Montag, 10. Februar 2025

Nachtgedanken: Müssen Grüne gegen §218 sein?

Im Diskurs rund um den Lebensschutz, gerade wenn es um diesen Themenkomplex im Zusammenhang mit der im November 2024 zerbrochenen "Ampel"-Regierung in Deutschland geht, wird nur allzu gerne der Marker "grün" mit dem Merkmal "pro choice" in eins gesetzt. Dies umso mehr, als eine überparteilich organisierte Gruppe von Abgeordneten des deutschen Bundestags einen Antrag zur Neuregelung von §218ff. StGB eingebracht hat, der noch vor der Bundestagswahl im Februar 2025 im entsprechenden Ausschuss verhandelt wird. Wie im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft ist das Thema Abtreibung damit auch in Deutschland in die Mitte der politischen Auseinandersetzung gerückt. Das scheint Grund genug, einmal der Frage nachzugehen, wie eine grüne Perspektive auf die aktuelle Regelung im deutschen Strafgesetzbuch eigentlich aussieht.

Grundsatzfragen

Der Begriffsinhalt, der sich mit der Bezeichnung "grün" verbindet, hängt bisweilen sehr stark von der (partei-)politischen Position ab, von der aus eine Begriffsbestimmung vorgenommen wird. Aus konservativer Perspektive wird das Label "grün" oftmals mit "links" bzw. "linksextrem" gleichgesetzt; aus Sicht der linken bzw. sozialdemokratischen Lagertheorie scheint "grün" oftmals nicht mehr als ein Mehrheitsbeschaffer für das eigene Lager zu sein; und die Selbsteinschätzung als "grün" meint damit in vielen Fällen die "Mitte" des realen oder selbst angestrebten sozio-politischen Spektrums.

Historisch steht die Eigen- und Fremdbezeichnung "grün" hingegen vor allem für eine Gegenbewegung zur kapitalistischen und strukturkonservativen Wachstumspolitik der 1960er und 1970er Jahre, sowie für einen dezidierten Fokus auf Umweltschutz und Friedenspolitik. Damit bündelt die grüne Bewegung als eigene Tradition kapitalismuskritische, wertkonservative und sozialliberale Stimmen. Das Merkmal "grün" bezieht sich so betrachtet nicht auf eine generische Ideologie im Sinne von Konservatismus, Liberalismus oder Sozialismus, sondern auf eine Ideologie in analogem Sinne, das heißt: auf eine politische Überzeugung bzw. Ideen-Ordnung unter bestimmten regulativen Leitideen.

Als zentrale regulative Leitidee steht dabei die Ökologie, d.h. die Beobachtung, Analyse und Lehre von den Beziehungen zwischen Lebewesen untereinander sowie in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt.
Diese Leitidee steht ihrerseits gegen den damit kritisierten Ökonomismus: Weder der Mensch noch andere Tiere noch die Umwelt sollen einer letzten Endes kapitalistischen Verwertungslogik unterliegen. Daraus entspringt folglich ein hoher Stellenwert für das Prinzip der Nachhaltigkeit sowie eine entschiedene Ablehnung der Technokratie, d.h. der Unterwerfung unter das Denken in den Sachzwängen einer kühlen Zweck-Mittel-Rationalität.

Im Lichte dieser zentralen Leitidee werden dann die beiden zentralen Grundwerte der grünen Bewegung ebenfalls als regulative Leitideen kontextualisiert: Gerechtigkeit und Freiheit. 
Gerechtigkeit versteht sich dabei vor allem als generationenübergreifende Gerechtigkeit, demnach eine Generation nicht auf Kosten der anderen Leben darf (pointiert ausgedrückt im Slogan "Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt"). Die Herstellung umfassend gerechter Teilhabe-Chancen hat dabei einen tendenziell höheren Stellenwert als die bloße Verteilungsgerechtigkeit.
Freiheit wiederum versteht sich nicht nur als Kampf gegen Konvention, Tradition und Establishment, sondern insbesondere als Vermögen im Verwiesensein auf die natürliche und sozio-kulturelle Umwelt. Es geht dabei nicht um bloß individuelle Freiheit als "Recht in Ruhe gelassen zu werden" und nicht um kollektive Freiheit als reine "Einsicht in die Notwendigkeit", sondern um eine Freiheit, die kommunitär genannt werden kann: Freiheit ist aus grüner Perspektive nicht Selbstbestimmung exklusiv für das Eigene ("meine Selbstbestimmung nur für mich"), sondern entfaltetes Handlungsvermögen für das Gemeinsame ("meine Selbstentfaltung für uns").

Neben diesen inhaltlichen Leitideen lassen sich zudem drei formelle Leitideen benennen, durch welche die grüne Bewegung im sozio-politischen Geschehen eine konkrete Gestalt erhält. Diese können jeweils von übersteigerten Formen abgegrenzt werden; und zwar jeweils dort, wo die formelle Leitidee nicht mehr auf die inhaltlichen Leitideen rekurriert, sondern zum Selbstzweck erhoben wird: Zunächst steht der Anti-Autoritarismus, der das Protest- und Oppositionspotenzial der Bewegung kanalisiert; er lässt sich vom Anarchismus abgrenzen. Zweitens steht der Pragmatismus, der das grundsätzliche Regierungspotenzial der Bewegung ausdrückt; er lässt sich vom Aktionismus abgrenzen. Schließlich steht die Hegemoniefähigkeit als Emanation des Gestaltungspotenzials der Bewegung; er lässt sich vom Autoritarismus abgrenzen.

Zwischen den beiden Extremen der Übersteigerungen "Anarchismus" und "Autoritarismus" beschreibt der Marker "grün" schließlich auch so etwas wie eine ganze politische Dimension. Das daraus sich ergebende Spannungsfeld korrespondiert mit einem anderen Spannungsfeld, welches die grüne Bewegung zwischen dem "Spielbein" der (partei-)politischen Organisation und dem "Standbein" des (zivil-)gesellschaftlichen Vorfelds in einen gemeinsamen, ergebnisorientierten Aktivismus (in Unterscheidung zum rein auf die Tat fokussierten "Aktionismus") stellt. Aus diesem (doppelten) Spannungsfeld speist sich das Potenzial, welches in den formellen Leitideen konkrete Gestalt erhält.

Grüne Befürworter von Abtreibung verweisen üblicherweise auf die Selbstbestimmung schwangerer Personen, die die ausschließliche Hoheit über den eigenen Körper beinhalte. Ein Ausfluss dieser Selbstbestimmung bestehe in der exklusiven Entscheidungsgewalt darüber, ob man schwanger sein bzw. bleiben wolle oder nicht. Im Falle, dass man nicht mehr schwanger sein bzw. bleiben wolle, sei ein Abbruch der Schwangerschaft das notwendige Mittel, und dieses Mittel müsse durch den Staat bedingungslos bereitgestellt bzw. dürfe seitens des Staates keinesfalls verwehrt werden.

Darüber hinaus verweisen grüne Befürworter von Abtreibung gerne darauf, dass die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch niemals leichtfertig geschehe. Deswegen müsse man immer davon ausgehen, dass der Wunsch nach einer Abtreibung unter Abwägung aller Faktoren getroffen worden sei. Entscheidend sei am Ende unabhängig von allen anderen Faktoren einzig und alleine der Status der Schwangerschaft als im Ergebnis "ungewollt", und dies habe der Staat dadurch anzuerkennen, dass er den Abbruch der Schwangerschaft uneingeschränkt ermögliche bzw. in keinem Falle verhindere.

Schließlich verweisen grüne Befürworter von Abtreibung oftmals auch darauf, dass es kein Leistungsrecht am Körper eines (anderen) Menschen gebe. Das ungeborene Kind habe aus diesem Grund keinerlei Anspruch darauf, bis zum natürlichen Ende der Schwangerschaft durch den Körper seiner Mutter versorgt zu werden. Der Staat dürfe folglich nicht einmal die Fiktion eines solchen Anspruchs zur Grundlage seines Handelns machen und müsse dem Wunsch nach einer vorsätzlichen Beendigung der Schwangerschaft unter allen Umständen entsprechen.

Dagegen lässt sich von einer grünen Position aus sagen, dass die Menschenwürde für alle Menschen gilt.

Die Universalität dieser Würde übersteigt nicht nur soziale, nationale, kulturelle oder ethnische Grenzen, sondern es handelt sich um eine generationenübergreifende Maxime, insofern den zukünftigen Generationen dieselbe Menschenwürde und damit auch ein ebenso menschenwürdiges Leben zugestanden werden muss wie den heute lebenden Menschen. Menschenwürde und Nachhaltigkeit greifen tief ineinander, und die ökologische Perspektive zielt ganz konkret auf den Schutz potenziell in der Zukunft existierender Menschen. Damit umschreibt der Anspruch der Menschenwürde aus grüner Perspektive ein Spektrum zwischen konkretem und abstraktem Dasein, das von aktuell existierenden Menschen in der Gegenwart bis hin zu potenziell existierenden Menschen in der Zukunft reicht.

In diesem Spektrum wirft nun der Status der Ungeborenen die besondere Frage nach ihrem Stellenwert auf: Ungeborene nehmen zwar nicht vollumfänglich als eigenständige Akteure am gesellschaftlichen Umgang oder am Rechtsverkehr teil, doch sie sind als bereits in der Gegenwart materiell messbare Exemplare der Species Homo sapiens qualitativ sehr viel mehr als nur potenziell in der Zukunft existierende Menschen. Der Anspruch gegenüber noch nicht gezeugten Menschen kennt verbindliche Regelungen und einschneidende staatliche Handlungen zu ihrem Schutz; darum muss dies auch der absolute Mindeststandard sein, unter den das Verhältnis zu den noch nicht geborenen Menschen nicht fallen darf.

Es ist insofern notwendig, eine Regelung zu finden, die den besonderen Status der Ungeborenen inmitten des genannten Spektrums reflektiert: Diese Regelung muss über den bloßen Mindeststandard hinausgehen und darf entsprechend nicht nur im Abstrakten die allgemeinen Lebensumstände zukünftiger Generationen betreffen, sondern muss sich bereits auf das besondere und konkret messbare Leben der gegenwärtig noch nicht Geborenen als solches richten. Gleichzeitig erscheint es sinnvoll, den besonderen Schutz dieses Lebens von den allgemeinen Regelungen zu Mord und Totschlag zu unterscheiden, um die konzeptionelle Unterscheidung zwischen den Geborenen und den Ungeborenen widerzuspiegeln.

Zum genannten Rekurs auf die Selbstbestimmung muss gesagt werden, dass dieses Argument ein einseitig verkürztes Verständnis von Freiheit vertritt, welches in dieser Abgeschlossenheit nicht zum grünen Denken passt. Es zielt zugleich am Ende lediglich auf die technischen Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit, insofern es um die reine Verfügbarmachung von Abtreibung geht. Damit propagiert das Argument neben einem bloß individualistischen Verständnis von Freiheit auch ein rein technokratisches Verständnis von Gerechtigkeit. Gegen beides hat sich die grüne Bewegung in ihren Ursprüngen recht eigentlich sehr entschieden aufgestellt, weil beides die grundlegenden Wertvorstellungen des Ökonomismus und des kapitalistischen Strukturkonservatismus reproduziert. 

Mit Bezug zur Leichtfertigkeit einer Entscheidung über eine Abtreibung muss gesagt werden: Der strafrechtliche Rahmen sorgt eben gerade dafür, dass dieses dem Wesenskern nach brisante Thema nicht Gegenstand einer leichtfertigen Entscheidung wird. Es geht hierbei um die auch sozialpädagogische Funktion des staatlich gesetzten Rechts, und dabei dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden.
Hinzu kommt, dass das Attribut "ungewollt" in Bezug auf eine Schwangerschaft hochgradig mehrdeutig ist: Es umfasst mit in ihrem Ursprung a) gewaltsam aufgezwungenen, b) nicht geplanten sowie c) nicht beabsichtigten Schwangerschaften ein ganzes Spektrum von in sich, an sich und für sich vollkommen unterschiedlichen Konstellationen und Sachverhalten; hinzu kommen Schwangerschaften, die in ihrem Verlauf aufgrund spezifischer Umstände und/oder sozialer Faktoren als d) nicht länger erträglich bzw. e) nicht mehr zumutbar eingeordnet werden. An dieser Stelle ist keine Pauschalisierung möglich, denn hinter diesen unterschiedlichen Sachverhalten stehen ganz verschiedene Ursachen, die in ihrer Besonderheit ernst genommen, diskutiert und gelöst werden müssen. Darum kann das Argument in seiner Allgemeinheit nicht tragen.

Mit Blick auf das (vermeintlich) fehlende Leistungsrecht steht notwendig die Feststellung, dass dieses Argument nur aus einer radikal-libertären Perspektive tragfähig ist, welche das Prinzip der Solidarität von vorn herein in Abrede stellt: Essentiell handelt es sich um das Argument, das der rechtslibertäre Vordenker Murray N. Rothbard in Kapitel 14 seiner "Ethics of Liberty" ausführt; auch die radikal-kapitalistische Vordenkerin Ayn Rand argumentiert in diese Richtung, indem sie in ihrer Ablehnung eines solidarischen Gemeinwesens jedwede Verpflichtung eines Menschen gegenüber seinen Mitmenschen ablehnt. Diese Perspektive ist ganz grundlegend und wesentlich vollkommen unvereinbar mit grünem Denken, weil hierbei Teilhabe-Chancen von vorn herein und auf absolute Weise verneint werden. Zu allem Übel geschieht dies noch auf Grundlage der Feststellung, dass eine mögliche Teilhabe in wesentlicher Art und Weise von anderen Menschen abhängt.
Anerkennt man hingegen das Prinzip der Solidarität, so muss notwendig das besondere Verhältnis von Mutter und ungeborenem Kind in den Fokus rücken. Es geht hierbei nicht nur um zwei Lebewesen in ihrer jeweiligen Wechselwirkung, sondern die Mutter steht dabei in Analogie (das heißt: Ähnlichkeit bei größerer Unähnlichkeit) zur Umwelt des Kindes; in Analogie geht es deshalb um den Schutz einer spezifischen Biosphäre innerhalb (s)einer besonderen Ökosphäre. Wo diese Wechselwirkung den natürlichen Abläufen entspricht, muss sie darum im Sinne der Nachhaltigkeit bewahrt werden; wo diese Wechselwirkung Störungen unterworfen ist, oder gar pathologisch wird, da kann, darf und muss ggf. eingegriffen werden.

Das heißt am Ende: Gerade in der grünen Perspektive muss der Staat das Leben der Ungeborenen schützen. Somit gehört es ganz prinzipiell und notwendig zum grünen Denken, eine Regelung wie unter §218ff. StGB zu unterstützen.

Zu diesen grundlegenden Erwägungen kommen nicht nur in der aktuellen Diskussion weitere Faktoren hinzu:

Der konkrete Blick auf §218 StGB

Unter den Regelungen gemäß §218 StGB wird der Schutz der zukünftigen Generationen durch die grundsätzliche Strafbarkeit von Abtreibung bewerkstelligt. Gleichzeitig sorgen sowohl §218 Abs. 2 als auch die Ausnahmeregelungen in §218a StGB für den Schutz schwangerer Frauen. Diese Ausnahmeregelungen umfassen:

  • die medizinische Indikation,
  • die kriminologische Indikation
  • und die soziale Indikation bzw. Beratungsregel.
Auf diese Art und Weise differenziert und relativiert sich das grundsätzliche Verbot in wesentlicher Hinsicht.

Die medizinische Indikation erscheint dabei, gerade mit Blick auf den Schutz der Frauengesundheit, als die offensichtlichste und intuitiv zugänglichste Ausnahme: Sie betrifft die Kategorie "ungewollt" im Sinne von "nicht mehr zumutbar", insofern es um Störungen der natürlichen physiologischen Abläufe, z.B. im Falle einer ektopischen Schwangerschaft, und ganz besonders um die damit zusammenhängende Gefahr für das Leben der Mutter geht. Die medizinische Indikation ist nicht nur innerhalb der Abwägung zwischen Geborenen und Ungeborenen Ausdruck notwendiger Priorisierung in einer Art Triage-Situation, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit zugleich in sich selbst eine Analogie zum "klassischen" Umweltschutz, insofern die Ökosphäre bewahrt werden muss, damit überhaupt eine Biosphäre existieren kann.

Die kriminologische Indikation beschäftigt sich mit der besonderen Bedeutung von "ungewollt" im Sinne von "gewaltsam aufgezwungen": Sie betrifft, um es so auszudrücken, Störungen der natürlichen gesellschaftlichen Abläufe durch die Handlungen sexueller Gewalttäter. Damit zusammenhängend betrifft sie jedoch auch die Gefahren, die aus solchen Gewalttaten für die natürlichen psychologischen Abläufe in den betroffenen Frauen entstehen, d.h. die Gefahr psychologischer Störungen, welche von pathologischen Belastungen bis hin zur Selbsttötung reichen können. In diesem Sinne bietet die kriminologische Indikation am Ende auch eine Art von Abhilfe gegenüber der rape culture. Dabei verschiebt sich allerdings die Analogie auf entscheidende Weise, insofern sie weniger mit einer Art von "klassischem" Umweltschutz als viel mehr mit dem spezifischen Schutz des sozio-kulturellen Klimas befasst ist: Hier ist es nun die Frau, die als lebendiges Wesen im Zentrum der Schutzbemühungen gegenüber Aberrationen in der (diesmal soziologisch begriffenen) Ökosphäre steht.

Die Beratungsregel schließlich beschäftigt sich einerseits mit der besonderen Bedeutung von "ungewollt" im Sinne von "nicht geplant" bzw. "nicht beabsichtigt" und betrifft andererseits die Diskussion um die Leichtfertigkeit des Wunsches nach Abtreibung auf sehr wesentliche Art und Weise: Sie setzt den Gedanken der Informationsfreiheit als Grundlage freien Handelns praktisch um, und zwar präzise in Form von umfangreicher Teilhabe an den verfügbaren Informationen zu einem Sachverhalt. Dies betrifft in grüner Perspektive eine der Kernaufgaben des nach Gerechtigkeit strebenden Gemeinwesens, auch und gerade mit Blick auf die Teilhabe an staatlichen Unterstützungsleistungen, die ohne sichergestelltes Wissen darüber nicht möglich ist. Auf diese Weise wird eine ungeplante bzw. unbeabsichtigte Schwangerschaft in den sozio-kulturellen Zusammenhang eingeordnet, was wiederum das kommunitäre Element der Freiheit überhaupt erst hervortreten lässt; denn dieses korrespondiert mit einer Verpflichtung des Staates, ein sozio-kulturelles Klima zu erreichen und zu schützen, welches auch die materiellen Lebensgrundlagen der aktuell ungeborenen Generation durch sozialstaatliches Handeln sicherstellt.
Zudem kommt der Beratungsregel in Verbindung mit §219 Abs. 1 StGB gerade in der heutigen Zeit eine wesentliche Rolle bei der Verteidigung gegen den Ökonomismus zu: Die verpflichtende Beratung stellt einen Informationsstandard gegenüber denjenigen Anbietern sicher, die mit Schwangerschaftsabbrüchen Geld verdienen. Diese Anbieter können nämlich seit der Aufhebung von §219a StGB durch die marktliberal geprägte Bundesregierung ("Ampel" unter Beteiligung der FDP mit auch rechtslibertärem Einschlag) im Jahr 2022 eigenmächtig über die Grenzen zwischen (Produkt-)Information und Werbung entscheiden - eine Definitionshoheit, die den Anbietern z.B. weder im Automobil- noch im Genussmittelbereich zugestanden wird. So wird die Handlungshoheit der Einzelnen gegenüber einer Mentalität, demnach "der Markt regelt" verteidigt und bewahrt.

Auf diese Weise entspricht die spezifische Regelung gemäß §218ff. StGB auch in ihrer inhärenten Differenzierung vermittels definierter Ausnahmen grünen Maximen und Grundsätzen.

Das grüne Argument in der aktuellen Debatte

Im breiteren gesellschaftlichen und politischen Diskurs besitzt die grüne Perspektive in dieser Frage bislang jedoch wenig Strahlkraft: 

Als einzige politische Organisation in grüner Tradition äußert sich die Kleinpartei ÖDP in nennenswerter Weise in diese Richtung, insofern sie §218 StGB explizit verteidigt. Ohne Bundes- oder Landtagsmandate und mit nur einem Sitz im Europaparlament hält sich die politische Wirkmacht dieser Partei allerdings in sehr engen Grenzen.

Prominente Stimmen aus der ungleich mächtigeren Partei der Bündnisgrünen ordnen die Frage nach Abtreibung zwar als Thema in den Frame der Gerechtigkeit ein, verkürzen dies dann jedoch auf die bloße Verteilungsgerechtigkeit hinsichtlich der Verfügbarmachung von Abtreibung. Andere prominente Stimmen wiederum rekurrieren zwar rhetorisch auf die Universalität der Menschenwürde, verkürzen dann jedoch das dahinterstehende Freiheitsverständnis.

Es stellt sich durchaus die Frage, ob die bündnisgrüne Partei in ihrem aktuellen Zustand und mit ihrer Positionierung in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs überhaupt noch als rechtmäßiger Anführer geschweige denn Vertreter der grünen Bewegung betrachtet werden kann: Der bündnisgrüne Aktivismus gegen §218 StGB verkürzt die grüne Perspektive auf eine kapitalistische, individualistische sowie technokratische Art und Weise, was nicht zuletzt auch in scharfem Widerspruch zu einem modernen, intersektional ausgerichteten Feminismus steht. Als Resultat bzw. Korrelat dieser Verkürzungen möchte die Partei der Bündnisgrünen den mühsam errungenen und bis dato stabilen gesamtgesellschaftlichen Kompromiss in dieser Frage aufkündigen; dass sie dabei ausgerechnet mit der SED-Nachfolgepartei gemeinsame Sache macht, verwundert aus zwei Gründen: Zum einen steht die SED-Nachfolgepartei für einen staatsmonopolkapitalistischen Ansatz, und damit für eine technokratische Politik, gegen die sich die grüne Bewegung im Allgemeinen überhaupt erst gegründet hat. Zum anderen wurzelt die besondere Herkunft des "Bündnis 90" in der DDR-Bürgerrechtsbewegung; diese hat sich dezidiert gegen die SED-Herrschaft gestellt.
Vor diesem Hintergrund muss mindestens die Monopolstellung der Bündnisgrünen als parteipolitischer Ausdruck der grünen Bewegung scharf hinterfragt und effektiv aufgebrochen werden.

Aber auch im zivilgesellschaftlichen Vorfeld ist aktuell keine wirksame grüne Stimme zur Verteidigung von §218 StGB zu vernehmen; tatsächlich scheinen Demonstrationen gegen Veranstaltungen zum Schutz (der Lebensgrundlagen) zukünftiger Generationen wie z.B. den "Marsch für das Leben" in der Szene der Umwelt-, Klima- und Tierschützer sehr viel populärer. Unterschiedliche Stimmen aus diesem Spektrum benennen bisweilen zwar eine inhaltliche Verbindung zwischen Klimaschutz und Lebensschutz, beziehen dies jedoch primär auf den allgemeinen Schutz der Lebensumstände zukünftiger Generationen und nicht auf den besonderen Schutz des Lebens aller materiell messbaren Exemplare der Species Homo sapiens. Extreme Äußerungen gehen sogar so weit, die vollständige Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen ohne jedwedes Hindernis zu fordern.

Fazit

Was heißt das also insgesamt? Grüne, die von ihren regulativen Leitideen, Maximen und Grundsätzen überzeugt sind, müssen sich organisieren und vernetzen - vor allem im Bereich des "Standbeins", d.h. im Vorfeld parteipolitischer Organisation, weil das "Spielbein" in dieser Hinsicht keine praktisch wirksamen (ÖDP) bzw. inhaltlich zufriedenstellenden (B90) Angebote liefert. Das Vorbild hierzu findet sich im Aktivismus der Klimaproteste von "Fridays for Future" bis zur "Letzten Generation vor den Kipppunkten", um auf die Situation der Ungeborenen und den Schutz der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen aufmerksam zu machen: Gerade in Zeiten, da eine Bundesregierung unter bündnisgrüner Beteiligung Proteste zum Schutz der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen unter Strafe gestellt hat, erscheint nämlich das anti-autoritäre Wesenselement der grünen Bewegung als zentraler Angelpunkt. Es bieten sich hierfür gerade die innerhalb der Klimaschutzbewegung entwickelten und sowohl im grünen Vorfeld als auch im parteipolitischen Umfeld weitgehend akzeptierten Protestformen an, um dem Schutz der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen Gehör zu verschaffen: (nicht nur Schul-)Streiks, vielfältige Demonstrationen, sowie Performance-Aktionen mit Blick auf Infrastruktur, Gebäude, Kulturobjekte oder Veranstaltungen.

Müssen Grüne also gegen §218 sein? 

Nein, ganz im Gegenteil: Die Regelungen unter §218ff. StGB setzen den grünen Markenkern direkt um. Überzeugte Grüne müssen in diesem Sinne den Paragrafen 218 entschieden verteidigen und den Lebensschutz nicht reaktionären, rechten und rechtsradikalen Kräften überlassen, sondern durch Ökologie, Nachhaltigkeit, gerechte Teilhabe-Chancen und kommunitäre Freiheit prägen.

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