Montag, 27. April 2015

Xenophons Sokrates: Spinoza und Hume

Der Bezug zu Spinoza beruht sehr oft auf zwei grundlegenden Schwierigkeiten, die in Spinozas Begriffen liegen:

Einmal ist es sein Begriff von Gott, den er - übrigens anhand eines eigenen ontologischen Arguments - als in der Wirklichkeit vorhanden darstellt und den er mit allem, was da ist, identifiziert. Damit ist Spinozas Gott zwar nicht kontingent. Aber, und das ist wichtig, auf der anderen Seite ist eben alles, was da ist, ebenfalls nicht kontingent. Damit kann das Argument aus der Kontingenz, wenn man es genau nimmt, gar nicht auf Spinozas Gott angewendet werden, da es etwas voraussetzt, das es in Spinozas Kosmologie überhaupt nicht gibt. Spinoza argumentiert a priori von seinem Substanzbegriff aus und kann in Folge (und im Gegensatz zu Anselm) den empirischen Ausgangspunkt, den Aquinas präsentiert, gar nicht erst anerkennen. Bei Spinoza gibt es schlichtweg nichts, das vorhanden wäre, aber nicht vorhanden sein müsste, da sich alles mit Notwendigkeit aus seinem Gott ableitet.

Zum anderen ist es Spinozas Verwendung des Begriffs natura - Natur, die in heutiger Zeit etwas missverständlich scheint. Das meint eben nicht unbedingt das, was wir heute darunter verstehen, namentlich die Gesamtheit sensorisch erfahrbarer Phänomene. Ganz in der mittelalterlichen Tradition stehend unterscheidet Spinoza zwischen der natura naturans, der "hervorbringenden (naturierenden) Natur", und der natura naturata, der "hervorgebrachten (naturierten) Natur". Spinoza meint damit ein inneres Wesen, eine "Was-heit" (lat. quidditas), die uns heute nur mehr in Fügungen wie "Natur des Menschen" oder "liegt in der Natur der Sache" begegnet. Kurzum: Die Natur ist bei Spinoza ein ontologischer, kein phänomenologischer Begriff. Damit meint der Ausdruck Deus sive natura eben nicht (nur) "Gott = Welt" (das ergibt sich ja aus seinem ontologischen Argument), sondern es meint, dass Gott das innere Wesen ist, das hervorbringt und hervorgebracht wird. Es gibt hierbei durchaus Überschneidungen mit der christlichen negativen Theologie in Anschluss an (Pseudo-)Areopagita und Eriugena, insofern sowohl Spinoza als auch Eriugena sagen, dass Gott "alles in allem" sei. Wo Eriugena jedoch hinzufügt "aber nichts von allem", da sagt Spinoza "und alles von allem". Als atheistisch würde ich da eher Eriugena einsortieren.

Woher kommt nun der Antrieb, im Diskurs mit scheinbar inhärenter Notwendigkeit zum Argument aus der Kontingenz zu schwenken, und damit die Debatte von alternativen Sichtweisen hin auf den christlichen Standpunkt zu beschränken? Liegt das christliche "gekreuzigt, gestorben und begraben" denn nun doch so sehr im Herzen des authentischen "Gott ist tot", so dass alles andere vernachlässigt werden kann?

Ich finde nämlich gerade den Punkt äußerst interessant, dass zumindest in der Argumentation vieler Kritiker Spinozas Philosophie de facto gar nicht als Modalität atheistischen Denkens anerkannt wird. Denn tatsächlich lässt sich feststellen, dass Spinoza und Hume in der Frage nach der Substanz meilenweit auseinanderliegen. Spinoza legt ein ontologisches Argument vor, warum es die Substanz geben muss, und leitet dann alles andere mit Notwendigkeit aus dieser Substanz ab. Hume hingegen argumentiert, dass es eine solche Substanz gar nicht geben kann, weil sie unerkennbar ist (er greift hier Lockes Sichtweise auf, die die Substanz als das begreift, von dem man nicht weiß, was es ist). Auf die altbekannte Dualität gebracht, hätten wir also mit Hume den A-Theismus und mit Spinoza den Theismus als die zwei Seiten in dieser Frage.

Das Argument von Xenophons Sokrates ist nun insofern heikel, als es Humes Position dann in Frage stellt, wenn das wirkliche Vorhandensein des menschlichen Intellekts anerkannt wird: Denn dann stellt sich entweder die Frage, ob nicht die Annahme einer Substanz als ontologisch früherer Intellekt notwendig wäre (was einen Wink in Richtung Spinoza darstellt), oder ob nicht ein ontologisch früherer Intellekt als eigene materielle Wirkursache angenommen werden muss (was kompatibel zur Bündeltheorie wäre, allerdings ipso facto einen Demiurgen postulieren täte). Ein dritter Ausweg, wenngleich nicht im Rahmen dieses Dilemmas, sondern prinzipiell und dieser Frage vorgeschaltet, bestünde natürlich darin, das Vorhandensein des Intellekts selbst zu bestreiten. Mit Hume kann man den Intellekt als bloßes Instrument des Willens betrachten, womit sich das Problem erst dann ergibt, wenn man Dinge mit dem Intellekt (d.h. als Modalitäten des Intellekts) begreifen will. Dann muss der Intellekt nämlich notwendig vorhanden sein. So wäre der einzig sichere Ausweg aus diesem Argument das Nicht-wollen des Intellekts - i.e. der Wille zur absurden Welt -, und damit der Blick hin zu Nietzsches Atheismus. Aber damit haben die meisten Atheisten ja auch ein Problem, wenn ich das richtig verstehe.

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