Donnerstag, 14. Oktober 2021

Der Mensch als Träger von Gründen: Prinzipien


Teil 1 -
 Politik: Ein ästhetisch-technisches Kontinuum
Teil 2 - Der Mensch als Träger von Mitteln: Normen
Teil 3 - Der Mensch als Träger von Zwecken: Werte
Teil 4 - Der Mensch als Träger von Zielen: Grundwerte

Nachdem das Dasein des Politischen mit Blick auf die Normen und Werte wie auch das Werden des Politischen mit Blick auf die Ziele besprochen sind, bleibt schließlich noch der Blick auf die Gründe, die auch Prinzipien genannt werden können. Und auch hier muss gleich zu Beginn eine Begriffsklärung erfolgen, denn wenn es um den Ausdruck "Prinzipien" geht, gibt es allzu häufig Missverständnisse, was damit genau gemeint sein soll.

Im juristischen Sprachgebrauch ist oftmals eine Art Grundsatz für bestimmte Rechtsnormen gemeint, alsbald bezieht sich der Begriff auf Leitlinien hinsichtlich eines spezifischen kodifizierten Inhalts, oder das Wort kann auf allgemeine Grundregeln für besondere Rechtsakte verweisen. Kurzum: Das juristische Verständnis von Prinzipien steht sehr nahe bei dem, was im hiesigen Zusammenhang unter dem Begriff der Normen und Werte dargelegt wurde. Und das ist auch legitim, denn schließlich steht die Jurisprudenz als intellektuelle Disziplin mit am nächsten zur Ebene der Normen, die sie praktisch-pragmatisch einerseits prüft, andererseits gestaltet.

Im politischen, gesellschaftlichen und allgemeinsprachlichen Gebrauch bezeichnet der Ausdruck "Prinzipien" so etwas wie Maximen: Wer Prinzipien hat, der hält sich im Denken und Handeln an feste Regeln. Manchmal geschieht das zur Bewunderung eines Beobachters, manchmal jedoch auch zu dessen Verärgerung, insofern die prinzipientreue Person diese Regeln wie ein Schlachtross in die Diskussion bringt und ungeachtet aller Umstände darauf herumreitet. Gerade im Politischen gereicht die Prinzipientreue zum zweischneidigen Schwert, insofern sie einerseits zur Tugend eines jeden Wahlkämpfers gehört, weil sie einen fest stehenden Maßstab suggeriert, während es andererseits für den Regierenden auch bisweilen notwendig erscheint, die Prinzipien ganz pragmatisch über Bord zu werfen, um Schlimme(re)s zu verhindern.
Das kann beides durchaus legitim sein - schließlich handelt es sich gerade in der Allgemeinsprache um keinen systematischen Gebrauch, sondern um eine je situative Bezugnahme zu dieser oder jener Wortbedeutung. Und ganz generell steht der allgemeinsprachliche Gebrauch wohl eher in der Nähe dessen, was im hiesigen Zusammenhang unter der Rubrik der Grundwerte im Sinne Epplers besprochen wurde.

Da hier jedoch zumindest der Versuch einer begrifflichen Systematisierung gewagt werden soll, erscheint der philosophische Sprachgebrauch am geeignetsten, da dessen inhaltliche Bestimmung im Gegensatz zum juristischen Verständnis bislang noch nicht abgedeckt ist. Demnach handelt es sich bei einem Prinzip nämlich um einen Anfang, einen Beginn oder Ursprung, aus dem ein Gefüge kommt und von dem es zusammengehalten wird, oder einen Ausgangspunkt. In diesem Sinne soll die Bezeichnung "Prinzip" daher verwendet werden.

Das führt wiederum zur nächsten Überlegung, denn recht eigentlich kann es im engeren Sinne nur ein einziges Prinzip geben: Eine bestimmte Sache mag zwar mehrere bestimmende Ur-sachen (causae) besitzen können, die sich jeweils komplementär zueinander verhalten und dadurch gegenseitig ergänzen; doch der Ur-sprung (origo) kann jeweils nur in der Einzahl sein, da es sich als Beginn schlicht um das Gesamtgefüge aller bestimmenden Ur-sachen oder als Ausgangspunkt um deren ursprüngliche Überschneidung handelt. Das führt zu einer ersten Unterscheidung innerhalb des Begriffs: einerseits das Prinzip in sich selbst als wirklicher Ur-sprung, das auch als Prinzip ersten Grades oder als Prinzip der Prinzipien bezeichnet werden kann; andererseits das Prinzip aus sich selbst als Gesamtheit bestimmter Ur-sachen, das auch als Prinzip zweiten Grades oder abgeleitetes Prinzip bezeichnet werden kann.

So begriffen lässt sich nun in zwei Kategorien beschreiben, woher das Wollen auf der Ebene der Grundwerte stammt: einmal die Herkunft des Wollens in sich selbst als wirklicher Ur-sprung; einmal die Herkunft des Wollens aus sich selbst als Gesamtheit bestimmter Ur-sachen. Das erste steht für sich als ein Einzelnes, das gleichsam die Fähigkeit zu zweiterem besitzt, während das zweite am besten durch die Lesebrille der aristotelischen Ursachenlehre betrachtet wird.

In sich selbst steht das Prinzip der Prinzipien als Personalität. Der Mensch als Person ist im hiesigen Zusammenhang bereits implizit ausgesagt worden, und zur systematischen Betrachtung bietet es sich an, den historisch einflussreichsten Person-Begriff als Grundlage zu nehmen. Dieser stammt vom spätantik-frühmittelalterlichen Philosophen Boëthius, und er bezeichnet die Person als individua substantia naturae rationalis. Das kann zwar als "individuelle Substanz rationaler Natur" übertragen werden, doch solch eine Übersetzung verschleiert heutzutage wohl mehr als sie erklärt. Darum bietet sich eine kurze Aufschlüsselung an:

Die individua substantia meint nicht, wie man auf den ersten Blick denken könnte, ein singuläres Material oder einen diskreten Stoff. Die "Substanz" bezieht sich, in der später entwickelten scholastischen Sprache ausgedrückt, auf ein suppositum, d.h. auf eine tragende Grundlage oder schlicht auf einen Träger. Dieses suppositum ist wiederum durch intentio, also Absicht gekennzeichnet. Dass dieser Träger "individuell" sei, soll wiederum aussagen, dass er dem Wortsinne nach un-geteilt (in-divisus) ist, oder: ein in sich Ganzes. Demnach wäre die "individuelle Substanz" zunächst so etwas wie ein "in sich ganzer Träger mit Absicht".

Die "rationale Natur" wiederum bezieht sich auf den Begriff der natura als dynamische Selbstverwirklichung des inneren Wesenskerns einer Realität: Es handelt sich um einen intrinsischen Antrieb zur Bewegung. Diese Bedeutung begegnet uns heutzutage noch unter Wendungen wie "Natur der Dinge", "Natur des Menschen" o.ä. Das Attribut "rational" bedeutet wiederum nicht, wie der moderne Sprachgebrauch es nahelegen würde, irgendein rein technisches oder naturwissenschaftliches Denkvermögen o.ä., sondern dem ursprünglichen Wortsinne nach die Bestimmung eines Verhältnisses, eine bestimmte Berücksichtigung oder eine spezifische Hinsicht. Demnach wäre die "rationale Natur" zunächst so etwas wie eine "Verhältnisbestimmung als intrinsischer Bewegungsantrieb".

Zusammengefügt lässt sich individua substantia naturae rationalis als "in sich ganzer Träger mit Absicht, der eine Verhältnisbestimmung als intrinsischen Bewegungsantrieb besitzt" übertragen - was freilich sehr gestelzt klingt und wiederum wohl mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Um die ganze Geschichte darum abzukürzen, lässt sich daraus wiederum das Wesentliche destillieren, so dass die individua substantia naturae rationalis, die individuelle Substanz rationaler Natur, schlicht als selbständige Beziehung übertragen werden kann. Und das meint letztlich das personale Dasein des Menschen, das sich im Pronomen, d.h. Für-Wort "Du" ausdrückt: Du bist eine selbständige Beziehung.

Um es von dieser Seite wiederum etwas verständlicher zu machen, scheinen zwei Dinge bei der weiteren Aufschlüsselung zu helfen: zum einen die Absicht, zum anderen die Hinsicht. In der natura rationalis, i.e. Beziehung, verwirklicht sich das personale Wesen an sich in einer bestimmten Hin-Sicht; in der individua substantia, i.e. Selbständigkeit, besteht das personale Wesen für sich in einer bestimmten Ab-Sicht.
Die rationale Natur blickt gewissermaßen auf sich selbst, und sie steht damit - im modernen Vokabular - subjekthaft zu sich selbst in einem objektiven Verhältnis, woraus sie wiederum ipso facto ihre Wirklichkeit bezieht. So ist die natura rationalis immer schon an sich und in sich Beziehung, und zugleich ist die individua substantia in sich und für sich immer schon Absicht. Die spezifische Hinsicht, also das je spezifische Schauen auf sich selbst, das mit natura rationalis ausgedrückt wird, markiert dabei den intrinsischen Gehalt des Person-Seins; die diskrete Absicht, also das singuläre Schauen von sich selbst weg, das mit individua substantia ausgedrückt wird, markiert wiederum den extrinsischen Gehalt des Person-Seins. So lässt sich wieder mit Blick auf das Für-Wort sagen: Du bist eine an sich und für sich selbständige Beziehung.

Aber bevor der Blick auf das Prinzip der Prinzipien nun allzu sehr in den philosophischen Elfenbeinturm abdriftet, scheint es wohl ratsam, die Prinzipien zweiten Grades zu betrachten, die sich als Ursachengefüge davon ableiten: Unter der Rahmensetzung der aristotelischen Ursachenlehre begegnen uns auch hier wieder die nur relativ zueinander voneinander unterscheidbaren Form- und Stoffursachen, sowie dann die Wirkursache und die Zielursache, die jeweils nach dem Woher und dem Wohin fragen. Diese beiden Gruppen von Ursachen lassen sich wiederum anhand der beiden Bestandteile des Personenbegriffs erschließen.

Insofern es sich beim personalen Dasein um eine selbständige Beziehung handelt, muss ihre Integrität gewahrt bleiben. Das heißt, andere Beziehungen - seien sie nun selbständig oder unselbständig - dürfen ihr die Integrität nicht wegnehmen, sondern sind angehalten, dieser Selbständigkeit Unterstützung und Hilfe (subsidium) zukommen zu lassen. Dies fällt unter den Begriff der Subsidiarität, der zugleich als das Individualprinzip bezeichnet werden kann.

Insofern es sich beim personalen Dasein um eine selbständige Beziehung handelt, muss hingegen das damit einhergehende Verhältnis gewahrt bleiben. Das heißt, andere Selbständigkeiten dürfen ihr diese Verhältnisbestimmung nicht wegnehmen, sondern sind angehalten, sie aufrechtzuerhalten, zu fördern oder daran fest (solidus) zu halten. Dies fällt unter den Begriff der Solidarität, der zugleich als das Strukturprinzip bezeichnet werden kann.

Subsidiarität und Solidarität, Individualprinzip und Strukturprinzip, verhalten sich dabei jeweils gegenseitig wie Form- und Stoffursache: Vom Standpunkt der Subsidiarität aus, der in der personalen Selbständigkeit den Stoff erblickt, aus dem die Gemeinschaft erwächst, ist diese Selbständigkeit immer nur in der Gestalt der Beziehung denkbar, so dass sie notwendig von der Solidarität aus in-formiert wird. Vom Standpunkt der Solidarität hingegen, der in der Beziehung den Stoff erblickt, aus dem die Gemeinschaft erwächst, ist diese Beziehung immer nur in einer selbständigen Gestalt denkbar, so dass sie notwendig von der Subsidiarität aus in-formiert wird. Beide Prinzipien sind aufeinander hin geordnet, und sie voneinander trennen zu wollen bedeutet am Ende das Aufsprengen der Person.

Insofern es sich beim personalen Dasein um eine selbständige Beziehung handelt, muss an dieser Selbständigkeit festgehalten (retinere) werden, denn nur durch diese Integrität wird das Verhältnis als solches auch wirklich aufrecht erhalten (sustinere). Dies fällt unter den Begriff der Nachhaltigkeit (Retinität, sustainability), die damit als prinzipielles Mittel wirkt, weil sie Beziehung ver-mittelt.

Insofern es sich beim personalen Dasein um eine selbständige Beziehung handelt, muss diese Beziehung bewahrt und erhalten werden, denn nur durch ein Verhältnis erhält jedwede Selbständigkeit ihre Bestimmung, die als gemeinsames Gut (bonum commune) in allem Selbständigen besteht. Dies fällt unter den Begriff des Gemeinwohls, das damit als prinzipielles Ziel vorhanden ist, weil es jedwede Integrität zielgerichtet ordnet.

Nachhaltigkeit und Gemeinwohl, prinzipielles Mittel und prinzipielles Ziel, sind natürlich eng verwandt mit den beiden vorgenannten Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität, sie beleuchten die beiden Elemente des Person-Begriffs jedoch auf andere Art und Weise, eben im Sinne von Wirk- und Zielursache. Tatsächlich lassen sich alle vier abgeleiteten Prinzipien allerdings auch insgesamt bloß relativ zueinander voneinander unterscheiden, und dies ist ihrer Herkunft aus dem personalen Dasein des Menschen in sich geschuldet. Denn auch in dieser Hinsicht gilt, dass ein Auftrennen von Nachhaltigkeit und Gemeinwohl die Person selbst auseinanderreißt.

Auf diese Weise wird jedoch sichtbar, dass und inwiefern die Prinzipien der Subsidiarität, der Solidarität, der Nachhaltigkeit und des Gemeinwohls nicht nur ur-sprünglich (originalis), sondern auch ur-sächlich (causalis) für die Grundwerte sind. Es ist dabei vor allem der soziologische Aspekt der Grundwerte, der durch seine zwei Seiten die beiden Elemente der Personalität je konkret abbildet: Die selbständige Beziehung steht ur-sächlich für das Offensichtliche (absolute Wahrheit), die Regelgerechtigkeit (jedem das Seine), die Freiheit der Indifferenz (negative Freiheit), sowie die begehrende Liebe; die selbständige Beziehung steht ursächlich für das Bewährte (relative Wahrheit), die Ergebnisgerechtigkeit (jedem das Gleiche), die Freiheit zur Exzellenz (positive Freiheit) sowie die schenkende Liebe.

So bleibt letztlich nur noch die Frage nach Immanenz und Transzendenz, was sich gleichsam übersetzt in die Frage nach der Begründung des Prinzips der Personalität, die bislang ausgespart wurde. Und darin liegt der Clou: Denn dieses Prinzip ist sowohl unverfügbarer Endpunkt in der Reise der Vernunft als auch in sich selbst transzendentes Momentum. Was bedeutet das nun?

Die Wirklichkeit ist dem Menschen letztlich immer nur als personale Wirklichkeit zugänglich, soll heißen: Wir können die Realität letzten Endes nur begreifen, indem wir sie - sei sie nun sichtbar, unsichtbar, einfach, komplex, etc. - erstens als Verhältnisbestimmungen eines inneren Bewegungsprinzips und zweitens als Einzel-Elemente mit Gemeinsamkeit durch eine bestimmte Absicht und in einer bestimmten Hinsicht annehmen und betrachten. Unser einziger Zugang zur Realität, gewissermaßen: die Bedingung der Möglichkeit zum Griff über uns selbst hinaus besteht in einer personalen Struktur, und genau das ist uns letzten Endes unverfügbar. Gleichzeitig, und weil es uns unverfügbar ist, können wir die personale Wirklichkeit niemals effektiv, real, wirklich etc. davon ab-schließen, über sich selbst hinaus zu gehen. Das Prinzip der Personalität ist damit transzendente Letztbegründung.

An dieser Stelle kommt darum der riesengroße Eimer Salz, aus dem man nicht nur eine Prise, sondern mehrere volle Hände nehmen muss: Es handelt sich um eine transzendente Letztbegründung, die sich aus der aktiven Tätigkeit der Vernunft ergibt, also um einen Griff vom Menschen her zur Wirklichkeit hin. Ob es sich bei dieser transzendenten Letztbegründung aber auch um eine transzendente Wahrheit handelt, kann damit nicht ausgesagt werden. Zum einen, da "Wahrheit" als Kategorie aus dem Prinzip der Personalität als Grundwert abgeleitet wird und es darum in einen logischen Fehlschluss münden würde, das Prinzip, aus dem die Kategorie abgeleitet wird, nun mit der aus dem Prinzip abgeleiteten Kategorie wieder selbst begründen zu wollen. Zum anderen, weil gemäß der Kategorie "Wahrheit" zur Über-Ein-Stimmung immer auch eine Ein-Stimmung vorhanden sein muss, das heißt: eine Stimme, die aus der Wirklichkeit zum Menschen hin spricht. Diese Stimme wiederum könnte nur dann verstanden werden, wenn sie sich innerhalb der, oder besser: wenn sie sich selbst als personale Wirklichkeit zu erkennen gäbe. Hier liegt zumindest die Gefahr der Personifizierung, das heißt: die Gefahr, etwas für eine personale Wirklichkeit zu halten, das in Wahrheit gar keine personale Wirklichkeit ist. Die Vernunft ist hier tatsächlich an einem Ende angekommen.

Um dieses Ende zu überschreiten, ist das notwendig, was in der kirchlichen Tradition als "Glaube" bezeichnet wird: das Annehmen einer Daseinsmöglichkeit ohne Letztbegründung. Und so kann nur durch den Glauben die Brücke zwischen einer transzendenten Letztbegründung und einer transzendenten Wahrheit geschlagen werden, namentlich durch das Annehmen einer Daseinsmöglichkeit, die die Ein-Stimmung von einer personalen Wirklichkeit her zum Menschen hin betrifft.
Die notwendige Vorbedingung hierfür liegt im Vorhandensein nicht nur einer Stimme dieser personalen Wirklichkeit, sondern in einer Art Sprechakt, die diese Wirklichkeit vollzieht. Erst wenn also die personale Wirklichkeit im Sprechakt auf den Menschen zugeht, hat die Annahme einer Daseinsmöglichkeit in Ein-Stimmung mit einer personalen Wirklichkeit eine reale Substanz. In der Sprache der Theologie: Nur durch Gnade wird der Glaube zur echten Daseinsmöglichkeit. Ohne Gnade bleibt Glauben bloßes Fürwahr-Halten von selbst aufgestellten Sätzen.
Kurzgesagt: Hinter dem Prinzip der Personalität kann am Ende immer nur das stehen, was als Modus der Verarbeitung der Kontingenzerfahrung unter dem Begriff der Religion firmiert - das Hin- und Annehmen von etwas als unverfügbar (hier liegt der Übergang zu dem, was Hans Joas die "Sakralität der Person" nennt, auch wenn seine Annäherung freilich einen anderen Schwerpunkt setzt). 

Das Hin- und Annehmen der genannten transzendenten Letztbegründung markiert letztlich einen Glaubenssprung, und darum steht auch das politische Postulat einer an sich vorhandenen, universalen und nicht verlierbaren Menschenwürde immer schon im Dunstkreis des Religiösen - sie markiert einen vor-politischen Raum, insofern jede Beantwortung gemeinschaftlicher Fragen immer schon das annehmen muss, was unverfügbar steht. 

Wo dieses Hin- und Annehmen der genannten transzendenten Letztbegründung nicht geschieht, da tauchen jene großen Ideologien auf, die als kosmologisch bezeichnet werden können, weil sie eine ganz eigene Welt-Lehre (kosmos + logos) beschreiben und postulieren: Geometrismus, Physikalismus, Biologismus, Psychologismus, Evolutionismus. Alle setzen am Ende auf eine immanente Letztbegründung, die nicht beim Du ankommt, sondern beim Ich stehen bleibt: 

"Ich denke, also bin ich; aber bei dir kann ich mir nicht sicher sein - du bist nämlich anders." 

Hier, in der Verweigerung des Hin- und Annehmens der genannten transzendenten Letztbegründung, liegt der Keim für Tribalismus, Identitarismus und Totalitarismus.

Teil 6 - Individuelle und spezifische Personen

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