Mittwoch, 27. Dezember 2017

Religion, Politik und Idiotie

Die res privatae bezeichnen historisch die privaten, persönlichen oder individuellen Reichtümer, und sie stehen in Kontrast zur res publica, d.h. dem Gemeinwesen oder Gemeinwohl. Die privaten Besitztümer unterstehen der jeweiligen Hausordnung, sind also Teil der oikonomia, während das Gemeinwesen sich in der polis verwirklicht - dort haben unsere Begriffe "Ökonomie" und "Politik" ihre Wurzeln. Radikal-Liberale und Libertäre legen auf diese historischen Ursprünge z.B. besonderen Wert, insofern sie die Marktwirtschaft als Privatrechtsordnung begreifen, welche dem öffentlichen Recht des Staates gegenübersteht, und sie entsprechend verteidigen. Insofern ist Wirtschaft im Kern die Privatsphäre, so wie Politik im Kern Öffentlichkeit bedeutet.

Die Sozialpflicht des Privateigentums ergibt sich ideengeschichtlich auch weniger aus dem Vorhandensein einer Privatsphäre, sondern geradezu aus dessen Gegenteil. Da wären wir nämlich beim Gebrauch eines anderen Wortes:

Religioten

Als idiotes bezeichnete man im antiken Stadtstaat die reine Privatperson, eben den bloß Für-sich-seienden,[*] der sich nicht an der polis beteiligt. Der Gegenbegriff wäre polites oder civis - "Bürger". Modern ausgedrückt könnten wir gar das Gegensatzpaar Politiker vs. Idiot konstruieren. Und der negative Beigeschmack, den das Wort besitzt, leitet sich aus dem moralischen Bezug des Gemeinwesens als natürliche Ordnung ab: Der idiotes handelt, weil er sich der polis entzieht oder entziehen will, letztlich wider seine Natur als zoon politikon. Modern ausgedrückt finden wir darin den Kontrast zwischen Eigeninteresse und Gemeinschaftsinteresse, zwischen individuellem Wohl und Gemeinwohl.

Nun lässt der Gebrauch des Begriffs "Religiot" - ein Kofferwort aus "Religion" und "Idiot" - die Bezüge natürlich klar erkennen: Der so bezeichnete religiöse Mensch soll nur Privatperson, ausschließlich Für-sich-seiender sein dürfen. Der religiöse Mensch muss ein Idiot und darf unter keinen Umständen ein Bürger oder gar Politiker sein. Bürger haben schließlich Rechte und Wirken am Gemeinwohl mit, während "Idiotie" bis ins 20. Jahrhundert hinein auch als medizinischer Ausdruck für geistige Behinderung in Gebrauch war. So werden die Weichen für das Diskussionsergebnis schon gestellt, noch bevor der Austausch überhaupt begonnen hat.


[*] Das Präfix idios - "eigen" kennt man auch von Wörtern wie z.B. Idiopathie oder idiographisch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen