Es scheint in der Tat ein Problem innerhalb der Wirtschaftswissenschaften zu geben - und vieles scheint daran zu liegen, dass "der Ökonom" gerade in gesellschaftlicher Perspektive zu einem gewissen Ruf gelangt ist, den früher z.B. "der Soziologe" hatte (vor der kulturwissenschaftlichen Wende, wie man sagen muss). Namentlich den Ruf als vertrauenswürdigen Sozialingenieur, der weiß, wie die Mechanismen funktionieren. Und während die Soziologen sich zu kulturwissenschaftlichen Schöngeistern gemausert haben, scheint der Ökonom archetypisch als Betriebswirtschaftler zu existieren. Allerdings ist das ein wissenschafts-soziologisches bzw. wissenschafts-politisches Problem, und kein wissenschafts-theoretisches.
Denn was Theorie und Methodik angeht, sitzt die breite gesellschaftliche Debatte bestimmten populären Irrtümern auf. Der homo oeconomicus z.B. ist wesentlich gar nicht als Reflektion der Wirklichkeit gedacht, sondern als Idealtyp - also als eine bewusst wirklichkeits-fremde Konstruktion, durch die bestimmte Phänomene dann exakt beschrieben werden können. Das scheint allerdings nicht einmal mehr in den Wirtschaftswissenschaften jedem Studenten klar.
Interessant ist am Ende, dass die übliche Kritik an der Ökonomik in ähnlicher Gestalt sowohl bei eher linken als auch bei radikal-libertären Vertretern stehen könnte. Auch aus dieser Ecke reibt man sich nämlich an der neoklassischen Theorie: Wo die eher linken Kräfte eine vermeintliche Markt-gläubigkeit ins Feld führen, da stoßen sich die Anhänger der Austrian economics ("österreichische Schule der Nationalökonomie") - also "die Rechten" - an der vermeintlichen Staats-gläubigkeit der neoklassischen Theorieansätze.
Am Ende haben beide Seiten der Kritik ein Problem mit der Ökonomik wie sie sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts als eigenes Fach konstituiert hat: nämlich als Wissenschaft von der rationalen Allokation materieller Güter bzw. als Wissenschaft vom sozialen Handeln unter dem Aspekt der Knappheit von Ressourcen. Als solche ist die Ökonomik tatsächlich Wirtschafts-wissenschaft (und unterteilt sich wiederum in Mikro- und Makroökonomik), und zwar eine eigenständige Wissenschafts-Disziplin. Die "orthodoxen" Theorien und Schulen - im Grunde sind dies Neoklassik und Keynesianismus sowie deren Verbindung, die sog. "neoklassische Synthese" - bauen darauf auf und reflektieren dies.
Die (meisten) "heterodoxen" Theorien und Schulen wollen diese disziplinäre Eigenständigkeit auflösen und die Ökonomik als Zweig einer anderen Disziplin verstanden wissen. Um ein paar Beispiele zu nennen: Im Marxismus gilt die Ökonomik als Teilbereich der Politik, die historische Schule postuliert die Ökonomik als Teil einer (weitgehend sozialwissenschaftlich ausgerichteten) Geschichtswissenschaft, die österreichische Schule betrachtet die Ökonomik als Teil von Moral- und Sozialphilosophie, und Evolutionsökonomik reduziert auf Psychologie bzw. Biologie. In dieser Hinsicht spielen in der Tat auch Ideologisierung und Forschungsgelder, Lobbygruppen und partikuläre Interessen eine Rolle. Es wäre allerdings verkehrt, diese Dinge einseitig einem ökonomischen "Mainstream" anzulasten. Es geht hier um das Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaft(en) als eigene Wissenschaftsdisziplin.
Das führt, schließlich, auch wieder zur Frage nach der sozialen Marktwirtschaft. In der "orthodoxen" Ökonomie ist der Markt ebenfalls zunächst einmal ein Idealtyp, also eine bewusst wirklichkeitsfremde Konstruktion, mit deren Hilfe die Allokation materieller Güter bzw. soziales Handeln unter dem Aspekt der Knappheit betrachtet wird (oder werden kann). Erst in zweiter Instanz wird der Markt dann als Realtypus, also als erfahrbare Wirklichkeit, begriffen. Dem gegenüber postulieren sowohl Marxisten als auch "Österreicher" z.B. den Markt in erster Linie als Realtypus, also als Wirklichkeit, aber mit je unterschiedlich daran geknüpften Werturteilen. Für die "Österreicher" ist der Markt als Wirklichkeit etwas, das angestrebt und umgesetzt werden muss, denn dort gilt der Markt als supra-individuelle quasi-allwissende Instanz, die am besten über die Allokation von Gütern entscheiden kann. Für die Marxisten andererseits muss der Markt gebändigt, gezähmt oder bekämpft werden, denn dort gilt er als Instrument der Herrschaft einer kleinen Gruppe von Ausbeutern. Wer über Marktwirtschaft diskutiert, der muss insofern immer auch seinen eigenen Sprachgebrauch hinterfragen und sehen, von welchem Hintergrund aus der Diskussionspartner spricht.
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