aussieht, unterscheidet sich je nach zeitlichem, sozialem und kulturellem Zusammenhang. 

That being said ...

Noch vor dem Gender-Problem sehe ich in der Kirche ein eklatantes und himmelschreiendes Sex-Problem. Namentlich das Problem der sexuellen Gewalt und des sexuellen Missbrauchs, das sich in die Reihen nicht nur der kirchlichen Hierarchie, sondern gerade auch des geweihten Priesterstandes geradezu hineingefressen hat, und dessen Wesen am besten mit der Kategorie des Diabolischen oder Satanischen zu beschreiben ist. In seinen Abgründen übersteigt es nämlich psychologische oder soziologische Erklärungsansätze bei weitem, so hilfreich diese auch im Allgemeinen sein mögen: Es geht um einen im wahrsten Sinne des Wortes Un-geist, der sich im Herzen der Kirche breitgemacht hat und das Zeugnis des Heiligen Geistes verdunkelt - und das sowohl für die Menschen außerhalb der Kirche als auch und gerade für die Menschen innerhalb der Kirche. 

Genau hier, an dieser Stelle und im Angesicht dieser Abgründe, verorte ich den allerhöchsten Handlungsbedarf. Und zumindest auf dem Papier sehe ich dabei Schnittmengen mit der Aktion Maria 2.0, denn immerhin befassen sich alle vier Anklagepunkte und zwei von fünf Forderungen der Petition mit dem Problem der sexuellen Gewalt und des sexuellen Missbrauchs. Mir ist andererseits jedoch auch aufgefallen, dass der Diskurs rund um diese Aktion sich auf eine einzige Forderung, plakativ eben die Einführung von Priesterinnen, konzentriert hat.

Gerade eben weil es sich jedoch um ein Sex-Problem und nicht um ein Gender-Problem handelt, greifen bloße Strukturmaßnahmen, die sich mit der Rolle bestimmter Individuen innerhalb einer Sozialstruktur beschäftigen, zu kurz. Um den Volksmund zu bemühen: Der Fisch stinkt zwar vom Kopf her, aber er fault von innen heraus. Soll heißen: Ja, die klerikalen Machtstrukturen haben den Missbrauch begünstigt und dabei geholfen, ihn zu vertuschen. Ja, diese Strukturen müssen aufgebrochen werden. Und ja, es müssen administrative Konsequenzen gezogen und durchgesetzt werden, sowohl hinsichtlich des internen Umgangs mit dem Thema als auch hinsichtlich des Umgangs mit Behörden nach außen. Viel radikaler heißt das jedoch auch: Solche Strukturen stehen nicht für sich allein, solche Strukturen kommen nicht aus einem Vakuum, solche Strukturen erscheinen nicht plötzlich aus dem Nichts, sondern solche Strukturen können sich nur in einer Kirche entfalten, deren inneres Leben, deren innere Dynamik den genannten Abgründen Räume öffnet und Möglichkeiten gewährt - eine Kirche, die nicht mehr vollständig aus der "Fülle des Heils und der Güte Gottes in der Vielfalt der Gaben" (Karl Kardinal Lehmann) schöpft. Das Problem ist nicht bloß transaktionaler Art, d.h. eine Frage nach der Verteilung bestimmter Güter, es geht nicht bloß um eine sozio-logische oder polito-logische Funktionalität, sondern es ist ein Problem von transzendentaler Art, d.h. eine Frage nach Prinzipien und Ursprüngen, es geht dabei um onto-logische Möglichkeitsbedingungen des Guten in der Welt

Es muss deswegen zuerst und vor allem anderen das Herz der Kirche als sakramentale Gemeinschaft wiederentdeckt werden - denn dort liegt überhaupt erst die Quelle der Gaben, die in den Sakramenten ihre sichtbaren und wirksamen Zeichen besitzt. Es bedarf darum nicht so sehr der Suche nach irgendwelchen neuen Formen, sondern in allen Formen - in den vergangenen wie in den gegenwärtigen - muss der wesentliche Inhalt, die Substanz, freigelegt werden. 

Darin liegt die Lösung der gegenwärtigen Krise, die insofern auch eine Krise des Glaubens und der Glaub-würdigkeit der Kirche ist: Die Wiederentdeckung des sakramentalen Vollzugs kirchlichen Gemeinschaftslebens, und dies nicht nur als bloßes Ritual, sondern als die Welt verändernde Wirklichkeit, als Wahrheit, die befreit.

Was den konkreten Lösungsweg angeht, so kommt dieser nicht umhin, ein tieferes und reicheres Verstehen der Sakramente bzw. der sakramentalen Dynamik zu erzeugen, zu erlangen und weiterzugeben. Dafür sind die drei Bezeugungsinstanzen des Glaubens - (1) der Glaubenssinn der Gläubigen, (2) die wissenschaftliche Theologie, (3) das apostolische Lehramt -, die wiederum aus den Bezeugungsinstanzen der Schrift und der Tradition leben, unabdingbar. Umso schwerer wiegt der Dissens, der zur Zeit ganz offensichtlich zwischen ihnen besteht, und das wahrscheinlich nicht nur in Bezug auf das Sakrament der Weihe. 

Ein erster Einstiegspunkt auf diesem Lösungsweg ist also hier zu verorten: Aus dem Dissens einen Konsens machen. Ganz konkret: Wenn Lehramt und Theologie sich nicht einig sind, lässt sich als die prophetische Aufgabe der Laien herausarbeiten, den Glaubenssinn im Sinne von LG 12 dergestalt zu schärfen - namentlich in lehramtlicher Treue und in theologischer Reflexion -, um so vermittels der "Orte qualitativer Verdichtung" (Wolfgang Beinert) auch einen Konsens zwischen den Glaubensbezeugungsinstanzen zu stiften. Erst in der Überwindung des Dissens kann die Krise des Glaubens und der Glaubwürdigkeit gelöst werden, so dass die sakramentale Gemeinschaft sich in vollem Umfang verwirklicht.

Zur Schärfung des Glaubenssinns, als dessen Teilhaber alle Getauften gelten, gehört es nun notwendig, "mehr vom Glauben zu wissen": also eine solide theologische Grundbildung, die ich vor diesem Hintergrund bereits als einen ersten Schritt auf dem Lösungsweg betrachte. Gewiss erschöpft sich dieser Weg nicht in diesem ersten Schritt, und die folgenden Schritte hängen zu einem großen Teil von den je persönlichen Charismen ab. Insofern scheint es sinnvoll - auch dies ein Schritt auf dem Lösungsweg - ganz im Sinne des Gebets "Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an" über 1 Kor 12 & 13 zu meditieren und so weitere Schritte für sich zu erschließen, auch und gerade im Gebet.

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