In der Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens - bisweilen auch "Hominisation", "Anthropogenese" oder "Menschwerdung" genannt - lassen sich im Groben zwei Betrachtungsweisen voneinander unterscheiden, auch wenn so eine Unterscheidung aus paläo- wie kulturanthropologischer Sicht mit guten Gründen kritisiert werden kann.
Zum einen steht der anatomisch moderne Mensch: Stammesgeschichtlich existierte der letzte gemeinsame Vorfahre zwischen der Entwicklungslinie, die zur einzig rezenten Art innerhalb der Familie der hominini (homo sapiens) führte, und der Entwicklungslinie, die zu rezenten Schimpansen und Bonobos führte, vor etwa 6 bis 7 Millionen Jahren. Der älteste fossile Beleg für die Species homo sapiens ist wiederum etwa 300.000 Jahre alt.
Zum anderen steht der soziokulturell moderne Mensch: Ur- und frühgeschichtlich kann der Beginn der "Altsteinzeit" (Paläolithikum; ein Name, der letztlich mehr über das Erkenntnispotenzial der entsprechenden Wissenschaften verrät denn über die Zeit selbst) vor etwa zweieinhalb Millionen Jahren angesetzt werden; hier beginnt innerhalb derjenigen Entwicklungslinie, die zur rezenten Species homo sapiens führte, die Herstellung einfacher Werkzeuge aus Stein (in Kontrast zur bloßen Nutzung bestimmter Gegenstände als Werkzeuge). Das Jungpaläolithikum wird vor etwa 40.000 Jahren zeitgleich mit der Einwanderung des homo sapiens nach Europa angesetzt; um diese Zeit herum lässt sich in dieser Species erstmals Kunst in einem modernen Sinne nachweisen, insofern Höhlenmalereien und kleinere Artefakte erhalten sind. In ganz groben Strichen lässt sich schließlich zeitgleich mit dem Beginn des Holozän nach der letzten Kaltzeit vor etwa 12.000 Jahren auch (z.B. im Rahmen der Vorderasiatischen Archäologie) der Anfang einer menschlichen Kulturgeschichte im engeren Sinne ansetzen, die ein nach modernen Maßstäben "geschichtliches" Sozialverhalten kennt.
Soll also heißen: Innerhalb dieses Zeitraums - von vor etwa 6 bis 7 Millionen Jahren bis vor etwa 12.000 Jahren - beginnt irgendwann das menschliche Leben. Eine konkrete Antwort auf diese Frage ist natürlich immer auch abhängig davon, welche Gattungen und Arten aus der biologischen Familie der hominini die Fragestellerin unter dem weltanschaulichen Begriff "Mensch" subsumieren möchte und welche Kriterien zur Einhegung des Begriffs "Mensch" (Anatomie oder Sozialverhalten, Technik oder Kunst, etc.) verwendet werden sollen.
Allerdings beschreibt eine paläo- und kultur-anthropologische Perspektive ja nicht alles; und meist ist die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens auch ganz anders gemeint: Fast immer geht es den Fragestellerinnen nämlich um die Frage, wann ein Mensch als Individuum existenziell ins Dasein tritt.
- soziologisches bzw. gesellschaftliches Hinein-Nehmen,
- psychologische bzw. mentale Ver-Innerlichung,
- physiologisches bzw. materielles (physisches, chemisches, biologisches) Inwendig-Sein.
Das gesellschaftliche Hinein-Nehmen über den soziologischen Aspekt vollzieht sich formell und informell: Formell geschieht das über einerseits rechtliche und gesetzliche Regelungen (z.B. über die Anerkennung als Inhaber bestimmter Grundrechte), andererseits über mehr oder minder fest definierte sozio-kulturelle Rituale (z.B. über Initiationsriten wie Beschneidung, Taufe, Bar Mitzwa oder Jugendweihe); informell geschieht das über alltägliches Sich-verhalten, welches seinem subjektiv gemeinten Sinne nach in seinem Ablauf an einem anderen Menschen orientiert ist (z.B. Verzicht auf Koffein bzw. Nikotin während einer Schwangerschaft, oder "Baby Shower" bzw. ganz allgemein ein Glückwunsch zur Schwangerschaft, aber auch Trauer bzw. Mitgefühl im Falle einer Fehlgeburt, die alle eine Existenz von ungeborenen Menschen implizieren).
Der formelle Vollzug dieses Aspekts über rechtliche und gesetzliche Regelungen eignet sich dabei als bestes Anschauungsbeispiel, um den Sachverhalt zu illustrieren: Üblicherweise werden solche Regelungen allgemein über verschiedene politische und weltanschauliche Lager hinweg akzeptiert, was eine besondere Differenz zu spezifischen Ritualen (oft im Kern religiöser Natur) oder individuellem Handeln (auf die jeweilige Einzelperson beschränkt) darstellt. Einerseits stehen so beispielhaft die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, die sich streng genommen auch auf ungeborene Menschen erstreckt, insofern sie in ihrer Präambel von "all members of the human family" spricht; oder das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ungeborene Menschen als Träger von Grundrechten anerkennt; oder die Landesverfassungen von Brandenburg (Art. 8) und Rheinland-Pfalz (Art. 3), die den Schutz des ungeborenen Lebens explizit als staatlichen Auftrag formulieren. Andererseits stehen jedoch beispielhaft die USA mit der Festlegung von Abtreibung als Teil der Privatsphäre durch das Urteil des Supreme Court im Fall Roe v. Wade, das gerade in Kombination mit dem Fehlen einer Definition des Begriffs person i.S.d. US-Verfassung die Möglichkeit für "Abtreibung als Grundrecht" erlaubt; oder die VR China mit ihrer "Ein-Kind-Politik", die im Falle weiterer Schwangerschaften staatlich erwünschte Abtreibung kennt bzw. kannte. In diesen Fällen erscheinen die Ungeborenen nicht als Träger von Grundrechten, damit auch nicht als in ihrer Existenz anerkannt.
Das Problem dieser soziologischen Perspektive: Sie zeigt zwar die normierte Praxis an, verrät aber nicht notwendig auch die zugehörige Begründung (Frage nach dem "Ob" im Unterschied zur Frage nach dem "Warum"), und sie kann darum nur bedingt eine echte Antwort auf die Frage geben, wann ein Mensch als Individuum existenziell ins Dasein tritt, da über die fehlende Begründung kein konzeptioneller Ausgleich zwischen widersprechenden Praktiken stattfinden kann. Es stehen sich damit letztlich bloße Konventionen gegenüber: Das gesellschaftliche Hinein-Nehmen ist ein So-Sein, das auch ganz anders sein könnte; und in sich betrachtet besteht kein inhärenter Qualitätsunterschied zwischen verschiedenen Normen, die jeweils gesetzt werden. Das ist z.B. ganz offen daran zu sehen, dass sich Staaten mit verschiedenen Regelungen gegenseitig als Staaten mit eigener Regelungshoheit anerkennen. So kann die Frage nach dem Wann des individuellen Daseins (wenn überhaupt, dann) nur ethno-zentrisch, d.h. gruppen-spezifisch, aber nicht universal in Bezug auf alle Menschen jenseits von ethnischen, staatlichen und gesellschaftlichen Grenzen beantwortet werden.
Illustriert an einem Härtefall ließe sich so z.B. beim Thema Abtreibung in Gegenüberstellung der (alten) Bundesrepublik mit ihrer modifizierten Indikationslösung und der DDR mit ihrer einfachen Fristenlösung spitz fragen: Existieren "kapitalistische" Menschen früher als "sozialistische" Menschen? Offensichtlich liefe die Bejahung dieser Frage einer universalen Gleichheit aller Menschen entgegen, oder anders: manche Menschen wären in diesem Falle eben "gleicher" als andere, so dass die Perspektive an diesem Punkt an eine Grenze stößt (vorausgesetzt natürlich, man bejaht die universale Gleichheit aller Menschen).
Soll also heißen: Menschliches Leben beginnt unter diesem Licht betrachtet grob gesagt in einem Zeitraum, der frühestens irgendwann im Mutterleib, spätestens aber mit Beginn bzw. Abschluss der Geburt formal umschrieben ist. Eine konkrete Antwort wäre hierbei jedoch immer abhängig davon, welchen konkreten ethnischen, geographischen oder sozio-ökonomischen Hintergrund die Fragestellerin in ihrer Frage voraussetzen möchte.
Die mentale Ver-Innerlichung über den psychologischen Aspekt vollzieht sich subjektiv und objektiv: Subjektiv geschieht dies über die entwicklungspsychologische Persönlichkeitswerdung, also vermittels des Entstehens einer konkreten Identität jenseits des Wandels von Zeit und Ort; objektiv geschieht dies über die Integration einer anderen Identität in die Wirklichkeitskonstruktion der je eigenen Identität, also vermittels der Anerkennung eines neuen Menschen durch bereits vorhandene Menschen.
Der subjektive Vollzug dieser mentalen Ver-Innerlichung lässt sich dabei über die Herausbildung des subjektiven Bewusstseins ca. drei Jahre nach der Geburt erschließen: Ab etwa 18 Monaten nach der Geburt besteht ein Mensch den sog. Spiegeltest (Selbst-Identifikation); ab etwa dem dritten Jahr nach der Geburt nimmt ein Mensch reziproke Beziehungen zu einer Bindungsperson auf (Selbst-Verständnis); etwa im vierten bis fünften Jahr nach der Geburt erwirbt ein Mensch eigenständige Sprach- und Ausdrucksfähigkeit hinsichtlich Zeit, Zahl und Kausalität (Selbst-Ständigkeit).
Damit zusammenhängend lässt sich in objektiver Hinsicht eine konzeptionelle Trennung von "Mensch" und "Person" (z.B. nach Peter Singer) anhand entsprechender kognitiver Fähigkeiten aufziehen: Der Mensch als Individuum, d.h. als Einzelperson, die dann wiederum Träger von bestimmten Rechtstiteln sein kann (womit sie Teil der Wirklichkeitskonstruktion bereits bestehender Rechte-Inhaber wird), existiert in diesem Lichte erst lange nach der Geburt; dies deswegen, weil nicht der Mensch qua Mensch-Sein Träger von bestimmten Rechten ist, sondern die menschliche Person qua bestimmter kognitiver Fähigkeiten.
Das Problem dieser psychologischen Perspektive: Eine Rückführung des menschlichen Daseins auf die Psyche des Einzelnen (subjektive Ver-Innerlichung) kann zwar das formelle und informelle Hinein-Nehmen in der soziologischen Modalität begründen und dort bestimmte Lücken schließen; aber sie kann in sich selbst keine notwendige Verbindung zwischen subjektiver und objektiver Ver-Innerlichung liefern - beides steht hier letztlich nur abstrakt neben-einander, geht aber nicht notwendig konkret mit-einander einher, insofern kein bestimmter subjektiver Zustand eine bestimmte objektive Anerkennung zwingend nach sich zöge. Die Antwort nach dem Wann des individuellen Daseins liegt (falls sie überhaupt möglich erscheint, dann) rein im besonderen "Ich", d.h. sie ist wesentlich ego-zentrisch, damit aber nicht universal in Bezug auf alle Menschen, sondern immer nur für einen bestimmten Menschen gültig.
Ein Härtefall zur Probe aufs Exempel bestünde in der davon abgeleiteten ethischen Frage: Warum sollte "ich" ein z.B. neugeborenes "nicht-ich" füttern, kleiden oder behausen, wenn "ich" das nicht will? Dies steht am Ende auch mindestens im Konflikt mit der (evolutionär geformten) menschlichen Intuition, die für die Jüngsten und Wehrlosesten innerhalb der Gemeinschaft besondere Fürsorge verlangt (bspw. vermittels "Kindchenschema" als evolutionsbiologischer Vorteil, der Brutpflegeverhalten auslöst).
Aber zugegeben:
Intuition ist allgemein eigentlich kein besonders starker Gradmesser, und besonders Peter Singer möchte ja auch gezielt der intuitiven zwischenmenschlichen Solidarität entgegentreten, die er als "Speziesismus" kritisiert und verwirft - insofern ist der Rekurs auf die Intuition kein besonders starkes Argument, da eher emotional denn rational angesiedelt.
Soll also heißen: Menschliches Leben beginnt unter diesem Licht betrachtet grob gesagt rund um den dritten Jahrestag der Geburt, weil hier Identität und Persönlichkeit eines jungen menschlichen Einzelexemplars mental in einem Maße ausgeprägt erscheinen, welches das gesellschaftliche Hinein-Nehmen in formeller oder informeller Hinsicht plausibel begründen könnte. Eine konkrete Antwort wäre hierbei jedoch immer von den konkreten entwicklungspsychologischen Merkmalen des jungen Exemplars sowie von der konkreten individualpsychologischen Bereitschaft der älteren Exemplare abhängig. Anders: Je größer die Leistungsfähigkeit des Einzelexemplars ist, desto wahrscheinlicher wird wohl seine Identität in die Wirklichkeitskonstruktion von leistungsfähig(er)en Identitäten integriert. Eine Garantie ist das jedoch nicht, und eine konkrete Antwort hinge auch davon ab, welche individuelle Leistungsfähigkeit die Fragestellerin in ihrer Frage als ausreichend voraussetzen möchte, d.h. welche Differenz zur je eigenen Leistungsfähigkeit sie bei ihren Mitmenschen zu akzeptieren bereit ist.
Das materielle Inwendig-Sein über den physiologischen Aspekt vollzieht sich spezifisch und individuell, d.h. über die materielle Verortung des Menschen als Besonderes im Verhältnis zu einem Allgemeinen (Species) sowie als Besonderes in sich selbst (Individuum): Für die spezifische Seite siehe oben, das ist die paläo- und kulturanthropologische Perspektive, die sich der Frage über die materiell erfahrbaren Kategorien von biologischer Gattung und Art sowie analog dann über die materiell erfahrbare sozio-kulturelle Gruppe nähert, als deren besonderer Ausdruck der einzelne Mensch steht; individuell hingegen vollzieht sich das materielle Inwendig-Sein über die embryologische Perspektive (Embryogenese/Fetogenese), die sich der Frage über die Kategorie des materiell messbaren Einzelwesens nähert. Der individuelle Vollzug des materiellen Inwendig-Seins lässt sich wiederum in dreierlei Ansätze aufschlüsseln, die gemeinhin als Beginn eines individuellen Daseins postuliert werden: Geburt, Einnistung, Befruchtung.
Mit der Geburt tätigt ein Mensch i.d.R. seinen ersten Atemzug, und gleichzeitig wird er zu diesem Zeitpunkt für alle Mitmenschen haptisch wortwörtlich und direkt greifbar. Abgebildet wird dies im formellen soziologischen Aspekt beispielhaft über das deutsche Zivilrecht, demnach gemäß §1 BGB die Rechtsfähigkeit eines Menschen mit der Geburt beginnt. Das offensichtlichste Problem dieses Ansatzes: Es handelt sich eigentlich weniger um eine physiologische, sondern eher um eine religiöse und im Kern vor allem um eine andro-zentrische, d.h. durch die männliche Erfahrungswelt normierte Perspektive.
Die religiöse Perspektive ergibt sich aus der interkulturell beobachtbaren begrifflichen Verbindung von Atem und Seele (historisch vor allem über die Begriffe atman, ruach, psyche, anima), womit in Ableitung der erste Atemzug die Beseelung im eigentlichen Sinne anzeigt (auch wenn diese Position heutzutage von den wenigsten religiösen Strömungen vertreten wird), was wiederum die Menschwerdung im eigentlichen Sinne markiert. Biologisch scheint die Grenzziehung an dieser Stelle dadurch fragwürdig, dass das Atmen die Aufnahme von Sauerstoff in den Organismus sicherstellt, was als allgemeiner Prozess jedoch bereits im Mutterleib geschieht, wenngleich auf andere konkrete Art und Weise.
Androzentrisch ist diese Perspektive deswegen, weil sie vornehmlich von der Erfahrung des Kindsvaters ausgeht: Anders als die Mutter kann der Vater das Kind erst ab Geburt selbst, direkt und unmittelbar berühren und haptisch erfahren. Bewegungen im Mutterleib kann der Vater nur mit Erlaubnis der Mutter und durch den Körper der Mutter hindurch spüren - seine Erfahrung ist damit bis zur Geburt immer nur indirekt und von jemand anderem vermittelt. So reflektiert die Anerkennung des menschlichen Daseins ab der Geburt in erster Linie das männliche Erleben, das in sich allerdings keineswegs universal ist: Die Mutter kann nämlich Bewegungen des Ungeborenen bereits ab der 16. Schwangerschaftswoche wahrnehmen, womit die Körperlichkeit des Kindes ab dieser Zeit direkt für einen anderen Menschen erfahrbar wird. Indirekt hingegen erfährt die Mutter die Körperlichkeit des Ungeborenen schon früher durch Veränderungen in und an ihrem eigenen Körper, und das ist dem Vater wiederum nur in dem Rahmen zugänglich, wie die Mutter es kommuniziert, d.h. mit dem Vater teilt.
Das tiefere Problem dieses Ansatzes liegt jedoch woanders: Die wesentliche Veränderung, welche durch die Geburt geschieht, betrifft letztlich nur die besonderen Umstände des Individuums - genau genommen also nicht das Individuum selbst. Es ändert sich lediglich der Ort, an dem das Individuum sein Leben fürderhin verbringt (innerhalb oder außerhalb des Mutterleibs). Das Dasein als Individuum wird jedoch nicht durch einen Aufenthaltsort konstituiert, sondern umgekehrt: Ein Aufenthaltsort wird durch das konkrete Da-sein eines Individuums bestimmt.
Mit der Einnistung (Nidation) vollzieht sich die Weichenstellung für das Überleben der Blastozyste durch Anheftung an die Gebärmutterschleimhaut ab dem 5. Tag nach der Befruchtung der Eizelle. Abgebildet wird dies im formellen soziologischen Aspekt beispielhaft über die besondere Kategorie des "Nasciturus" innerhalb des deutschen Zivil-, Straf- und Verfassungsrechts. Die offensichtliche Schwachstelle dabei: Betroffen ist bei der Grenzziehung ebenfalls lediglich der Ort, es geht also auch hier nur um die Umstände.
Freilich spielt der Ort bei der Nidation eine sehr viel größere und maßgeblichere Rolle als bei der Geburt, doch auch in diesem Fall ist der Aufenthaltsort nicht konstitutiv für das Dasein als Individuum: Viel mehr offenbart der Ort hier die besonderen Bedürfnisse und Schwächen des Individuums auf sehr markante Art und Weise, indem es um das schiere Überleben des Individuums geht. Die Nidation steht damit eher analog zum Inkubator, in das ein Frühgeborenes gelegt wird, oder ganz allgemein zum Kinderbettchen des voll ausgetragenen Kindes, auch wenn die biologische Notwendigkeit im Falle der Blastozyste weniger Spielräume und Variationen offen lässt als die medizinische Notwendigkeit im Falle des Frühgeborenen oder die kulturelle Gepflogenheit im Falle des voll ausgetragenen Kindes.
Andererseits lässt sich jedoch ein Zeitpunkt kurz nach der Einnistung benennen, an dem mit einiger Berechtigung der Beginn des Daseins als Individuum angesetzt werden könnte: Die Bildung des Primitivstreifens ab etwa dem 13. Tag nach Befruchtung der Eizelle. Bis zu diesem Zeitpunkt könnten sich der Möglichkeit nach noch eineiige Zwillinge bilden, d.h. bis hierhin erscheint die Blastozyste bzw. der Embryo noch kein "Individuum" im Sinne von etwas "Unteilbarem" zu sein, da sich erst hier ein (ggf. zweifaches) Besonderes in sich selbst herauszubilden scheint. Das betrifft nun nicht bloß die Umstände, sondern das sich entwickelnde menschliche Leben direkt und in seinen inhärenten Möglichkeiten.
Dabei ist allerdings zu bedenken: Im Verlauf des individuellen Daseins sind nie alle Möglichkeiten des materiellen Inwendig-Seins konstant und in derselben Art und Weise ausgeprägt; die meisten Möglichkeiten kommen erst mit der Zeit hinzu, und manche fallen im Laufe der Zeit weg. So ist zum Beispiel die Fähigkeit zum Sprechen im engeren Sinne erst ab einem gewissen Alter gegeben, nämlich dann, wenn sich ca. 3 Monate nach der Geburt der Kehlkopf so weit im Hals gesenkt hat, dass eine differenzierte Lautbildung anatomisch möglich wird. Andererseits verschwindet durch diese anatomische Veränderung die Möglichkeit des Individuums, gleichzeitig zu atmen und zu schlucken. Ein anderes Beispiel: Die Möglichkeit zur Fortpflanzung tritt erst durch die Geschlechtsreife mit der Pubertät ein, bei Mädchen i.d.R. mit der Menarche zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr nach der Geburt, und bei Jungen mit der Spermarche im durchschnittlich 14. Lebensjahr nach der Geburt. Diese Möglichkeit geht bei Frauen im Klimakterium wieder verloren; bei Männern versiegt sie mit zunehmendem Alter durch die fortschreitende Abnahme der Anzahl beweglicher Samenzellen. Denkbar scheint daher, dass die Zwillingsbildung als natürliche Vermehrungsfähigkeit im menschlichen Individuum angelegt ist, jedoch ab einem bestimmten und verhältnismäßig frühen Zeitpunkt verloren geht (was sich hypothetisch dergestalt rationalisieren ließe, dass die später einsetzende geschlechtliche Fortpflanzung außerhalb des Mutterleibs evolutionsbiologisch erfolgversprechender scheint als die früher mögliche Mehrlingsbildung im Mutterleib).
An dieser Stelle muss letztlich aber auch bedacht werden, was der Begriff "Individuum" bedeutet: Biologisch erscheint der Ausdruck eher unklar (weswegen andere Begriffe bevorzugt werden, z.B. Exemplar), und ohne weitere Konkretisierung und Qualifizierung bleibt der bloße Rekurs auf ein nicht näher bestimmtes "Un-teilbares" (lat. in-dividuum, gr. a-tomos) ohne Bedeutung. "Un-teilbar" ist der menschliche Körper zu keinem Zeitpunkt seines Bestehens, und auch das gesellschaftliche Dasein des Menschen ist insofern nicht "un-teilbar", als der Einzelmensch immer in verschiedenen Kontexten, Strukturen und Beziehungsgefügen steht und dort unterschiedliche Rollen einnimmt und sein soziales Handeln entsprechend auf-teilt; von der existenziellen Dimension, demnach sich das gesamte Vorhandensein eines Einzelmenschen subjektiv wie objektiv zeitlich sequenziert ver-teilt, ganz zu schweigen. Diese Auf-teilungen des vermeintlich Un-teilbaren lassen sich jedoch begreifen unter der Kategorie des Individuums im Sinne eines Ganzen, das in sich (be)steht, und von dieser Grundlage aus Mit-teilung als Möglichkeit erlaubt bzw. als Fähigkeit besitzt.
Insofern lässt sich sagen: Vor der Bildung des Primitivstreifens scheint mindestens ein menschliches "Individuum" vorhanden, und zwar als ein "in sich (be)stehendes Ganzes"; vielleicht sind es auch mehrere - die genaue Anzahl kann erst nach diesem Zeitpunkt mit Sicherheit bestimmt werden. Das Problem liegt damit weniger im genannten Sachverhalt selbst als viel mehr im begrifflichen Apparat, mit dem man sich annähert, sowie in einer momentan vorhandenen (und u.U. bloß technisch bedingten, d.h. keineswegs prinzipiell absoluten) Erkenntnisgrenze.
Die Frage, die sich daran unweigerlich anschließt, liegt jedoch auf der Hand: Ist denn vor der Bildung des Primitivstreifens tatsächlich etwas in sich stehendes Ganzes vorhanden? Und dies führt zum letzten Ansatz, um den Beginn des individuellen Daseins zu benennen: die Befruchtung, d.h. das Zusammenkommen der Gameten (Keimzellen). Hierbei verschmelzen spezialisierte haploide Körperzellen (Eizelle, Samenzelle) zu einer diploiden Zelle (Zygote).
Die genetische Komposition der dabei entstehenden Zelle ist neu, wodurch sie nicht mehr mit einem der beiden Elternteile identisch ist; die Zygote ist als genetisch eigenständiges Ganzes identifizierbar. Zugleich besitzt die Zygote eine neue Funktion, wodurch sie sich nicht mehr auf eine spezialisierte Körperzelle eines Elternteils reduzieren lässt; die Zygote ist als funktional eigenständiges Ganzes identifizierbar. Das Dasein als genetisch und funktional eigenständiges Ganzes liegt in der Zygote selbst und nicht an den Umständen: Komposition und Funktion hängen z.B. nicht vom Ort ab, was sich auch bei der In-vitro-Fertilisation (IVF), d.h. außerhalb des Mutterleibs, zeigt. Tatsächlich ist es ja genau dieses Dasein als genetisch und funktional eigenständiges Ganzes, das bei der IVF beabsichtigt wird. Dies markiert einen zumindest indirekten Indikator dafür, dass an genau dieser Stelle nicht nur physiologisch (materielles Inwendig-Sein), sondern auch psychologisch (mentale Ver-Innerlichung) und soziologisch (gesellschaftliches Hinein-Nehmen) etwas qualitativ Wesentliches zu passieren scheint, insofern ein in sich Besonderes formell und objektiv in die Wirklichkeitskonstruktion der an der IVF beteiligten Menschen integriert wird. Und tatsächlich: Während die neue Funktion der Zygote ein eher generisches Ganzes verwirklicht (es handelt sich um einen eukaryotischen Zelltypus, der sich bei Menschen, anderen Tieren, Pflanzen und Pilzen finden lässt), so ist die damit einhergehende neue genetische Komposition der Zygote einerseits menschlich (es handelt sich um Erbgut der Species Homo sapiens) und andererseits einzigartig (es handelt sich um die Kombination der Chromosomensätze zweier zuvor schon bestehender Individuen).
Zugleich gilt allerdings: Auch wenn sich ein menschliches Individuum auf diese Weise genetisch identifizieren lässt, so ist der einzelne Mensch doch nicht mit seinen Genen dergestalt identisch, dass er sich gänzlich darauf reduzieren ließe.
Der Unterschied zu den vorherigen Aspekten: Beim materiellen Inwendig-Sein über den physiologischen Aspekt geht es wirklich um eine existenzielle Frage, und es handelt sich nicht um eine bloß graduelle Einschätzung - es gibt hier einen echten qualitativen Sprung vom Nicht-Sein zum Da-Sein, nicht bloß ein quantitatives Spektrum hinsichtlich Alter, Größe oder Leistungsfähigkeit eines Individuums. Die Erkenntnis dieses qualitativen Sprunges physiologischer Art kann wiederum die anderen beiden Modalitäten formen und gestalten, damit auch deren aktiven Vollzug begründen: namentlich in der Einsicht, dass es sich schon bei einer Zygote um einen Menschen im Werden handelt und nicht um einen "werdenden Menschen".
Das Problem dieser Perspektive: Es muss im Diskurs zunächst einmal geklärt werden, welche empirisch sichtbare Gattung bzw. Art bzw. Gruppe unter den weltanschaulich betrachteten Begriff "Mensch" subsumiert wird, ehe ein materiell messbares Einzelwesen daraus betrachtet werden kann. In einem weiteren Sinne dann auch: Innerhalb des Diskurses bedarf es der Einigung auf eine gemeinsame Wirklichkeit, die sich weder in objektivem Zwang (Szientismus) noch in subjektiver Willkür (Meinung) verliert, weder im in sich verschlossenen Einzelfall ("mein Körper" im Besonderen) noch in der in sich leeren Abstraktheit ("Lebewesen" im Allgemeinen), weder im nackten Willen ("meine Entscheidung") noch im bloßen Gefühl ("Zellhaufen").
Der erste und gewichtigste, da in gewisser Weise durchaus berechtigte Einspruch ist hierbei freilich: Die Gleichsetzung von biologisch homo sapiens und weltanschaulich Mensch sei "Speziesismus". Dieser Einwand spielt besonders in der beigeordneten Diskussion um die Statthaftigkeit des Tötens von Menschen bzw. um die Abwägung miteinander in Konflikt stehender Rechtstitel mindestens zweier Menschen eine große Rolle, von der Diskussion um die Kategorie "Person" einmal ganz zu schweigen.
Ein gangbarer Weg zur Einigung in dieser Auseinandersetzung bestünde darin, die Zugehörigkeit zur Species homo sapiens als hinreichendes, aber nicht notwendiges Merkmal für die weltanschauliche Kategorie Mensch zu postulieren. Das heißt konkret: Jedes Exemplar der Species homo sapiens zählt weltanschaulich als individueller Mensch (und damit als Träger von Menschenrechten), aber nicht jedes Individuum, das weltanschaulich als Mensch firmiert, ist notwendig auch ein Exemplar der Species homo sapiens. So ist die Perspektive offen für andere Gattungen und Arten mindestens aus der Familie der hominini, ohne dass bestimmte Exemplare der Species homo sapiens aus ego-zentrischen oder ethno-zentrischen Gründen ausgeschlossen werden. Zugleich wird die natürliche Intuition zwischenmenschlicher Solidarität anerkannt, ohne dass sich daraus abgeleitete ethische Erwägungen notwendig darauf reduzieren bzw. verengen.
Wenn diese Klärung der Begriffe gelingt und die bloße Zugehörigkeit zur biologischen Species homo sapiens als hinreichend für das weltanschauliche Mensch-Sein anerkannt wird, dann lässt sich sehen, dass sowohl die soziologische als auch die psychologische Modalität des menschlichen Daseins immer schon die physiologische Modalität notwendig voraussetzen müssen, um ihrerseits operieren zu können; oder fast schon banal kurzgesagt: Ohne materiell messbare Menschen gibt es weder eine menschliche Psyche noch eine menschliche Gesellschaft, in der diese sich entfalten kann. Der materiell messbare Mensch tritt wiederum mit der Befruchtung der Eizelle durch die Samenzelle existenziell ins Dasein. Die konkrete Antwort lautet darum: Menschliches Leben beginnt genau hier.
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