Einem populären Argumentationsmuster nach kommt es gar nicht so sehr drauf an, welche Interpretation nun korrekt ist oder wo man fehlinterpretiert. Manchmal sei bereits das bloße Auftreiben und Bereitstellen einer Quelle die entscheidende Leistung in der Diskussion, neben der mögliche Fehlinterpretationen verblassen (sollen). "Reichsbürger" verfahren so bspw. mit Erlassen der Alliierten, Gesetzestexten oder Urteilen des BVerfG. Wo dennoch Widerspruch kommt, da genügt gruppen-intern meist der Hinweis, dass andere - "systemtreue" - Leute die gleiche Linie fahren wie derjenige, der den Widerspruch erhebt, und schon ist (im Idealfall) der Einwand vom Tisch.
Das ist am Ende das große Problem nicht-rationaler Diskussionsführung: Standpunkte, Meinungen, Behauptungen, Positionen, kurz: Aussagen im Diskurs fußen nicht auf rationalen Denkstrukturen oder Argumenten, sondern gründen lediglich in der persönlichen Autorität des Vortragenden. Kritik an einer Aussage muss folglich als Kritik an der Person, die aussagt, aufgefasst werden. Und um die Person des Vortragenden nicht zu schmähen, darf, als Kehrseite der Medaille, nicht eine mögliche rationale Inkonsistenz thematisiert werden, sondern es müssen eben positive Dinge ins Zentrum der Betrachtung rücken - z.B. dass dieser oder jener "Reichsbürger" sich die Mühe gemacht hat, diesen oder jenen Erlass, Gesetzestext, Urteilspassus herauszusuchen.
Paradebeispiele dafür wären der selbsternannte "König" oder "Oberste Souverän" des "Königreich Deutschland", bei dem man solche Muster fast schon in Reinkultur beobachten kann, oder auch der "Klima-Skeptiker" Christopher Monckton, der entgegen seiner immer gerne wiederholten Aussage, man solle ihm nichts glauben, sondern die von ihm genannten Quellen selbst prüfen, eher pikiert auf Skeptiker reagiert (der Wissenschaftsjournalist Peter Hadfield hat die Probe aufs Exempel gemacht). In Verschwörungskreisen ist so etwas ebenfalls beliebt (Alex Jones ist da so ein schillernder Kandidat). Und die deutschen Kulturnationalisten, vornehmlich aus den neuen Bundesländern, bedienen sich an dieser Methodik auch nicht gerade zaghaft.
Viele Emotionen scheinen mir dabei allerdings durch ein "auch mal Opfer sein wollen" hervorgerufen. Und irgendwo ist das ja plausibel:
Während Österreich schon recht bald als "erstes Opfer" von Nazi-Deutschland galt, und während man sich in den westlichen Besatzungszonen relativ rasch vom Feind zum Freund mauserte, hat der Mythos von Preußen als Opfer deutscher Großmannssucht (zuerst der Prestigeverlust der preußischen Königskrone gegenüber der Kaiserkrone, und dann der sog. "Preußenschlag" 1932, der den eigentlichen Anfang der Gleichschaltung markiere) nie richtig gezogen oder ziehen dürfen, und die Verbrüderung mit den Sowjetmenschen wurde trotz aller Rhetorik nie so richtig vollzogen (in der Hinsicht waren die Wessis halt doch die Musterschüler - weswegen das letztlich als Verlust des Deutsch-Seins qualifiziert werden muss). Beholfen hat man sich im Osten schließlich mit dem Mythos vom "Staat der Widerstandskämpfer" und der per Ukas abgeschlossenen Entnazifizierung, womit man ideell - und endlich mal! - auf der "richtigen" Seite der Geschichte stand. Der Zusammenbruch des Arbeiter- und Bauernstaats, des "besseren Deutschland", hat da durchaus ein Vakuum im Selbstverständnis hinterlassen - man kann sich eigentlich weder als "Opfer" darstellen noch als "Sieger" feiern.
Darum muss man sich den jeweiligen Status eben selbst nehmen: Es ist wohl kein Zufall, dass Forderungen wie die zuvor eingebrachte gerne im Zusammenhang mit der Kritik am (vermeintlichen oder echten) deutschen "Schuldkult" erhoben werden, und da schließt sich am Ende auch der Kreis zum "national orientierten" Familienvater, der sich selbst als Äquivalent zum jüdischen Bürger in der Weimarer oder Nazi-Zeit sieht.
Hier muss in Sachen gesamtdeutscher Identität noch einiges geleistet werden. Ein Anfang bestünde darin, den Kulturnationalisten, *gida-Leuten und AfDlern die schwarz-rot-goldene Fahne wegzunehmen.
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