Montag, 4. Januar 2016

Zum regulativen Prinzip der Vernunft

Das ipsum bonum ist das regulative Prinzip der Vernunft. Beides fällt ineinander, denn es handelt sich dabei um zwei Ausdrücke, die dasselbe meinen: Der erste kommt eher aus der scholastischen Tradition, und der zweite wird von Kant verwendet. Es ist nicht so, dass "regulatives Prinzip der Vernunft" eine allgemeine Klasse wäre, deren konkrete Instanz dann das ipsum bonum sei. Es ist auch nicht umgekehrt. Ipsum bonum und regulatives Prinzip der Vernunft sind dasselbe.

Das steht wiederum am Ende von Kants Argumentationsgang aus den Kategorien der praktischen Vernunft, seinem "moralischen Argument". Es lässt sich nicht im strengen Sinne beweisen, weder induktiv noch deduktiv, weder in den Kategorien der reinen Vernunft noch in der experimentellen Naturwissenschaft noch in den historischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Wissenschaften - es steht als Notwendigkeit der praktischen Vernunft. Soll heißen: Um die praktische Vernunft zu gebrauchen - also um ethisch oder moralisch zu handeln -, müssen wir es notwendig voraussetzen. Im Zweifel heißt es das auch dann, wenn es das gar nicht geben sollte - wir brauchen es unabhängig von seiner wirklichen Existenz. Es handelt sich dabei um den nicht-kontingenten Grund von Kontingenz - und genau das meinen Christen (wir können es auch einschränken auf katholische Christen), wenn sie "Gott" sagen.

Genau da hängt der Diskurs meines Erachtens durchaus am Gottesbegriff. Denn dieses regulative Prinzip der Vernunft ist eben keine sekundäre Ursache und auch keine konkrete Sache in der Welt (also auch kein irgendwie gearteter "Weltgeist" o.ä.). Das ist der große und tiefgreifende Unterschied zwischen dem (katholischen) Christentum und "den Religionen", bzw. besser: zwischen "Gott" und "den Göttern" (philosophisch gibt es ja große Schnittmengen zwischen den einzelnen Traditionen, von Aristoteles, Plato und Plotin über Augustinus, Eriugena und Avicenna bis zu Maimonides, Averroës, Aquinas oder gar Shankara).

Ja: Man kann menschliches Verhalten beschreiben und bewerten, ohne eine konkrete Sache in der Welt als das regulative Prinzip der Vernunft festzulegen; man kann auch konkrete Gesetze verabschieden, ohne eine konkrete Sache in der Welt als das ipsum bonum zu behaupten. Genau das ist am Ende (auch) der Punkt.

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