Freitag, 19. April 2019

Maria und die zeitgemäßen Konventionen

Mit Maria wird uns im biblischen Narrativ eine Frau präsentiert, die ganz entschieden und in vollkommener innerer Freiheit Ja sagt zu einem unehelichen Kind - also einem Kind, das nicht von dem Mann stammt, mit dem sie ehelich verbunden ist. Zugleich steht sie damit auch und vor allem gegen die gesellschaftlichen Konventionen der Zeit:



Göttliche Zeugungen fanden gemäß der gesellschaftlichen Konventionen der Zeit gänzlich ohne Einwilligung der Frau statt. Im griechisch-römischen Mythos überlistet und täuscht, also: betrügt Zeus/Iuppiter die Frauen, die er schwängert: Er entführt Europa in der Gestalt eines Stieres, er schleicht sich zu Danaë in Gestalt eines goldenen Regens, und er kommt zu Alkmene in Gestalt ihres eigenen Mannes.

Der Gott, der uns im biblischen Narrativ begegnet, ist im Vergleich dazu ganz anders: Er offenbart sich und seine Absichten klipp und klar und ohne Umschweife. Und er setzt auf die klar und deutlich vollzogene Einwilligung der Frau. Maria wiederum gibt ihm diese Einwilligung, sie lässt sich also vollkommen auf den göttlichen Plan ein.

Die Frauen, denen eine göttliche Zeugung widerfährt, sind gemäß der gesellschaftlichen Konventionen der Zeit hohe und mächtige Persönlichkeiten: Europa und Danaë sind Prinzessinnen, Alkmene gar Königin.

Maria hingegen ist eine einfache Frau, die zudem so arm ist, dass sie die Mittel für das in Lev 12 geforderte Schaf nicht aufbringen kann, sondern stattdessen zwei Tauben darbringen muss (Lk 2,24). Und im Gegensatz zu all den Königinnen und Prinzessinnen bekennt sie in ihrer Zustimmung zum göttlichen Heilsplan: Ich bin die Magd des Herrn (Lk 1,38).

Gemäß der gesellschaftlichen Konventionen der Zeit gehören Priesterinnen wie selbstverständlich zum Inventar der religiösen Kultstätten und Rituale: Man denke hier z.B. an die Vestalinnen, an die Pythia des Orakels von Delphi, oder auch an die Mysterienkulte im Osten des Römischen Reiches.

Dem gegenüber wird uns Maria als treue Jüdin beschrieben, deren Zustimmung zum göttlichen Heilsplan in die Befolgung der Torah eingebettet ist: Nicht nur, dass sie wahrscheinlich familiär mit den Aaroniten verknüpft war (Zacharias/Elisabet), und nicht nur, dass ihr Verlobter Josef gerecht war (Mt 1,19). Lukas berichtet von der Beschneidung, dem Reinigungsopfer und der Darstellung ihres Kindes im Tempel wie es im Gesetz verlangt wird (Lk 2,21-40). Ebenso erwähnt er, dass die Familie jedes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem ging (Lk 2,41), und dass Jesus mit 12 Jahren unter das Gesetz gestellt wurde (Lk 2,42). Zu diesem Gesetz gehörte auch der exklusiv männliche Tempel- und Altardienst in Jerusalem.

In diesem Sinne ist nicht nur zu fragen, wer denn die "Mächtigen" bei uns und in unserer Kirche sind, sondern auch, was bei uns und in unserer Kirche heute gemäß der gesellschaftlichen Konventionen üblich oder gar angesagt ist.

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