Samstag, 16. Januar 2016

Libertärer Ikonoklasmus: Die Österreichische Schule der Nationalökonomie

Man sollte wohl differenzieren zwischen Ökonomie/Wirtschaft, Markt und Kapitalismus. Es gibt Schnittmengen, zweifellos, aber man darf das nicht durcheinanderwerfen. Um eine Zielscheibe aufzustellen, die gerne beschossen werden darf:




  • Ökonomie / Wirtschaft ist je nach Ansatzpunkt entweder funktional begriffen soziales Handeln unter dem Aspekt der Knappheit materieller Güter, oder essentiell begriffen die (rationale) Allokation materieller Güter - und zwar ganz unabhängig von der Frage nach der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung (Markt oder Plan? Verkehrs- oder Zentralverwaltungswirtschaft?). 
  • Der Markt wiederum ist eine konkrete Ausformung des o.g. sozialen Handelns unter dem Aspekt der Knappheit materieller Güter bzw. der o.g. (rationalen) Allokation materieller Güter; namentlich eine solche Ausformung, bei der die Wirtschaftssubjekte (Akteure, Handelnden) die entsprechenden Prozesse in eigener Verantwortung bzw. Verantwortlichkeit gestalten und vollziehen. Demgegenüber stehen konkrete Ausformungen, in denen die Akteure die entsprechenden Prozesse nicht eigenverantwortlich gestalten oder vollziehen - und doch handelt es sich auch bei ihnen um Teilmengen von Wirtschaft bzw. Ökonomie. 
  • Kapitalismus schließlich kann beides und das Gegenteil von beidem sein. In der anglophonen Welt fast synonym zu Marktwirtschaft, versteht man den Begriff im deutschsprachigen Raum (maßgeblich geprägt durch Karl Marx und Anhang) eher im Sinne politischer Ökonomie, politischer Ideologie, Machtausübung o.ä. Am neutralsten wäre vielleicht noch ein Verständnis von Kapitalismus als Form von Wirtschaft bzw. Ökonomie, in der die Kapitaleigner (und als Kapital kann theoretisch auch die Arbeitskraft des Proletariers gelten) im Zentrum stehen.

Mit dem im Hinterkopf lässt sich durchaus sagen, dass eine Forderung nach Abschaffung von Wirtschaft hanebüchen ist: Menschen leben in einer materiellen Welt, in der die Ressourcen knapp sind. Andererseits ist allerdings auch festzuhalten: Das Leben der/des Menschen lässt sich nicht auf Ökonomie reduzieren, ohne grundlegende Bestandteile des Menschseins unter den Tisch fallen zu lassen. Denn alleine schon soziales Handeln beschränkt sich nicht bloß auf den Aspekt der Knappheit materieller Güter, sondern besitzt noch andere Seiten. Und auch materielle Güter sind nicht die einzigen Güter, die Allokation erfahren. So lässt sich zwar nicht die Ökonomie, wohl aber die Ökonomisierung des Lebens stichhaltig ablehnen.

Was die Österreichische Schule der Nationalökonomie betrifft, so ist sie als "heterodoxe" Schule in den Wirtschaftswissenschaften vielleicht nicht die beste Wahl zum Einstieg in die Materie. Obwohl sie formal betrachtet zwar o.g. Begriffssetzung zur Ökonomie teilt, ist dort die Wirtschaft jedoch nicht ein Phänomen sui generis, sondern wird ihrerseits auf den Gegenstand der Sozialphilosophie reduziert (analog zum Marxismus, der die Ökonomie auf den Gegenstand der Politik bzw. Machtausübung reduziert). Damit einher geht dann auch eine erkenntnistheoretische Verengung, die auf einer materiellen Reduktion aufbaut und in Folge den Markt anders begreift als dies die "orthodoxen" Schulen tun: In Österreich ist der Markt tendenziell selbst ein Akteur in der Wirtschaft (und zwar im Gegensatz zu den menschlichen Akteuren ein allwissender, allmächtiger und allgütiger Akteur) - weil die Österreicher nichts mit Idealtypen anfangen können. Das erklärt am Ende auch deren Abneigung gegen die mathematische Beschreibung ökonomischer Prozesse und geht Hand in Hand mit dem Anspruch, theoretische Schlüsse könnten nicht empirisch überprüft werden. Darum lässt sich gegenüber der Österreichischen Schule kritisch anmerken, dass sie Ideo-logie vor Praxeo-logie stellt.

Ideologie und Praxeologie sind am Ende ein glorifizierter Weg, von Theorie und Praxis zu sprechen und dabei den anderen etwas zu necken (denn niemand ist gerne Ideologe, da auch hier Marx mit seiner Definition von Ideologie als falschem Bewusstsein sehr wirkmächtig war) - würde ich zumindest sagen. Dazu muss natürlich hinzugefügt werden, dass diese Verwendung der Begriffe sich radikal davon unterscheidet, wie z.B. ein Ludwig von Mises sie verwendet hat: Für ihn ist Ökonomie nachgerade Praxeologie, also Lehre vom Handeln (Lehre von der Praxis), in Reinform.

Giambattista Vico hat den Inhalt dieser Dichotomie seinerzeit schön zusammengefasst, indem er die Dialektik zwischen der philosophischen Wahrheit, die nur intellektuell nach-gedacht werden kann, und der historischen Gewissheit, die empirisch gewonnen werden muss, beschrieben hat. In anderen Zweigen kennt man das als das Gegenüber von Induktion und Deduktion, Geistes- und Naturwissenschaften, Positivismus und Historismus, oder auch Mathematik und Physik, je nach Zusammenhang und aktueller Fragestellung. In der Nationalökonomie war dieses Problem Gegenstand des Methodenstreits, aus dem u.a. die Österreichische Schule als mehr oder minder geschlossene Gruppe hervorging, indem sie eine Antwort formulierte auf das Gegenüber von positivistischer und historistischer Wirtschaftswissenschaft. Dabei verfielen sie nicht in einen romantischen oder romantisierenden Idealismus (z.B. in Anschluss an Herder, Schleiermacher und - zumindest in Teilen - Dilthey), sondern sie hielten an einem prinzipiellen Materialismus fest. Das geht bis heute z.B so weit, dass mancherorts die Möglichkeit geistigen Eigentums gänzlich verneint wird (womit wir bei der Allokation immaterieller Güter wären, die unter diesem Paradigma nicht existieren kann); ein weiter verbreitetes Beispiel wäre die Unfähigkeit, zwischen Idealtypus und Realtypus zu unterscheiden.

Die Krux liegt dabei letztlich auch in der Frage nach den Grundprinzipien: denn Positivisten, Historisten, Österreicher oder Neoklassiker/Keynesianer setzen unterschiedlich an, um diese zu erden. Die Österreicher betrachten wie schon genannt die Ökonomie als Zweig der (Sozial-)Philosophie bzw. Sozialethik und haben darum immer auch eine starke normative Linie in ihren Schlüssen. Positivisten suchen in Anschluss an Auguste Comte und den Rationalismus der Aufklärung nach ewigen Gesetzen im Sinne der Geometrie. Historisten verneinen die Möglichkeit von Gesetzen und stellen die Einmaligkeit der wirklichen Geschehnisse heraus. Und die "Orthodoxen" der neoklassischen Synthese sind irgendwo zwischendrin, indem sie denken, rechnen und beobachten, um konkrete Fragen zu beantworten.

Der Punkt ist dabei: Im "Mainstream" werden (Disclaimer: zumindest so weit ich das als Fachfremder überblicken kann; mein Zugang ist wissenschaftsgeschichtlich und wissenschaftstheoretisch) Gesetze weniger aus der Empirie abgeleitet - das scheitert am Induktionsproblem - als vielmehr die hypothetisch formulierten Gesetze an der Empirie überprüft werden. Vor der Beobachtung steht immer die Hypothese, und die braucht eine Hypothesenherleitung, welche wiederum theoretisch in dem Sinne ist, als sie in (allgemeinen) Überlegungen gründet, die ihrerseits nun wiederum aus der Internalisierung von Erfahrungen und Eindrücken hervorgehen. Diese Methode, die auch gerne als "hypothetisch-deduktiv" bezeichnet wird, löst die Spannung zwischen Theorie und Praxis insofern auf, als sie beide Extreme in Beziehung zueinander setzt (die rational bzw. theoretisch hergeleitete Hypothese wird empirisch bzw. praktisch geprüft), und damit im Grunde eine spezielle Variante des hermeneutischen Zirkels darstellt. Die Österreicher bleiben so gesehen bei der Hypothesenherleitung stehen und trennen diese von der Beobachtung. Das zeigt sich z.B sehr schön daran, dass der angeblich natürliche Zustand oder die natürliche Ordnung, von dem/der die Österreicher reden, eben kein empirisches Phänomen ist, sondern ein normatives Konzept: Auf Österreichisch ist dasjenige natürlich, was passieren soll, und nicht das, was passiert (ist) oder passieren wird. So ist historisch betrachtet z.B. die Schenk-Ökonomie älter als die Tausch-Ökonomie und damit gewissermaßen "natürlicher" im Sinne von chrono-logischer Priorität. Aber das tangiert die Systematisierung der Österreicher nicht: Die sehen nach wie vor den Tauschhandel am Anfang, und klassifizieren ihn damit als zumindest "natürlicher" im Sinne von ideo-logischer Priorität gegenüber anderen Formen der Wirtschaft.

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