Parteipolitische Kritik hierzu war an diesem Tag schnell bei der Hand: Die Ampel-Regierung habe den Turbo gezündet, um Werbung für Abtreibung zu ermöglichen, es aber nicht fertiggebracht, eine allgemeine Impfpflicht zur Bekämpfung einer globalen Pandemie mit (Stand Juni 2022) über 140.000 Toten alleine in Deutschland durchzusetzen. Die links-gelbe Fortschrittskoalition strebe darum gar nicht danach, die Situation der Menschen zu verbessern, sondern habe ganz andere Interessen. SCOTUS wiederum sei gekapert worden von der Partei der Republikaner, deren letzter Präsident alleine drei der aktuell neun Richter ernannt und damit die aktuellen Mehrheitsverhältnisse in dieser Institution überhaupt erst geschaffen hat. Die Ernennungen seien wiederum aufgrund von politischen Interessen erfolgt, die gar nicht auf den Schutz von Menschen zielen, sondern rein auf die Ausübung von Macht und Kontrolle, um sich so den Staat insgesamt zur Beute zu machen; daher sei der Gerichtshof ab sofort illegitim.
Eine Diskussion um diese Vorwürfe kann man freilich führen. An dieser Stelle habe ich jedoch kein Interesse daran, und es scheint mir auch allgemein besser, man nähme in diesen Auseinandersetzungen vom Partisanentum Abstand. Das verbindende Thema zwischen den beiden Sachverhalten ist viel zu ernst, um in partei-politischem Gerangel ausgetragen zu werden. Es bedarf viel mehr einer sorgfältigen Differenzierung, die einerseits Bezug zu konkreten Traditionen nimmt, sich aber andererseits nicht einer einzigen Gruppe unhinterfragt ergibt. Um eine solche Differenzierung soll es jetzt gehen: sine ira et studio, beginnend im vor-politischen Raum.
Ganz grundlegend müssen dazu beim Thema "Abtreibung" drei Aspekte voneinander unterschieden werden: Ein ethisch-philosophischer Aspekt, ein politisch-juristischer Aspekt, sowie ein gesellschaftlich-kultureller Aspekt.
Was bedeutet Abtreibung?
Der ethisch-philosophische Aspekt betrifft die Frage, wie das Thema weltanschaulich einsortiert werden kann. Dazu gehören gleichermaßen Ansätze aus der säkularen Philosophie wie aus der bekenntnisgebundenen Theologie, da sie eine Rückbindung der jeweiligen Phänomene an grundlegende (oder als grundlegend postulierte) Sachverhalte leisten.
Dabei geht es notwendig zuerst um die Frage, was denn überhaupt Thema der Diskussion ist. Das Wort "Abtreibung" verweist schließlich auf einen mehrdeutigen Begriff, obschon die Ambiguität im Deutschen vielleicht nicht so stark sein mag wie in anderen Sprachen: Ein Abortus, d.h. Abbruch einer Schwangerschaft, kann durch vielerlei hervorgerufen werden, von natürlichen Ursachen (spontaner Abortus) bis hin zu vorsätzlichen und gezielten Handlungen (artifizieller Abortus). Vor jeder weiterführenden Diskussion über das Thema ist es darum wesentlich, erst einmal klarzustellen, worauf sich die jeweilige Einlassung überhaupt bezieht. Konkret relevant für den politischen und gesellschaftlichen Diskurs ist dabei vor allem die letztgenannte Bedeutung als vorsätzliche und gezielte Handlung, die einen Abortus herbeiführt. Nur hierbei geht es nämlich um eine ethisch-moralische Fragestellung im eigentlichen Sinne, die infolge diskutiert werden kann.
Die zweite Klärung, die erfolgen muss, ist die Frage nach dem Gegenstand des Abortus: Was konkret wird da überhaupt durch gezielte und vorsätzliche Handlung abgetrieben? Die Antworten hierauf sind schillernd und vielfältig, sie reichen von "Kind" bis "Schwangerschaftsgewebe", und die Begriffswahl gehört dabei schon sehr stark zur Diskussion der weltanschaulichen Grundlagen, die durchaus auch religiös geprägt sein können. Dabei zeigt sich im historischen Befund eine über bloß einzelne Weltanschauungen hinausgehende Tendenz, die Biomasse innerhalb des Uterus als etwas zu klassifizieren, das zwar zoologisch menschlich ist, aber aufgrund unvollständiger körperlicher Entwicklung doch nicht im vollen Sinne gesellschaftsfähig scheint.
In der katholischen Theologie war vor 1869 die Kategorie des foetus inanimatus relevant, das meint einen leiblichen Abkömmling zweier Menschen, der noch nicht vollständig entwickelt ist und darum keine (unsterbliche Vernunft-)Seele besitzt. In ihren Wurzeln steht diese Kategorie in der Nähe der Naturphilosophie des Aristoteles (der religiös schillernde Begriff "Seele" fällt aristotelisch gedacht mit der "Form des Leibes" zusammen), und analoge Ansätze finden sich in der einen oder anderen Variante auch in anderen religiösen Traditionen. Wichtige Beispiele hierfür:
Eine zentrale Schriftstelle aus der jüdischen Tradition (Ex 21,22-23) unterscheidet zwischen einerseits dem durch menschliches Handeln herbeigeführten Abgang ohne weiteren Schaden, der (ganz im Sinne einer patriarchalen Güterordnung) lediglich als Vergehen gegen das Eigentum des jeweiligen Mannes geahndet werden soll, und andererseits dem Abgang mit einem dabei entstandenen weiteren Schaden, bei dem Leben für Leben vergolten werden soll. Sowohl in der jüdischen Philosophie (Philo von Alexandrien, Spec Leg III:108) als auch in der rabbinischen (sowie der samaritanischen und karäischen) Tradition findet sich - u.a. insofern sich der "weitere Schaden" auch auf die abgehende Schwangerschaft bezieht und nicht exklusiv auf die schwangere Frau (das ist in sich schon eine eigene Diskussion, v.a. zwischen hellenistischem und hebräisch-sprachigem Judentum) - eine Unterscheidung zwischen einem vollständig ausgeformten Menschen und einem unvollständig ausgeformten Abkömmling (Fötus). Die konkrete (auch zeitliche) Grenze zwischen beidem und der konkrete Status des unvollständig ausgeformten Fötus können dabei freilich je nach Ansatz und Tradition unterschiedlich ausfallen (im Talmud findet sich z.B. eine Kategorisierung als Körperteil der Mutter); gemein ist den verschiedenen Ansätzen jedoch, dass es sich diesem Verständnis nach nicht um die Tötung eines Menschen im eigentlichen Sinne handelt (d.h. ugs. Mord), weil der unvollständig ausgeformte Abkömmling nicht als voller Mensch gezählt wird (lav nefesh hu).
In der islamischen Tradition findet sich eine ähnliche Unterscheidung, die jedoch weitaus spezifischer gefasst ist. Ausgehend von der Sunna (Sahih al-Bukhari 3208, 3332, 6594, 7454), d.h. von Berichten über die Handlungsweise des islamischen Religionsstifters, gilt bei den meisten Schulen des islamischen Rechts (fiqh) die Annahme, dass ein menschlicher Abkömmling im Mutterleib nach einer bestimmten Zeit (s)eine Seele erhalte und erst dann und dadurch ein Mensch im eigentlichen Sinne sei. Die verschiedenen Schulen legen diese Zeit jedoch unterschiedlich lange aus: Sie liegt allgemein bei mindestens 40 und höchstens 120 Tagen nach der Empfängnis. Je nach Zeitpunkt gilt der Abkömmling, ausgehend vom Koran (22:5, 23:12-14), nacheinander als Samentropfen, Klumpen oder Körpermasse mit zunächst Knochen und später auch Fleisch.
Sukzessivbeseelung oder Simultanbeseelung?
Der terminus technicus für diese naturphilosophische und religiöse Perspektive lautet Sukzessivbeseelung, weil die Seele (nefesh, psyche, anima) zeitversetzt zur Empfängnis des Körpers zum Einzelmenschen hinzutritt. Der konzeptionelle Gegenentwurf firmiert unter der Bezeichnung Simultanbeseelung, und hierbei tritt die Seele zeitgleich zur Empfängnis des Körpers zum Einzelmenschen.
In der säkularen Philosophie gibt es heutzutage eine Entsprechung zum Konzept der Sukzessivbeseelung, die auch im allgemeinen Diskurs sehr beliebt und äußerst weit verbreitet scheint: Sie besteht in der Unterscheidung zwischen einem biologisch aufgefassten Mensch-Sein und einem neurologisch bzw. psychologisch definierten Person-Sein, was am populärsten wohl von Peter Singer vorgebracht wurde. Demnach gilt der Status als Person als relevant für ethisch-moralische Fragestellungen; dabei zählt nicht jeder Mensch als Person, während nicht jede Person notwendig auch ein Mensch ist.
Das Konzept der Sukzessivbeseelung ist insofern ganz intuitiv greifbar, als individuelle Unterschiede zwischen einem Menschen und seiner Außenwelt unmittelbar generalisiert werden. Das bedeutet: Ein besonderer Unterschied zwischen Einzelmenschen markiert per se eine allgemeine Abgrenzung; diese wird im religiösen Kontext zugleich metaphysisch begriffen.
So beliebt dieser Ansatz auch im Allgemeinen sein mag, er hat doch eine eklatante Schwachstelle: Die Annahme eines "unbeseelten" (und damit nicht voll-wertigen) Mensch-Seins etabliert bzw. reproduziert einen Dualismus zwischen Körper und Geist (Seele, Psyche), die den Einzelmenschen als existenzielles Kompositum in letzter Konsequenz im wahrsten Sinne des Wortes auseinanderreißt, weil er in seinem Kern nicht als Ein-heit gedacht wird, sondern als Zwei-heit, als Dualität. Hierin liegt die systematische Grundlage dafür, das menschliche Individuum im Sinne einer manichäischen Lesart als Gemisch aus bedeutungsloser Materie und edlem Geist zu handeln, was historisch betrachtet ganz gerne zu allerlei Leib-, Genuss- und Sexualfeindlichkeit geführt hat und in der Theologiegeschichte auch so weit ging, dass die Materie als erlösungs-unfähig postuliert wurde. In der Dichotomie aus geistigem und damit edlem, da ethisch relevantem Person-Sein und materiellem und damit bedeutungslosem Mensch-Sein werden genau jene Weichen gestellt, die zu diesen Extremen hinführen.
Die Lösung der Probleme dieses Dualismus kann jedoch nicht in einem diametral dagegen gestellten Monismus liegen. Dieser müsste nämlich bezogen auf den Einzelmenschen entweder vom Körper oder vom Geist (Seele, Psyche) her aufgezogen werden und alles auf das jeweilige Prinzip reduzieren. Das stellt der Gefahr, den Einzelmenschen zu zerreißen, einen ebenso großen Druck zur Gleichförmigkeit bzw. Konformität entgegen:
Wo im vorgenannten Dualismus die Differenz einen wesentlichen Unterschied markiert, da wird im diametral entgegenstehenden Monismus jeglicher Unterschied in eine In-Differenz hin aufgelöst; man denke dabei bspw. an die Klasse der homoioi im antiken Sparta, die auf eine körperliche In-Differenz zielte, an das Milieu der WASP in den USA, die auf eine soziale In-Differenz hingeordnet ist, oder an die high control groups der neureligiösen Bewegungen, die eine In-Differenz der jeweiligen Lebensführung beabsichtigen (besonders die Zeugen Jehovas bieten dabei gutes Anschauungsmaterial, da sich ihre theologische Lehre von Leib und Seele aus dem monistischen Verständnis vom Leib als Seele ableitet).
Dazu kommt Monismus tendenziell eher religiös denn säkular daher: Der monistische Neuplatonismus hat letztlich nur über die Inkulturation ins altkirchliche Christentum überlebt (Augustinus, Pseudo-Areopagita, Boëthius), die monistischen Varianten des indischen Vedanta gehören zu den "orthodoxen" Sichtweisen auf das Göttliche (astika darshana), das monistische Deus sive natura von Baruch de Spinoza (den Harald Lesch als den "Buddha des Abendlandes" bezeichnet hat) setzt alles, was da ist, als Variante der substanziellen Gottheit. Darum scheint Monismus nur bedingt für einen Diskurs in der weltanschaulich "neutralen" Arena des modernen Säkularstaats geeignet.
Um die genannten Probleme zu lösen, bedarf es darum zweierlei: Es muss eine reale Unterscheidung möglich sein; diese darf aber nicht notwendig eine wesenhafte Trennung bedeuten.
In der Philosophiegeschichte gibt es mit dem sog. "Hylemorphismus" einen Ansatz, der dies leisten kann: Demnach existieren Körper als Träger von Geist und Geist vermittelt durch Körper, eben weil und wie Stoff (hyle) als Träger von Form (morphe) existiert, während Form durch Stoff vermittelt wird. Dieser Ansatz, der in der bereits genannten aristotelischen Philosophie fußt und darum anschlussfähig gegenüber gerade denjenigen religiösen Traditionen ist, die wie o.g. verwandte Konzepte anwenden (tatsächlich gibt es einen jüdischen und islamischen Aristotelismus, die beide sehr viel gelehrsamer sind als ihre christliche Entsprechung), kann Besonderheiten zulassen, ohne sie unvermittelt zu verallgemeinern, und er kann individuelle Unterschiede anerkennen, ohne eine spezifische Differenz notwendig zu zementieren. In der Substanzphilosophie handelt es sich um eine Mittelposition zwischen Monismus und Dualismus, die gerade darum auch zwischen beiden vermitteln kann, um so die jeweiligen Stärken zu fördern und die jeweiligen Schwächen abzumildern.
Unter diesem Paradigma kann nun ein biologisches Exemplar der Spezies Homo sapiens qua bloßem Dasein als vollwertiger Mensch gelten, ohne dass irgendwelche Sonderkriterien wie vollständige Gesellschaftsfähigkeit erfüllt werden müssen, auch wenn bestimmte Defizite und Devianzen real vorhanden sind. Das steht letztlich auch notwendig als Grundlage für eine im säkularen Denken verankerte Universalität von Menschenrechten.
Ein solcher Hylemorphismus war und ist virulent in der zuvor genannten katholischen Tradition, und diese hat sich nach 1869 faktisch von der Sukzessivbeseelung abgewandt, auch wenn die Kontroverse zwischen Sukzessiv- und Simultanbeseelung bis heute nicht lehramtlich formal entschieden wurde. Am Ende passen die Erkenntnisse der modernen, empirischen Wissenschaften schlichtweg besser zum Ansatz der Simultanbeseelung:
Gerade im Zeitalter der modernen Genetik ist der Einzelmensch als Einzelmensch materiell messbar, und ab der Zygote als immer derselbe identifizierbar. In Kontrast zu den Ergebnissen der traditionellen aristotelischen Zoologie gibt es in der modernen, empirisch arbeitenden Embryologie nach der Empfängnis in der vorgeburtlichen Entwicklung schlichtweg keinen Bruch oder Sprung, der irgendwo eine separate "Beseelung" oder ein säkulares Äquivalent, das den bloßen Menschen in eine schützenswerte Person verwandelt, nötig oder gar rational plausibel machen könnte (in Anschluss an Singer könnte die "Beseelung" bzw. Person-Werdung ja sogar problemlos erst Jahre nach der Geburt angesetzt werden).
Das zeigt wesentlich zweierlei: Zum einen stehen religiöse Positionen und modern-wissenschaftliche Erkenntnisse nicht notwendig miteinander im Konflikt. Ganz im Gegenteil, modern-wissenschaftliche Erkenntnisse können sogar dabei helfen, theologische bzw. religiöse Kontroversen zu lösen; notwendige Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die jeweilige religiöse Tradition eine gewisse Offenheit gegenüber einer kleinsten gemeinsamen empirischen Wirklichkeit besitzt.
Zum anderen stellt eine unvollständige körperliche Entwicklung kein wesenhaftes Defizit im Einzelmenschen dar, das dessen Realität als Mensch vermindert. In den Worten der Substanzphilosophie: Die menschliche Person als (zusammengesetzte) Substanz ist bereits dort vorhanden, wo das menschliche Einzelexemplar sich als solches materiell messen und identifizieren lässt.
Damit wird, um diese zweite Klärung abzuschließen, beim artifiziellen Abort durch eine gezielte und vorsätzliche Handlung das Leben von voll-wertigen Menschen beendet, die in einem Eltern-Kind-Verhältnis zu den ausgewachsenen Personen stehen, deren leibliche Abkömmlinge sie sind. Wo es aber darum geht, das Leben von Menschen zu beenden, da muss zunächst einmal ein ethischer Minimalkonsens greifen, der das Töten verbietet.
Gibt es Ausnahmen vom Tötungsverbot?
Dies führt schließlich zur dritten Klärung, die zur Diskussion notwendig ist, und sie betrifft die Frage, inwieweit eine gezielte und vorsätzliche Handlung, die das Leben eines materiell messbaren Menschen beendet, gegenüber dem ethischen Minimalkonsens, der dies untersagt, gerechtfertigt werden kann.
Tötungsverbote gelten empirisch betrachtet nicht absolut: Am bekanntesten sind dabei wohl die zumeist kategorisch zitierten Schriftstellen aus Ex 20,13 bzw. Dtn 5,17; diese beziehen sich nicht auf das Töten allgemein, sondern spezifisch auf das Morden, wodurch zur Bewertung einer Handlung mindestens Umstände und Motiv(ation) der Täterin berücksichtigt werden müssen. Auch andere Tötungsverbote sind in den allermeisten Fällen qualifiziert (selbst im generell rigorosen Jainismus finden sich bestimmte Aufweichungen des ahimsa), und als die bekanntesten Ausnahmen stehen weltanschauungsübergreifend Notwehr und Kriegsfall.
Der von Lebensschützerinnen gern zitierte Grundsatz "Wenn die Ungeborenen keine Menschen sind, dann bedarf es keiner Rechtfertigung, um sie zu beseitigen; wenn es aber Menschen sind, dann ist keine Rechtfertigung hinreichend" greift deshalb genau dann zu kurz, wenn er a priori gesetzt und nicht a posteriori geschlossen wird.
Zur Rechtfertigung, um gegen den ethischen Minimalkonsens zu verstoßen, gibt es verschiedene Ansätze, die sich aufschlüsseln lassen als religiöse Satzung, autoritative Setzung sowie sachbezogene Begründung.
Religiöse Satzungen leiten sich aus den spezifischen Quellen einer Religion (inklusive sog. Zivilreligionen) ab: Bevorzugt sind das natürlich heilige Schriften, aber daneben kommen auch Auslegungen und Kommentare, verschriftlichte und mündliche Traditionen hinzu. So fußt entgegen der Erwartungshaltung, die man bei einer sog. "Buchreligion" haben könnte, die religiöse Satzung weder im Judentum noch im Christentum noch im Islam exklusiv in der jeweils als heilig gehandelten Schrift - nicht einmal bei jenen christlichen Denominationen, die das Dogma des sola scriptura ("allein durch die Schrift") akzeptieren, ist das der Fall. Ganz im Gegenteil spielen immer auch Quellen hinein wie z.B. Mischna bzw. Talmud, Sunna und Sira, patristische Literatur oder Bekenntnisschriften der Reformatoren. Im Falle von Zivilreligionen, sowohl in Deutschland als auch in den USA bspw., beschränkt es sich nicht exklusiv auf das Grundgesetz bzw. die Verfassung, sondern nimmt auch wesentlich Bezug auf Gesetze, die nicht von Verfassungsrang sind, sowie die (ständige) Rechtsprechung der Gerichtshöfe auf unterschiedlichen Ebenen.
Der Vorteil liegt auf der Hand: Religiöse Satzungen können die höchste nur denkbare Verbindlichkeit für sich reklamieren, weil sie veredelt werden durch eine Grundlegung im Numinosen. Sprich: Sie rekurrieren in letzter Instanz auf das, was jeweils als absolut und damit als dem normalen Gang der Dinge enthoben gehandelt wird.
Das wesentliche Problem liegt jedoch darin, dass "Religion" - obwohl konzeptionell eigenständig - kein luftleerer Begriff ist. Ein Einzelmensch gehört nicht irgendeiner abstrakten bzw. ätherischen "Religion" an, sondern steht ganz konkret in einer historisch und sozio-kulturell erfahrbaren religiösen Tradition. Darum sind religiöse Satzungen empirisch sichtbar nur im Rahmen ihrer jeweiligen Tradition, d.h. gruppen-intern wirklich verbindlich; sie gelten aber nicht automatisch über die Grenzen der jeweils eigenen Gruppe hinaus. Wo dieser Anspruch dennoch erhoben wird, besteht nolens volens die Gefahr von Ethnozentrismus und Tribalismus - das beste Beispiel hierfür ist heutzutage wohl der im Protestantismus verwurzelte Christliche Nationalismus in den USA, der gerade in der Diskussion um Abtreibung rigoristisch auftritt.
Trotz aller Gefahr scheint dennoch interreligiöse Differenziertheit auch auf der Grundlage spezifischer Traditionen möglich: Die jüdische Tradition beispielsweise beschränkt religiöses Heilsgeschehen nicht notwendig auf die je eigene Gruppe, sondern kann mit der Unterscheidung zwischen dem Noachbund und dem Bundesschluss am Sinai auch Menschen aus anderen religiösen Traditionen einen Anteil daran zusprechen - vorausgesetzt, diese halten die sieben Gebote des Noachbundes ein. Darunter fällt das Tötungsverbot, und interessanterweise finden sich sowohl im Talmud (Sanhedrin 57b) als auch in der jüdischen Philosophie (Maimonides, Mishne Torah, Könige und Kriege 9:4) Auslegungen, die auch das Töten eines noch nicht geborenen Menschen darunter subsumieren. Heißt: Für die Menschen des Noachbundes gilt nach diesen Auslegungen ein Abtreibungsverbot. In der Frage nach der Gültigkeit des Noachbundes findet sich zudem die Auslegung, dass nichts, das den Noachiden verboten ist, für Juden erlaubt sei. Daraus würde zunächst folgen, dass das Abtreibungsverbot auch im Judentum gilt. In den Tosafot (Talmud-Kommentaren) findet sich schließlich hierzu wiederum eine Auslegung, die Abtreibung zwar als grundsätzlich verboten, aber für Juden nicht strafbewehrt ansieht.
Zu dieser Auslegungspraxis gibt es eine grobe Analogie (d.h. Ähnlichkeit bei größerer Unähnlichkeit) im christlichen Umgang mit dem alttestamentarischen Erbe, insofern zwischen moralischen Geboten und zeremoniellen Geboten unterschieden wird: Das Übertreten bestimmter zeremonieller Gebote kann demnach zwar formal gesehen als moralisch problematisch gelten (sofern die entsprechende Handlung beide Bereiche betrifft); sie muss jedoch nicht (mehr) notwendig sanktioniert werden.
Diese Art der Differenzierung scheint insgesamt sehr viel wohlwollender und dialogischer, damit auch anschlussfähig(er) gegenüber einem säkularen Gemeinwesen, als beispielsweise die scharfe (v.a. reformatorische) Dichotomie aus "Gesetz" und "Evangelium", welche die paulinische Unterscheidung zwischen ethischer und ritueller Dimension der Torah in den engen Dualismus aus (geistig gewirkter) "Gnade" und (materiell-leiblicher) "Werkgerechtigkeit" überführt.
Eng verwandt zur religiösen Satzung, dem Charakter nach allerdings doch verschieden steht die autoritative Setzung. Sie fußt in spezifischen Akteuren, die für korporative oder kollektive Entscheidungen als normativ gehandelt werden. Im religiösen Feld werden hierfür bedeutende Personen bzw. Heilige herangezogen (z.B. Mutter Teresa, die nicht nur von Lebensschützerinnen gerne als Autorität zitiert wird, oder Mohandas Gandhi, der gar mit der "Planned Parenthood"-Gründerin Margaret Sanger diskutiert hat), zivilreligiös und säkular geht es um Aktivistinnen, die "viel bewegt" haben o.ä., aber auch um Expertinnen und Fachleute.
Der Vorteil daran: Auch wenn die Verbindlichkeit naturgemäß niedriger ist als bei der religiösen Satzung, so ist doch im Falle einer autoritativen Setzung die Anerkennung über weltanschauliche Traditionen hinweg sehr viel leichter möglich (deutlich zu sehen z.B. beim auch säkular gerne zitierten Dalai Lama oder bei Greta Thunberg, die vom ehemaligen anglikanischen Primas gar als "Prophetin" bezeichnet wurde).
Das Problem daran ist allerdings offensichtlich: Die autoritative Setzung führt sehr leicht in eine radikale Personalisierung der Auseinandersetzung, und diese holt den Tribalismus von der gemeinschaftlichen Ebene auf die individuelle Ebene und bindet sie an eine persönliche Loyalität oder Gegnerschaft, die wiederum das Thema insgesamt überschreibt.
Wie lassen sich Ausnahmen zum Tötungsverbot sachlich begründen?
Die sachbezogene Begründung schließlich fußt im Gegensatz zu den beiden vorigen Ansätzen, die eigentlich nur formal argumentieren, auf einer inhaltlichen Betrachtung. Dabei lassen sich vier sowohl religiös grundierte als auch philosophisch vorgetragene Ansätze anführen, um Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens im Rahmen eines artifiziellen Abortus zu begründen. Diese können in eine grobe Ordnung gebracht werden, die dem Blick auf Ursache, Folge, Ziel und Mittel entspricht.
Der naheliegendste Sachgrund wurde dabei von Maimonides (Mishne Torah, Totschlag und Lebensgefahr 1:9) sehr pointiert vorgebracht: Gegen den ethischen Minimalkonsens darf verstoßen werden, wenn Lebensgefahr besteht, d.h. die Selbstverteidigung kann sich auf das Töten eines Menschen erstrecken. Dies ist wohl das allgemein verständlichste und auch intuitivste Argument. Bei Maimonides findet sich nun der besondere Dreh, dass das Kind wie ein "Verfolger" (rodef) kategorisiert wird, welcher das Leben der Mutter bedroht und deshalb nicht geschont werden darf: Er liefert also einen systematischen Grund dafür, dass es sogar so etwas wie eine Pflicht zum artifiziellen Abortus geben könnte (was nicht nur im Rahmen einer Debatte über den Stellenwert der Pflichtethik zu diskutieren wäre). Bedeutsam ist Maimonides' Argumentation jedoch auch deshalb, weil dieser Sachgrund jenseits der Sukzessivbeseelung greift bzw. recht eigentlich sogar notwendig eine Simultanbeseelung voraussetzen muss, da ohne "Seele" kein ethisch relevantes Mensch-Sein und damit kein Potenzial zum "Verfolger" vorliegen kann.
Betont werden muss jedoch, dass das Kind in der Argumentation nicht einfach naiv als Bösewicht postuliert wird, sondern in Analogie (d.h. Ähnlichkeit bei größerer Unähnlichkeit) zu einem solchen steht: Maimonides legt dar, dass das Kind gewissermaßen als ein Verfolger angesehen werde. Das bedeutet, dass das Kind realiter noch keine (psychologische) Absicht in dem Sinne besitzt wie sie ein ausgewachsener Mensch hat. Die Wirkungen seines Daseins stehen hingegen analog zu denen eines Angreifers, insofern das Leben der Mutter ursächlich in einer Situation bedroht wird, in der Mutter und Kind sich unter einer univoken Konzeption des Seienden gegenüberstehen, wonach die Entfaltung des einen Daseins die Existenz eines anderen bedroht.
Verwandt damit kennt der Talmud bzw. seine Auslegung eine "Entwürdigung" als Sachgrund. Das meint eine Behinderung oder dauerhafte Schädigung der Mutter; darunter können sowohl physische als auch psychische Schädigungen subsumiert werden. Die gemeinsame systematische Grundlage mit dem vorgenannten Sachgrund besteht darin, dass der Schutz eines Menschen im Handeln Priorität genießt; hierzu wird nicht nur die schiere Existenz, sondern auch die Integrität des Daseins gezählt. Das kann vor allem dann als relevant vorgebracht werden, wenn es um Kinder und Minderjährige geht, für die sich eine Schwangerschaft generell als Notlage einschätzen lässt, die die physische und psychische Integrität bedroht. Dieser Sachgrund im Sinne einer Schadensabwendung ist ebenfalls intuitiv zugänglich, doch systematisch nicht ganz so gewichtig wie der letztlich aus dem Talionsprinzip abgeleitete vorige Grund, weil der Fokus auf die Integrität der Mutter dadurch erkauft wird, dass die konkrete Existenz des Kindes hinter die Schwangerschaft als abstrakten Prozess tritt. Das könnte zwar auf vertretbare Weise verargumentiert werden, wenn zwei Ansprüche zum Schutz von Leben miteinander im Konflikt stehen; es bedarf dabei allerdings einer gründlichen Abwägung auf einem stabilen Fundament.
Ein weit verbreitetes Instrument für so eine Abwägung zwischen im Konflikt stehenden Ansprüchen bietet die Ableitung einer Entscheidung aus einem Minimalziel: Dies besteht darin, in einer schwierigen Situation das geringste oder geringere aus mehreren Übeln auszuwählen, wenn keine gute Option vorhanden ist. So kann je nach konkreter Situation anhand bestimmter Leitfragen abgewogen werden: Ist die Verletzung der Integrität, die einer Beendigung der Existenz gegenübersteht, dauerhaft oder temporär? Stirbt nur das Kind durch die Abtreibung oder sterben sowohl Mutter als auch Kind, wie es z.B. bei akuter Suizidgefahr der Mutter der Fall sein könnte? Geht es um den Tod von Menschen oder um deren Leben in schlechten sozialen oder ökonomischen Umständen? Anhand solcher Leitfragen lässt sich hierarchisieren, priorisieren und rationalisieren, dass z.B. eine temporäre Verletzung weniger schwer wiegt als eine dauerhafte Verletzung; dass der Tod schlimmer ist als schlechte ökonomische Umstände; oder dass es sinnvoller erscheint, das Leben von zumindest einem Menschen zu retten anstatt beide Menschen zu verlieren.
Die notwendige Voraussetzung für so eine Abwägung besteht letztlich jedoch darin, dass ein artifizieller Abortus auf die eine oder andere Art und Weise als Übel eingestuft wird. Wo Abtreibung nicht als Übel gilt oder gar als Gut postuliert wird, da kann eine Abwägung nicht greifen. Hinzu kommt noch - nicht nur in diesem Licht -, dass die Wahl eines geringeren oder geringsten Übels trotz allem immer die Wahl eines Übels bedeutet. Deshalb steht vor jeder Wahl die Frage, um was für eine Art von Übel es eigentlich geht: Ergibt sich das Übel primär aus einer Handlung an sich, in sich und für sich, oder ergibt sich das Übel in erster Linie aufgrund der besonderen Umstände, in denen eine Handlung verortet und eingebettet ist?
So erscheint es wichtig, auch bei der Betrachtung einer Handlung, die auf eine Notlage reagiert, zu differenzieren: Führt die gewählte Handlung direkt oder indirekt zum Tod eines Menschen? Heißt: Ist die Tötung Mittel und Ziel einer Handlung, die zur Disposition steht? Oder wird der Tod durch bestimmte (andere) Mittel und Ziele lediglich in Kauf genommen? Eine indirekte Inkaufnahme ist dabei einer aktiven Tötung vorzuziehen, insofern das indirekte Inkaufnehmen grundsätzlich Potenzial für ein Gut zumindest als Gegenstand der direkten Handlungsabsicht zulässt, während die direkte Tötung ein Übel im einen oder anderen Sinne aktiv anstrebt: Der Zweck heiligt eben nicht per se die Mittel. Auf diese Weise können angelehnt an das Prinzip der Doppelwirkung die Bedingungen, Wirkungen und Absichten, die hinter einer Handlung stehen, adäquat berücksichtigt werden.
Dies hilft vor allem dabei, die ersten beiden Sachgründe zu spezifizieren: So wie ein ungeborenes Kind per se kein "Verfolger" ist, sondern höchstens in Analogie als ein solcher bezeichnet werden kann, so handelt es sich bei einer Schwangerschaft per se nicht um eine Pathologie. Es kann aber zusätzlich zur Schwangerschaft eine Pathologie auftreten, die unter Umständen für den gesamten Prozess eine solche Analogie nahelegt. Wichtig ist jedoch, sich hierbei vor Augen zu führen, dass diese Redeweise sehr nahe bei der rhetorischen Stilfigur eines pars pro toto steht (der pathologische Teil repräsentiert den Prozess als Ganzes) und so im Zweifel eine auch ethisch wichtige Differenzierung unsichtbar macht: Es gilt, einer pathologischen Entwicklung entgegenzutreten und nicht dem regulären Gang der Dinge. Durch die Behandlung einer Pathologie kann wiederum unter Umständen die Schwangerschaft beeinträchtigt oder das Kind geschädigt werden. Das ist jedoch wesentlich verschieden von der aktiven und direkt beabsichtigten Schädigung oder gar Tötung des Kindes.
So lässt sich, am Ende dieser dritten Klärung, festhalten, dass Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens durch einen konkreten Sachgrund gerechtfertigt werden sollten, und dabei wiederum vorzugsweise unter Berücksichtigung aller vier Ansätze.
Wie und was kann der Staat regeln?
Der politisch-juristische Aspekt betrifft die Frage, wie ein formal verfasstes Gemeinwesen mit diesem Thema umgeht bzw. umgehen soll: Politisch (das ist nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit partei-politisch) geht es um die Transposition der jeweils weltanschaulich gefundenen Position in eine Form, die innerhalb des Gemeinwesens zur Beantwortung einer gemeinsamen Fragestellung beiträgt. Juristisch geht es darum, politische Antworten auf gemeinsame Fragestellungen in einer Art und Weise festzuhalten, die in sich konsistent ist und sich idealiter kohärent zu anderen bereits auf diese Weise festgehaltenen Antworten verhält.
Die politische Transposition der weltanschaulichen Position orientiert sich meist an einer (nun auch partei-politisch organisierten) praktischen Umsetzung der generischen Ideologien Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus und nimmt dabei bestimmte Grundwerte als Ausgangspunkt. Auf diese Weise antwortet der politische Aspekt auf die Frage nach einer vorsätzlichen und gezielten Handlung, die einen noch nicht geborenen Menschen tötet, aufgrund einer Güterabwägung, aufgrund einer Evaluation gemeinschaftlicher Regeln, und/oder aufgrund einer Analyse spezifischer Machtgefälle. Idealiter ist diese Transposition immer bedacht auf eine Kohärenz zu anderen Positionen, die von den entsprechenden Grundlagen aus gefunden wurden: Schließlich steht keine politische Antwort für sich alleine, sondern sie befindet sich immer in Wechselwirkung mit anderen politischen Antworten. Wo diese Wechselwirkung nicht beachtet, ignoriert oder gar bekämpft wird, da findet sich politischer Extremismus. Als notwendiges Resultat so einer Vorgehensweise ergibt sich infolge eine differenzierte rechtliche Regelung, was wiederum zu den Strukturen und Prozessen in einem modernen, demokratischen und säkularen Staat passt.
Die möglichen rechtlichen Regelungen lassen sich grob auf vier grundlegende Modelle herunterbrechen. Davon sind zwei Stück monistisch, eines ist dualistisch, und eines befindet sich in der Nähe des Hylemorphismus:
- Zunächst steht so die vollständige und umfassende Freigabe des artifiziellen Abortus. Dies beschreibt einen Monismus von der Mutter her; abgeleitet wird er aus dem Willen der Mutter, der aufgrund anderer politischer Antworten exklusiv als verbindliche Richtschnur postuliert wird. Diese Position ist nicht philosophisch haltbar, aber auch mit keiner der generischen politischen Ideologien zu vereinbaren; das Gemeinwesen muss sich irgendeine Regulierung dieses Tötungsdelikts geben.
- Als Kehrseite dieser Medaille steht das vollständige und ausnahmslose Verbot des artifiziellen Abortus. Dies beschreibt einen Monismus vom Kind her; abgeleitet wird er aus dem Status des Kindes, der aufgrund anderer politischer Antworten exklusiv als verbindliche Richtschnur postuliert wird. Diese Position ist nicht philosophisch haltbar; sie ist auch praktisch in der Regel nicht gegeben, denn selbst sehr strenge Gesetze gegen Abtreibung beinhalten meist bestimmte Ausnahmen (entweder weil diese explizit als solche im Gesetz formuliert werden oder weil bestimmte Dinge juristisch nicht als Abtreibung definiert sind [und ja, selbst Ceaușescus Dekret 770 hatte Ausnahmen, namentlich für Frauen von über 40 bzw. 45 Lebensjahren und/oder mit mindestens 4 bzw. 5 Kindern; dass Ausnahmen vorhanden sind, muss nicht bedeuten, dass diese sinnvoll, vernünftig oder 'gut' sind]).
- Den beiden monistischen Möglichkeiten steht eine Fristenlösung gegenüber; abgeleitet wird sie einerseits aus dem Willen der Mutter sowie andererseits aus dem Status des Kindes. Ob sich diese Frist nun physiologisch an der Aktivität von Herzgewebe orientiert, kalkulatorisch am Konstrukt von Schwangerschaftstrimestern oder pragmatisch an einer Konzeption von Viabilität: Durch die dafür notwendige Verankerung in einer empirisch-wissenschaftlich nicht mehr haltbaren (Variante der) Sukzessivbeseelung setzt diese Lösung auf einen Dualismus, der den Menschen individuell und sozial auseinanderreißt und nicht mit dem Anspruch einer Universalität von Menschenrechten zusammenpasst.
- Schließlich steht neben diesen Möglichkeiten eine Indikationslösung; abgeleitet wird sie aus einer sachlichen Begründung, die allgemeine Prinzipien, besondere Umstände und sowohl den Willen der Mutter als auch den Status des Kindes im Blick hat. Im Gegensatz zu den monistischen Ansätzen und der dualistischen Lösung ist hierdurch wirkliche Differenziertheit möglich, ohne dass allgemeine Prinzipien aufgegeben oder besondere Einzelschicksale unterdrückt werden müssen.
Modellhaft für diese letzte Möglichkeit steht vor allem die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer (modifizierten) Indikationsregelung: Grundsätzlich gilt dabei der artifizielle Abortus als Straftat, doch in engen Grenzen ist er nicht strafbewehrt. Dies basiert auf dreierlei Grundlagen, die aus unterschiedlichen Begründungen fließen:
- Medizinische Indikation: Entscheidend ist hierfür, dass eine Gefahr für die Gesundheit der Mutter vorliegt. Ableiten lässt sich diese Indikation aus den sachlichen Begründungen über die Lebensgefahr und dauerhafte Schädigung für die Mutter, sowie Überlegungen zum geringeren von zwei Übeln und dem Prinzip der Doppelwirkung.
- Kriminologische Indikation: Als Grundlage hierfür steht eine durch Missbrauch und Vergewaltigung aufgezwungene Schwangerschaft. Ableitbar scheint dies aus den sachlichen Begründungen zur Entwürdigung der Mutter sowie zum geringeren von zwei Übeln (wobei gerade bei letzterem der Übergang zur medizinischen Indikation fließend erscheint).
- Soziale Indikation: Den Anstoß hierzu gibt eine bestehende oder drohende Überforderung der Mutter, die sich aus einer bestehenden oder drohenden gesellschaftlichen Notlage ableitet. Überlegungen zum geringeren von zwei Übeln können dies nahelegen.
- Die medizinische Indikation ist so lange gegeben wie kein ausreichend medizinischer Fortschritt vorhanden ist, der in besonderen Gefahrensituationen sowohl das Leben der Mutter als auch das Leben des Kindes schützen kann.
- Die kriminologische Indikation wird so lange postuliert werden wie Männer Frauen vergewaltigen.
- Die soziale Indikation erscheint so lange als Ausweg wie Frauen in sozialer Not sind und sich als Mutter überfordert fühlen.
Welche Optionen hat der Lebensschutz?
Der gesellschaftlich-kulturelle Aspekt betrifft schließlich die Frage, wie die beiden vorgenannten Aspekte in der "zweiten Öffentlichkeit" aufgenommen, reflektiert und angewandt werden können. Auf diese Weise bietet die Gesellschaft nämlich einen Rückkopplungseffekt auf das formal verfasste Gemeinwesen, der sowohl als Korrektiv als auch als Antreiber für die politische Ebene fungieren kann. Zivilgesellschaftliches Engagement in diesem Thema scheint insofern wesentlich, als sich in dieser "zweiten Öffentlichkeit" die Verbindung zwischen dem Individuum und der Struktur vollzieht. Hinzu kommt, dass die Entscheidung für oder wider einen artifiziellen Abortus niemals im luftleeren Raum stattfindet, weil eine gewollt oder ungewollt, geplant oder ungeplant, erwartet oder unerwartet schwanger gewordene Frau nicht in einem Vakuum schwebt, sondern immer in ein Netzwerk aus Beziehungen und Umstände eingebunden ist. Um einen adäquaten gesellschaftlich-kulturellen Diskurs zu führen, gilt es darum zunächst, bestimmte Fallstricke zu vermeiden:
Fallstrick 1: Abtreibung im Frame eines demographischen Problems begreifen.
Ein falsch vorgenommener Problemaufriss kann den Diskurs von vorn herein zerstören. Darum ist es gerade beim Thema "Abtreibung" elementar, sich dem Ganzen adäquat anzunähern und keine falschen Problemstellungen aufzuziehen. Ein falsch vorgenommener Problemaufriss besteht jedoch darin, das Thema "Abtreibung" im Frame der demographischen Entwicklung bzw. des demographischen Wandels zu besprechen.
Befürworterinnen des artifiziellen Abortus bemühen hierfür bevorzugt entweder den Malthusianismus und geraten damit vermittels der Mentalität von Verteilungskämpfen ("das Boot ist voll") in die Gefilde von Rassismus (Abtreibung als Lösung der "Überbevölkerung" in der "Dritten Welt" bzw. im "Globalen Süden") und Klassismus (Armutsbekämpfung durch die Regulierung der Reproduktion von Menschen, die unterhalb der relativen oder absoluten Armutsgrenze leben, statt durch Teilhabe am Wohlstand); oder sie postulieren eine Form von Eugenik vermittels der Mentalität einer Aussonderung "ungewollter" Menschen, was direkt in die Stromschnellen von Misogynie bzw. Sexismus, Xenophobie und vor allem Ableismus führt. Bei Skeptikerinnen des artifiziellen Abortus beginnt der falsche Frame zumeist scheinbar harmlos beim an sich zutreffenden Gedanken von der Familie als Keimzelle der Gesellschaft, und dieser falsche Frame erstreckt sich dann von der Sorge über die Aufrechterhaltung der Sozial- und Rentensysteme oder Arbeitsmarktstruktur bis hin zum Aktivismus gegen "Masseneinwanderung" und angeblichen "Bevölkerungsaustausch". Auf beiden Seiten ist der Themenkomplex "Abtreibung" damit letztlich bloß ein Stellvertreterthema, um den eigenen, weißen, westlichen, anglo-eurasischen, transatlantischen etc. Wohlstand bzw. status quo aufrecht zu erhalten und auf diese Weise nur mehr spezifisches Person-Sein zuzulassen.
Ethisch-philosophisch hingegen verstoßen vorsätzliche Handlungen, die im Tod von Menschen resultieren, unabhängig von populationsmathematischen Überlegungen gegen den ethischen Minimalkonsens. Im Zweifel tragen darum im demographischen Frame schlicht zwei Vertreterinnen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit über der Frage nach Abtreibung ihre jeweiligen Differenzen aus. Parteinahme bedeutet hierbei im Wesentlichen eine sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera, die weit über das Wählen eines geringeren Übels hinausgeht.
Wichtig und zentral ist es darum, sich gar nicht erst auf diesen Frame einzulassen. Die Schwierigkeit, um die es im Themenkomplex "Abtreibung" geht, liegt in der Kollision verschiedener Güter, die sich aus dem Vorhandensein (mindestens) zweier konkreter Menschen ergibt: Mutter und Kind(er). Es geht nicht um die Bewahrung abstrakter sozio-ökonomischer Strukturen. Und ja, die Weigerung, sich auf diesen Frame einzulassen, muss selbst dann gelten, wenn im parlamentarischen Kontext aus dieser Ecke die einzige Stimme gegen Abtreibung erschallt.
Fallstrick 2: Die politische Transposition rein als Machtausübung begreifen.
Auch wenn Politik als (legitime) Ausübung von Macht begriffen werden kann, so darf sie doch nicht darauf reduziert werden. Denn in der Politik als Beantwortung gemeinsamer Fragestellungen sind immer nur Kompromisse möglich, die von einem gesellschaftlichen Konsens zehren. Das soziale Handeln sowohl im politischen wie im gesellschaftlich-kulturellen Raum kann so betrachtet immer nur ein Wort-Antwort-Verhältnis umschreiben: Dies mahnt die Teilnehmer am Diskurs dazu, Extremismus zu vermeiden, um so einem demokratischen und pluralistischen Säkularstaat angemessen zu agieren.
Ein Negativbeispiel hierfür liefern die USA: Dort stehen sich "pro life" (d.h. Skeptikerinnen des artifiziellen Abortus) und "pro choice" (d.h. Befürworterinnen des artifiziellen Abortus) als Fraktionen unversöhnlich gegenüber, und sie erscheinen zu allem Überfluss partei-politisch gebunden - und nach der jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gar geographisch an "rote" und "blaue" Bundesstaaten. Aus dieser Unversöhnlichkeit erwächst letztlich die Kritik an einem (real oder vermeintlich) christlich-fundamentalistischen SCOTUS, insofern die juristische Argumentation von Richtern, die katholisch getauft wurden, als Stimme des politischen Katholizismus aufgefasst wird (was nicht nur in den mehrheitlich protestantischen USA traditionelle anti-katholische Reflexe bedient). Als problematischer Effekt dieses Partisanentums steht so die Beobachtung, dass es gar nicht auf den Inhalt der Argumente ankommt (die im aktuellen Urteil eben juristisch sind und nicht theologisch oder gar religiös), sondern nur noch auf das Durchsetzen von Schlusspunkten: Dies war bereits der Fall mit dem Urteil Roe v. Wade von 1973, das eher unglücklich argumentiert hat, aber in seinem Fazit für die Machtausübung der einen Seite nützlich war; und es ist jetzt der Fall mit Dobbs v. Jackson, wo es in der Auseinandersetzung kaum um die Argumentation geht (die im Kern tatsächlich auch problembehaftet ist, was allerdings eine adäquate Diskussion über juristische Hermeneutik voraussetzt), sondern vor allem um politisch nutzbare Verweise im Text (so wird im Urteil z.B. der englische Jurist Matthew Hale aus dem 17. Jahrhundert als Autorität des common law erwähnt, dessen Œuvre sich neben dem Thema "Abtreibung" auch auf Themen wie "Vergewaltigung in der Ehe" oder "Hexerei" erstreckt) oder um bloße Zeichenfolgen, die qua freier Assoziation mit dystopischer Fiktion in Verbindung gebracht werden (so findet sich in einer Fußnote des Urteils z.B. die Wortkombination "domestic supply of infants", die für sich genommen kompatibel mit Magaret Atwoods Roman "The Handmaid's Tale" scheint, worin der Staat zur Bewältigung der demographischen Krise ein Leihmuttersystem betreibt).
Wichtig und zentral ist es darum, sich ganz auf das Wort-Antwort-Verhältnis einzulassen. Die Gesellschaft bietet eine Antwort auf die Politik, so wie die Politik der Gesellschaft antwortet; parteipolitische Kompromisse werden formuliert als Antwort auf einen gesellschaftlichen Konsens, und gesellschaftlicher Konsens wird entdeckt in Antwort auf eine parteipolitische Kompromisshaltung. Deshalb geht es darum, adäquat in die Hermeneutik des Politischen einzusteigen und nicht nur auf der Ebene der Normen nach dem "Ob" in einem bestimmten Themenkomplex zu fragen, sondern im Diskurs um Werte, Grundwerte und Prinzipien auch die verschiedenen Facetten des "Warum" zu besprechen. Und ja, das gilt auch dann, wenn dabei zunächst einmal ein Machtverlust der "eigenen" Parteiung droht: Nachhaltiger Wandel ist kurzfristiger Herrschaft vorzuziehen.
Fallstrick 3: Reaktanz als Boshaftigkeit begreifen.
Der Begriff Reaktanz beschreibt eine emotionale Abwehrhaltung gegenüber empirischen Erkenntnissen. Meist besprochen im Kontext von Klimawandel oder Tierrechten, lässt sie sich allerdings bei vielen Bereichen der empirisch-wissenschaftlichen Forschung beobachten; so auch in Bezug auf die Einsicht, dass Ungeborene materiell messbare Menschen sind. Reaktanz ist jedoch selbst bei Befürworterinnen des artifiziellen Abortus keine notwendige Haltung gegenüber dieser Einsicht, wie eine Umfrage aus dem Jahr 2018 gezeigt hat: Eine Mehrheit von Biologinnen, die sich selbst als "pro choice" einschätzen, geht davon aus, dass das individuelle menschliche Dasein mit der Befruchtung der Eizelle beginnt. Dies legt nahe, dass ein Diskurs zwischen Vertreterinnen und Skeptikerinnen des artifiziellen Abortus durchaus auf Basis empirisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse stattfinden kann.
Wichtig und zentral ist es darum, eine Emotionalisierung der Debatte nicht nur selbst zu vermeiden, sondern - sofern sie von der Gegenseite kommt - Emotionen nicht per se als Boshaftigkeit auszulegen. Gerade bei Themen, die das menschliche Dasein so existenziell betreffen wie der artifizielle Abortus, ist eine emotionale Stoßrichtung irgendwo zu erwarten. Im Sinne eines gewaltfreien und nicht-emotionalen Diskurses muss darum die sachliche Auseinandersetzung hochgehalten werden - auch und gerade nachdem die sog. "pro choice"-Bewegung sich von "safe, legal, and rare" zu "shout your abortion" extremisiert hat. Und ja, das gilt selbst dann, wenn Einrichtungen zur Beratung und Hilfe von schwangeren Frauen in Not durch Abtreibungs-Aktivistinnen vandalisiert werden oder wenn hochrangige Politikerinnen sich gegen Beratung und Hilfe schwangerer Frauen einsetzen.
Statt sich in diesen Fallstricken zu verfangen, muss ein adäquater Lebensschutz konkrete Schritte im gesellschaftlichen Diskurs ergreifen, die auf zwei Säulen aufbauen:
Visibility - Sichtbarkeit für das Mensch-Sein der Ungeborenen
Die Sichtbarkeit der Ungeborenen als Menschen ist seit dem 24. Juni 2022 vor allem in Deutschland wichtig, nachdem Werbung für Abtreibung erlaubt wurde: Die Sichtbarkeit des Mensch-Seins der Ungeborenen erinnert ganz grundlegend an ihre Existenz sowie an ihre Validität als Menschen. Sie ist ein Akt des Protestes gegen die theoretische und praktische Auslöschung ihres Mensch-Seins, und sie trägt dazu bei, auch diesen Abschnitt des menschlichen Lebens im breiteren gesellschaftlichen Bewusstsein zu normalisieren.
Dies erfordert gesellschaftliches Handeln im Sinne von Aufklärung, und zwar in zweierlei Hinsicht: namentlich im Sinne sowohl des gesellschaftlichen Diskurses in sich als auch im Sinne des gesellschaftlichen Diskurses als Korrektiv und Antreiber des politischen Diskurses. Es geht ganz grundlegend darum, sichtbar zu machen, dass das Thema mindestens zwei Menschen betrifft: Mutter und Kind. Im Zweifel kann hierfür neben Fotografien und medizinischen Illustrationen der vorgeburtlichen Entwicklung durchaus auch die Schockwirkung bestimmter Bilder genutzt werden, um einen festgefahrenen Diskurs gewissermaßen aufzubrechen, so wie es analog mit Darstellungen auf Zigarettenschachteln geschieht. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass die abortion photography lediglich als Eisbrecher fungiert: Die Konversation erschöpft sich keineswegs darin, sondern fängt damit überhaupt erst an.
Die wesentliche Ausrichtung eines so geöffneten Diskurses muss schließlich darin liegen, die Problematik einer Abwägung verschiedener Güter offenzulegen. Dazu gehört politisch-juristisch die Verortung einer entsprechenden Regelung als Tötungsdelikt im Strafrecht, die deswegen bereits im vor-politischen Raum erläutert und, wo notwendig, verteidigt werden muss. Dazu gehört aber ebenso der konkrete Einsatz für eine Indikationsregelung: Diese gilt es entweder dort, wo sie existiert, zu verteidigen oder darauf hinzuwirken, dass sie in der einen oder anderen Form eingeführt wird, wenn konkrete Gesetzgebungsprojekte anstehen. Dazu gehört schließlich auch die Unterstützung der Beratung von Schwangeren im Konflikt, die niederschwellig zugänglich sein und wo notwendig ebenso bereits im vor-politischen Raum verteidigt werden muss, damit adäquate Aufklärung und umfassende Information über Bedeutung, Gegenstand und Ablauf eines artifiziellen Abortus gefördert werden. Last not least gehört dazu ebenfalls zivilgesellschaftliches Hinwirken darauf, dass auch staatliche Institutionen die Sichtbarkeit der Ungeborenen als Menschen verstärken, beispielsweise indem zu gegebenen Anlässen die Lebensschutz-Flagge am BMFSFJ oder auf bzw. vor dem Reichstagsgebäude gehisst wird.
Das zentrale Mittel im gesellschaftlichen Diskurs zur Visibility besteht also darin, potenziellen Allys diverse Hilfestellungen zu geben, damit diese sich niederschwellig und adäquat zum Thema informieren können. Das Ziel liegt letztlich darin, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden zwischen allen, die eine wissenschaftlich zugängliche kleinste gemeinsame Wirklichkeit teilen, was dann seinerseits positiv auf die Formulierung eines politischen Kompromisses einwirken kann. Das wiederum ist wichtig, um Allys auch für die zweite Säule zu gewinnen:
Empowerment - Sozialpolitik im engeren und weiteren Sinne
Weil schwangere Frauen sich nie in einem Vakuum befinden, sondern immer in einem Netzwerk aus konkreten Beziehungen und Umständen stehen, sind Ressourcenorientierung und Ressourcenaktivierung elementar, um die Mütter komplementär zur Visibility der Ungeborenen zum selbstbestimmten Handeln zu befähigen. Dafür wird Sozialpolitik in zweierlei Hinsicht wichtig: zum einen in einem engeren Sinne als konkret und direkt staatlich vollzogene Verteilung bzw. Zuweisung von Ressourcen, zum anderen in einem weiteren Sinne als staatlich vollzogene Rahmensetzung, wonach in einem vor-staatlichen Raum qua Selbstorganisation Ressourcen eigenständig alloziert werden (können). Es geht also darum, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden zwischen allen, die dem Staat die Aufgabe zusprechen, bestimmten Missständen entgegenzutreten, und zwar konkret auf Grundlage der Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität.
Zentral hierfür ist das Aufspannen bzw. Verbessern des gesellschaftspolitischen Sicherheitsnetzes. Dazu gehören im engeren sozialpolitischen Sinne z.B. der Ausbau von Elternzeit und Elterngeld für beide Eltern; die Einführung einer äquivalenten Regelung zum Mutterschutz, wonach die Väter rund um die Geburt ihres Kindes zur Wahrnehmung ihrer familiären und häuslichen Aufgaben in die Pflicht genommen werden; oder auch die Einführung einer am Kindergeld orientierten finanziellen Beihilfe, die bereits während der Schwangerschaft greift und ausbezahlt wird. Damit verbunden gilt es auch, aus der Zivilgesellschaft heraus das politische Handeln zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Hebammen und Geburtshelferinnen anzustoßen, sowie die Förderung medizinisch-technischer Forschung vor allem im Bereich von Gynäkologie und Tokologie voranzutreiben. Im weiteren sozialpolitischen Sinne geht es schließlich um eine generelle Aufwertung der Carearbeit im vor-staatlichen Raum, wie sie beispielsweise durch die Förderung einer Kultur des Schenkens geschehen kann. Analog hierzu stehen ebenso staatliche wie zivilgesellschaftliche Maßnahmen und Initiativen zur Bekämpfung der rape culture, die das Problem aufgezwungener Schwangerschaften bei der Wurzel packen und so gut als möglich zu verhindern suchen.
Das Ziel einer derart aufgestellten Sozialpolitik liegt letztlich darin, die Gesellschaft als solche zum Safe Space für die Kleinsten und Schwächsten zu machen. Das wesentliche Mittel dazu besteht sozialpolitisch im Empowerment der Mütter, damit diese ohne Hindernisse, frei und selbstbestimmt Ja zu ihren Kindern sagen können.
Auf diese Weise kann durch Aufklärung und konkrete Hilfe schließlich mindestens das, was in Deutschland über die Beratungsregelung als straffrei toleriert wird, jenseits der Diskussion um konkrete Abtreibungsgesetze schlichtweg irrelevant gemacht werden. Zumindest in dieser konkreten Hinsicht kann Abtreibung damit im wahrsten Sinne des Wortes un-denkbar werden: Das heißt, zivilgesellschaftliches Engagement kann und muss darauf hinarbeiten, dass es schlicht selbstverständlich wird, das gezielte und vorsätzliche Töten von Menschen nicht als Lösung sozialer Probleme in Betracht zu ziehen. Das umschreibt letztlich den gesellschaftlichen Konsens zwischen all jenen, die den umfassenden Schutz menschlichen Lebens zum Ziel haben.
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